Nach dem Sieg auf der Streif: Thomas Dreßen: In zwei Minuten zum Star
Und jetzt Olympia-Gold? Der Sieger von der Streif hat Großes geleistet. Nach Kitzbühel muss Thomas Dreßen nun mit ungekanntem Druck umgehen.
So schnell kann das laufen. Thomas Dreßen kommt ja auch aus einer megaschnellen Sportart. Kaum also hatte der junge Skiläufer am Sonnabend sensationell das wichtigste Abfahrtsrennen der Welt gewonnen, da war er schon "unser Streif-Gigant", wie die "Bild" titelte. Eine traurige, rührselige Geschichte um dem im Jahr 2005 tödlich verunglückten Vater Dirk gab es dann noch als Rahmen zur dramaturgischen Erhöhung: Thomas Dreßen hatte seinen Sensationssieg in Kitzbühel seinem Vater gewidmet.
In einer Minute, 56 Sekunden und 15 Hundertstelsekunden hat sich die Karriere des Thomas Dreßen also schlagartig verändert. So lange hat er gebraucht für die Fahrt, die ihn zum großen Star werden ließ. Markus Waldner, Renndirektor des Skiweltverbandes, sagte vor der Siegerehrung in Kitzbühel: "Hier gewinnen nur die Superstars. Er ist jetzt schon eine Legende, hier hat noch nie ein Außenseiter gewonnen."
Wer die Streif, das Rennen am Hahnenkamp gewinnt, ist der gefühlte Weltmeister im Alpinen Ski. Das ist schon seit der ersten Auflage im Jahr 1937 so. Und Deutsche haben beim größten und einem der anspruchsvollsten Abfahrtsrennen überhaupt erst drei Mal triumphiert, bevor Dreßen kam – durch Sepp Ferstl (1978 und 1979) und Ludwig Leitner (1965). Das ist sehr wenig für eine Wintersportnation, die allerdings im alpinen Bereich bei den Männern ja eher im Slalom ihre Stärken hat oder auch überhaupt eher für Biathlon zu haben ist, wenn es in den Schnee geht.
Die Deutschen spielen eigentlich eine Nebenrolle
Slalom- und Riesenslalomspezialist Felix Neureuther (13) vor Markus Wasmeier (neun) sind die besten deutschen Rennfahrer wenn es nach Anzahl der Weltcup-Siege geht. Armin Bittner und Christian Neureuther sind andere prominente Namen, allerdings sind diese als Läufer schon längst Geschichte. Und wer erinnert sich noch an Max Rauffer, dem 2005 kurz vor Karriereende ein sensationeller Sieg in Gröden gelang? Als erstem Deutschen in der Abfahrt seit Wasmeier 13 Jahre zuvor übrigens. Die deutschen Männer spielen in der Abfahrt traditionell eine Nebenrolle wenn es um die großen Auftritte geht.
Auch Thomas Dreßen fiel bis vor kurzem noch kaum jemanden auf. "Eigentlich kannte den vor ein paar Jahren fast keiner", sagt ein Insider aus Bayern. Doch dann sei Dreßen im Weltcup gestartet und dann seien eben erste gute Ergebnisse gekommen, besonders der dritte Platz beim Weltcup in Beaver Creek im Dezember. Sein hoher Unbekanntheitsgrad lag wohl darin begründet, dass der Werdegang des in Nordrhein-Westfalen geborenen Dreßen über Umwege und eben auch an Bayern vorbei lief. Schon nach der Grundschule in oberbayrischen Mittenwald zog er nach Österreich, wo er dann später das Skigymnasium im Saalfelden besuchte. 2013 machte er in Österlich seine Matura.
2012 bei der Junioren-WM hatte Dreßen schon mit einer Silbermedaille im Riesenslalom überrascht, 2014 gewann er immer noch als Junior WM-Silber in der Abfahrt. Aber trotz alledem, vor dem Weltcup-Rennen in Beaver Creek am 2. Dezember 2017 im US-Bundesstaat Colorado, hatte seine Karriere noch nicht recht Fahrt aufgenommen. Und nun muss der schon 24 Jahre alte junge Mann schon wieder aufpassen, dass ihn der Rummel nicht zu sehr unter Druck setzt. Sein fast perfektes Siegrennen vom Sonnabend hat Dreßen eben noch nicht unter dem Druck des Siegenmüssens zu Ende gefahren. Nach dem Erfolg aber, redeten ihn Experten schon zum Favoriten beim Abfahrtsrennen in Pyeongchang.
Noch immer Außenseiter
Dieses große Rennen ist jetzt nur noch drei Wochen entfernt. Tiefstapeln ginge nach Dreßens Sensationsrennen von Tirol und vor dem anstehenden Heimrennen in Garmisch-Partenkirchen nicht mehr, hieß es am Sonnabend. "Das lässt sich jetzt nicht wegdiskutieren, wenn du Kitzbühel gewinnst unmittelbar vor Olympia, dass du dann einer der Favoriten bist, ja klar", sagte Bundestrainer Mathias Berthold. "Es ist ihm eigentlich vieles zuzutrauen." Dreßen habe die Fähigkeit, sich an die für ihn noch immer relativ unbekannten Strecken heranzutasten. Am Samstag fuhr er in Kitzbühel inklusive aller Übungsfahrten aus dem vorigen Jahr erst das sechste Mal über die schwerste Strecke der Welt.
Menschen, die Thomas Dreßen, kennen, beschreiben ihn als lustigen und angenehmen Zeitgenossen. Doch den Dreßen, der nicht die Streif gewonnen hatte, den gibt es nicht mehr. Nach seinem großen Triumph wusste Thomas Dreßen, dass er nun wahrscheinlich weiter kommt, wenn er sich nicht zu groß redet. Der junge Mann sagte: "Ich bezeichne mich immer noch als Außenseiter. Ich bin noch relativ jung und habe noch nicht die Erfahrung. Bei Olympia war ich noch nie." Das wird sich dann in knapp drei Wochen ändern. Und Sepp Ferstl, vor Dreßen letzter deutscher Sieger auf der Streif, sagt: "Die Erwartungen sind jetzt groß. Hoffentlich lässt er sich nicht nervös machen."