zum Hauptinhalt
Howard spielt seit acht Jahren in England bei Everton. Für die USA bestritt er mehr als 100 Länderspiele.
© afp

WM 2014 - Müllers und Kloses Torwartgegner: Tim Howard, ein Weltklassetorwart mit Tourette-Syndrom

Der Torwart der US-Mannschaft hat das Tourette-Syndrom: Nebensache, denn er ist einer der besten Torhüter des Turniers.

In der 44. Minute hätte sich in Manaus alles drehen können. Die Portugiesen führten mit 1:0. Tim Howard, der Keeper der Amerikaner, lenkte einen Schuss der Portugiesen an den linken Pfosten, der Ball prallte ab, genau auf Portugals Eder. Die rechte Hälfte des Tores war frei, Howard rappelte sich hoch und bewegte sich dorthin. Doch Eder schoss hoch, gegen Howards Laufrichtung. Der Torwart trippelte, stieß sich mit dem rechten Bein ab und riss in Sekundenschnelle den linken Arm hoch. Mit letzter Kraft, den Körper schon im Fallen, wischte Howard den Ball übers Tor. „Sensationell, übernatürlich“, riefen die Kommentatoren. Ein 0:2 – und die USA wären wohl nicht mehr zurückgekommen. Tim Howard hielt Klinsmanns US-Team im Spiel – mit einem unglaublichen Reflex.

„Ich habe mit 18 oder 19 Jahren verstanden, dass ich bestimmte Bewegungen schneller drauf habe als andere und dass diese Reflexe mit meiner Erkrankung zusammenhängen“, sagte Howard vor gut einem Jahr im Interview mit dem „Spiegel“. Der Torwart leidet am Tourette-Syndrom, einer Verhaltens- und Emotionsstörung. Es komme vor, dass sein Arm oder ein Auge während des Spiels heftig zucken. Mediziner nennen dies einen „Tic“. Doch: „Sobald es vor dem Tor ernst wird, habe ich keine Zuckungen, da gehorchen meine Muskeln.“

In den Vereinigten Staaten ist der Umgang mit Howards Tourette-Syndrom entspannt, sagt er. Die Mitspieler machen ihre Späße, doch der Torwart nimmt es mit Humor und kontert mit Bemerkungen über deren Macken. Nicht selten reagieren die amerikanischen Fans auf die unglaublichen Paraden ihres Schlussmannes mit dem doppeldeutigen Ruf in Richtung der Gegner: „We’ve got Tim Howard. And he says: ,F**ck you’.“ Das Fluchen und der Gebrauch von Schimpfwörtern gehören zwar zu den landläufig bekanntesten Merkmalen der Krankheit, doch Howard hat damit keine Probleme. Im Gegenteil: Mitspieler und Trainer schätzen seine ruhige, umgängliche Art. Die „New York Times“ nannte ihn „den Anker im Team“ und Jürgen Klinsmann sprach geradezu hymnisch von Howard: „Er ist einer der besten fünf Torhüter der Welt.“ Der deutsche Trainer bewies auch beim US-Team seinen recht kompromisslosen Umgang mit arrivierten Kräften und strich Superstar Landon Donovan aus dem Kader. Howard hingegen blieb von Anfang an die einzig unantastbare Figur in Klinsmanns Planspielen. Denn während Donovan mangelnder Eifer angelastet wird, ist Howard der unbedingte Willen eines Bert Trautmann zu eigen. 2007 spielte er in einem Freundschaftsspiel trotz eines gebrochenen Fingers und 2013 in einem Pokalspiel trotz zweier gebrochener Knochen bis zum Schlusspfiff durch. Einer wie er kann Nachfragen zu einer möglichen Absprache zwischen Deutschland und den USA im letzten Gruppenspiel nicht verstehen. „Das ist eine Menge Mist“, sagte Howard. Ungehalten war er nicht, sondern lächelte dabei.

Zur Startseite