Alte Bekannte im Berliner Fußball (3): Türkiyemspor: Kreuzbergs geplatzter Luftballon
Türkiyemspor wurde einst als Migrantenverein gegründet - nach erfolgreich abgewendeter Insolvenz ist mittlerweile wieder Ruhe eingekehrt beim Kreuzberger Klub.
Drei Bälle liegen auf Höhe der Eckfahne. Der Winkel ist spitz, nahezu unmöglich, von hier aus ins Tor zu treffen. Bülent Gündogdu versucht es trotzdem. Als auch der letzte Schuss sein Ziel verfehlt, muss er lachen. „Ich bin alt. Eigentlich sollte ich hier nicht mehr auf dem Platz stehen.“ Muss der 52-Jährige aber. Weil Türkiyemspor ihn braucht. Und Türkiyemspor, das sagt Gündogdu mit tiefer, fester Stimme, „ist ein Teil von mir. Eine Herzensangelegenheit“. Zusehen, wie seine Herzensangelegenheit für immer verschwindet, wollte er auf keinen Fall. Der Verein befindet sich in der Insolvenz, seit einem halben Jahr hat man kein Pflichtspiel mehr ausgetragen. Im Winter wurde die Mannschaft aus der Regionalliga zurückgezogen, es war kein Geld mehr da. Alle Spieler gingen, lange war nicht klar, ob Türkiyemspor überhaupt ein spielfähiges Team für den Neuanfang in der zwei Klassen tieferen Berlin-Liga zusammenbekommen würde. Bis sich Gündogdu bereit erklärte, als Sportlicher Leiter zu helfen. „Ich konnte nicht ablehnen“, sagt er.
Der kleine Mann mit den tiefbraunen Augen und dem kahlen Kopf ist einer von Berlins renommiertesten Amateurtrainern. Er verfügt über Kontakte, kennt Spieler in allen Ligen. Vor 29 Jahren, als Türkiyemspor unter dem Namen Izmirspor in Berlin als Verein türkischer Migranten den regulären Spielbetrieb aufnahm, war er der erste Trainer – mit 23 Jahren. So etwas wie eine Neugründung ist auch das, was an diesem schwülen Mittwochabend auf dem Sportplatz an der Blücherstraße in Kreuzberg passiert. Zum ersten Training sind siebzehn Spieler gekommen. Ins Team werden es aber die Wenigsten schaffen. Einige haben sich in viel zu enge Trikots gequetscht, der Bauch spannt. Sie haben früh Probleme, das von Gündogdu geforderte Tempo beim Rundenlaufen zu halten. Er gibt die Übungen vor, solange der beruflich verhinderte Trainer noch nicht da ist. Gündogdu gibt den Zweckoptimisten. „Es werden noch Spieler kommen, die das Zeug für die Berlin-Liga haben.“ Und wenn nicht? Wenn Türkiyemspor wieder absteigt? „Dann ist das auch kein Beinbruch. Wichtig ist nur, dass der Verein weiter besteht.“
Geld für Neuzugänge ist nicht vorhanden, Gündogdu hofft, dass der Name Türkiyemspor und die Aussicht auf Spielzeit in der Berlin-Liga junge Talente anlockt. „Der Verein hat noch immer einen guten Ruf.“ Zuletzt hat dieser aber gelitten. Spieler kamen und gingen, Trainer und Vorstände ebenso. Jede Saison war ein neuer Überlebenskampf. „Ich hatte damals schon ein ungutes Gefühl“, sagt Gündogdu. Er meint die Zeit Ende der Achtziger, Anfang der Neunziger Jahre. Dreimal wurden sie Berliner Pokalsieger, spielten vor 12 000 Zuschauern in der Oberliga gegen Hertha BSC. Die Heimstätte, das Kreuzberger Katzbachstadion, glich an den Spieltagen einem Hexenkessel, Tausende tummelten sich auf den maroden Rängen. Beinahe wären sie in die Zweite Liga aufgestiegen. „Die Erfolge kamen zu schnell, der Verein konnte mit der sportlichen Entwicklung nicht Schritt halten.“
Nach dem Sieg im Berliner Pokal 1988, mahnte Bülent Gündogdu: „Türkiyemspor ist ein Luftballon, der schnell platzen kann.“ Heute, 24 Jahre später, sagt er: „Ich hatte recht.“
Mit Hertha BSC und dem 1. FC Union sind derzeit zwei Berliner Vereine im großen Fußball vertreten – allerdings nur in der Zweiten Liga. Das war nicht immer so, Tradition ist bei vielen Vereinen der Stadt reichlich vorhanden. Wir blicken in einer Serie auf Berliner Klubs mit ruhmreicher Vergangenheit und beschreiben ihre Gegenwart.
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