Sport: Thomas Röhler holt Speerwurf-Gold
Thomas Röhler gewinnt zum Abschluss Gold im Speerwerfen - insgesamt gelang den deutschen Leichtathleten in Rio aber wenig. DLV-Chef Prokop sieht das Team trotzdem gut aufgestellt.
Als Thomas Röhlers große Stunde schlug, hatte sein Hauptkonkurrent den Stadioninnenraum gerade im Rollstuhl verlassen. Speerwurf-Weltmeister Julius Yego, der mit 88,24 Meter im Olympia-Finale in Führung lag, war bei seinem vierten Versuch umgeknickt. Der Kenianer wurde kurz behandelt, dann transportierte ihn das medizinische Team ab, Yego hatte Tränen in den Augen. „Ich habe plötzlich den Rollstuhl reinfahren sehen und mich gefragt: Was ist denn jetzt passiert?“, erzählte Röhler, die Verletzung des Kenianers hatte er überhaupt nicht mitbekommen. Letztendlich habe sich Yego eine Zerrung zugezogen. „Er hätte bestimmt gern weiter mitgeworfen“, sagte der Deutsche. „Aber ich glaube, nach so einem Wettkampf und dem zweitweitesten Wurf bei Olympischen Spielen darf mir das egal sein.“
Der 24-Jährige aus Jena legte alles in seinen fünften Versuch und schleuderte den Speer auf 90,30 Meter. Danach riss er die Arme in die Luft – und ihm selbst, allen seinen Konkurrenten und den Zuschauern im Estádio Olímpico João Havelange war klar, dass dieser Wurf ein goldener gewesen war. Kein anderer Athlet war an diesem Abend in der Lage, an die magische 90-Meter-Marke heran zu werfen. Yego wurde Zweiter, Bronze ging an Keshorn Walcott aus Trinidad und Tobago, den Olympiasieger von London 2012. Eine deutsche Goldmedaille im Speerwerfen der Männer hatte es zuletzt vor 44 Jahren gegeben, Klaus Wolfermann gewann 1972 in München. Johannes Vetter wurde sam Samstagabend Vierter und verpasste Bronze mit 85,32 Meter um sechs Zentimeter. Der dritte deutsche Speerwerfer Julian Weber wurde mit 81,36 Meter Neunter.
Schwache Leistung der Frauen erhöhte den Druck
Nach seinem zweitem Versuch hatte sich Röhler weit weg von den Plätzen der Speerwerfer auf den Boden gelegt, zu diesem Zeitpunkt war er Zweiter hinter Yego. „Ich musste bei mir bleiben“, erklärte Röhler. Er hatte sich vor dem Wettkampf einen Punkt im Stadium gesucht, den er bei seinen Würfen anvisieren wollte, „den wollte ich nicht aus den Augen verlieren“. Er habe auch „einfach mal Luft tanken“ müssen, die drei Speerwerfer hätten nach dem zuvor schwachen Abschneiden der deutschen Leichtathleten enormen Druck verspürt. „Es war eine schwierige Woche, das muss man sich eingestehen“, sagte Röhler. In dieser Hinsicht sei seine Medaille „sehr, sehr wichtig – für alle die auf Statistiken stehen“. Röhler verwies auf die starken vierten Plätze, die unter anderem Zehnkämpfer Kai Kazmirek errungen hatte. Verantwortlich für die Rettung der deutschen Bilanz fühlte sich der Jenaer dann aber doch nicht. „Natürlich werfe ich den Speer für Deutschland“, sagte Thomas Röhler. „Ich werfe ihn aber auch für Thomas Röhler.“
Nach Gold und Bronze für Christoph Harting und Daniel Jasinski im Diskuswerfen war Röhlers Gold am letzten Abend der Leichtathletik-Wettbewerbe von Rio de Janeiro die dritte Medaille für den Deutschen Leichtathletik-Verband (DLV). In London vor vier Jahren hatten die DLV-Sportler insgesamt acht Medaillen gewonnen. In einer ersten kurzen Bilanz sprach DLV-Präsident Clemens Prokop am Samstagabend von einem „Ausrutscher und keiner Trendwende“ und verwies auf das große Team, mit dem Deutschland bei den Leichtathletik-Wettbewerben angetreten war. Man sei in der Breite gut aufgestellt, sagte Prokop.
Hochspringerin Jungfleisch wird siebte
Aufgrund von Verletzungen fehlte es aber bei Medaillenkandidaten wie den Kugelstoßern David Storl und Christina Schwanitz oder Diskuswerfer Robert Harting an Stabilität und Wettkampfhärte. Harting zog sich kurz vor seinem Wettkampf einen Hexenschuss zu und scheiterte bereits in der Qualifikation, Storl und Schwanitz zogen zwar in ihre Endkämpfe ein, hatten aber mit dem Kampf um die vorderen Plätze nichts zu tun. Auf der Laufbahn war ohnehin kaum mit Medaillen zu rechnen. Aber auch in den traditionell starken Wurfdisziplinen und im Stabhochsprung gelang den Deutschen wenig. Hochspringerin Marie-Laurence Jungfleisch konnte die in sie gesteckten hohen Erwartungen am Samstag ebenfalls nicht erfüllen. In dieser Saison hatte die 25-Jährige erstmals 2,00 Meter überquert, in Rio wurde sie mit übersprungenen 1,93 Meter Siebte.
Wie viele seiner Kollegen war auch Röhler nicht verletzungsfrei durch die olympische Saison gekommen. Im Vorkampf der Europameisterschaft in Amsterdam hatte er sich eine Muskelverletzung im Rücken zugezogen, die gerade noch rechtzeitig zu den Olympischen Spielen ausheilte. „Und nach der Quali hier in Rio hatte ich das Gefühl: Du bist wieder bereit für 90 Meter“, sagte Röhler.
Die Brasilianer hätten in den letzten Tagen viel übers Speerwerfen gelernt, sagte Röhler, bei der Qualifikation hätten sie sich noch über 70 Meter gefreut. „Und heute“, sagte Thomas Röhler. „haben sie sich über 90 Meter gefreut.“