Borussia Mönchengladbach: Tobias Strobl: Wertvoller als Mo Dahoud
Mönchengladbachs Tobias Strobl wird leicht unterschätzt, dabei ist er für Herthas nächsten Gegner am Freitag in der Bundesliga immens wichtig.
Vor ein paar Monaten hat Max Eberl einen bösen Brief bekommen, mit der Schreibmaschine getippt und ohne Absender. Es ging um Tobias Strobl, die erste Verpflichtung für die neue Saison. Da sei dem Sportdirektor von Borussia Mönchengladbach ja ein exzellenter Fang geglückt, ätzte der anonyme Briefschreiber, ein zweiter Thomas Vogel gewissermaßen. Der Mann scheint über profunde Kenntnisse der Gladbacher Vereinsgeschichte zu verfügen; besondere Fußballkompetenz besitzt er offenbar nicht. Tobias Strobl kommt schon jetzt auf mehr als doppelt so viele Einsätze für die Borussia wie Thomas Vogel, der in der Zweitligasaison 1999/2000 vier Spiele für den Klub bestritten hat.
Als Strobl im Sommer ablösefrei vom Abstiegskandidaten Hoffenheim zum Champions-League-Teilnehmer Mönchengladbach wechselte, wurde das bestenfalls geschäftsmäßig zur Kenntnis genommen. „Es ist mein ganzes Leben schon so, dass ich fußballerisch unterschätzt werde“, sagt Strobl selbst. „Niemand rechnet mit mir vor der Saison, und ich werde doch meine Spiele machen.“ So ist es gekommen. Vermutlich wird der 26-Jährige auch am Freitagabend in der Startelf stehen, wenn Borussia Mönchengladbach im Olympiastadion gegen Hertha BSC antritt. Strobl ist ganz sicher nicht der Kaderauffüller, den viele in ihm gesehen haben. Er ist das, was Eberl einen Strukturspieler nennt – einer, der nicht zwingend im Mittelpunkt steht, der nicht glänzt, mit seiner selbstlosen Art aber die Mannschaft glänzen lässt. „Tobi ist kein Schreihals, hat eine super Mentalität und ist ganz klar im Kopf“, sagt Borussias Sportdirektor. „So einen Spieler im Kader zu haben ist Gold wert.“ Eberl erzählt, in Hoffenheim seien sie ein bisschen traurig, dass sie den auslaufenden Vertrag nicht rechtzeitig verlängert haben, „das verstehe ich auch“.
Strobl ist vielseitig verwendbar: Er kann im defensiven Mittelfeld spielen, zentral in der Abwehr und auch als Außenverteidiger. „Er ist stabil, verteidigt gut, bringt aber auch das Fußballerische mit, was vielleicht nicht jeder im Kopf hatte“, sagt Eberl. Strobl sei ganz sicher „kein banaler Ballwegpöhler“.
Strobl kommt auf mehr Einsätze und mehr Spielzeit als Dahoud
Borussias Sportdirektor hat sich in den vergangenen Jahren den Ruf erworben, herausragende Talente vielleicht ein bisschen eher zu entdecken als die Konkurrenz. Er hat unter anderem Marco Reus, Granit Xhaka und Thorgan Hazard für die Borussia verpflichtet. Eberl hat aber auch immer ein Herz für die Unscheinbaren gehabt, die eine Mannschaft im Inneren zusammenhalten. Strobl gehört zu den, wie man in England sagt, „unsung heroes“, den kleinen Helden, auf die nur selten Loblieder gesungen werden. Fabian Johnson ist ein ähnlicher Fall. Er kam ebenfalls ablösefrei aus Hoffenheim, ist wie Strobl gebürtiger Münchner und in der Jugend des TSV 1860 ausgebildet worden.
Vor der Saison, nach Xhakas Weggang zum FC Arsenal, haben alle damit gerechnet, dass Rückkehrer Christoph Kramer mit Mo Dahoud das zentrale Mittelfeld der Borussia bilden würden. Kramer stand tatsächlich in allen 17 Pflichtspielen in der Startelf, an seiner Seite aber spielte eher Strobl als der U-21-Nationalspieler Dahoud, obwohl er mehrere Wochen verletzungsbedingt fehlte. Strobl kommt auf mehr Einsätze (elf zu neun) und mehr Spielzeit (762 Minuten zu 615) – vor allem spielt er in den wichtigen Spielen. Am Dienstag, beim 1:1 in der Champions League gegen Celtic Glasgow, stand Strobl in der Startelf, Dahoud blieb 90 Minuten auf der Bank.
Im Moment ist der unscheinbare Strobl für Borussias Mannschaft wertvoller als der hoch veranlagte Dahoud, „weil er diese Stabilität bringt, die uns abhanden gekommen ist“, wie Eberl sagt. Dahoud war der Shootingstar der vorigen Saison, er gilt als künftiger Nationalspieler und wird mit so ziemlich jedem europäischen Großklub von Barcelona bis Liverpool in Verbindung gebracht. Dass der 20-Jährige angesichts der äußeren Einflüsse derzeit nicht ganz frei wirkt, findet Sportdirektor Eberl alles andere als verwunderlich. „Er darf nicht zu viel nachdenken“, sagt er. „Diese Leichtigkeit, diese Intuition, die kommen nicht per Knopfdruck zurück.“
Bis zu 30 Millionen Euro soll Liverpool für Dahoud zahlen wollen. Mit solchen Summen muss sich Tobias Strobl ganz sicher nicht herumschlagen. Es hat ihn schon irritiert, dass ein Klub wie Borussia Mönchengladbach sich überhaupt für ihn interessiert hat. Als Max Eberl ihn Anfang des Jahres angerufen hat, hat Strobl gedacht, „dass mich da einer auf den Arm nehmen will“. Offenbar hat Tobias Strobl sich selbst ein bisschen unterschätzt.