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Diplomat im Chefsessel. Thomas Bach agiert auch als IOC-Präsident gern aus der sicheren Deckung heraus.
© AFP

Nach der Russland-Entscheidung: Thomas Bach: In Moskau ein Held

Thomas Bach hat stets klug taktiert – doch die Russland-Entscheidung stellt das IOC vor die Zerreißprobe.

Das Bundesverdienstkreuz hat Thomas Bach schon. Ob er bald auch mit der Auszeichnung „Held der Russischen Föderation“ bedacht wird? In Moskau wird der Präsident des Internationalen Olympischen Komitees (IOC) jedenfalls schon wie ein Held gefeiert. Der Deutsche durfte am Montag von vielen russischen Titelseiten strahlen. „Bach sagte: Auf geht’s“, titelte die große Boulevardzeitung „Moskowski Komsomolez“. Russland weiß offenbar, bei wem es sich dafür bedanken muss, dass es nicht komplett von Olympia ausgeschlossen wurde.

Wenn die Spiele am 5. August beginnen, wird auch die russische Fahne ins Olympiastadion von Rio getragen werden. Obwohl die Welt-Antidoping-Agentur (Wada) vom „größten Doping-Skandal aller Zeiten“ sprach und Russland Staatsdoping in großem Stil vorwarf, hatte das IOC am Sonntag russischen Athleten das Startrecht eingeräumt. Lediglich Russlands Leichtathleten bleiben nach der Entscheidung des Internationalen Sportgerichtshofs (Cas) komplett gesperrt.

Auch wenn er sich selbst eher in den Hintergrund zu stellen versuchte: Die umstrittene IOC-Entscheidung pro Russland machten viele Experten vor allem an der Person Bach fest. Als Schlüsselfaktor nannten nicht nur Russlands Medien seine enge Männerfreundschaft mit Staatspräsident Wladimir Putin. Es heißt, dass Russland den Deutschen bei der Wahl zum IOC-Präsidenten und auch danach unterstützte. Bach hat dazu einmal gesagt: „Wenn man von mir in Deutschland als Russenversteher spricht, nehme ich es als Kompliment und bedanke mich dafür.“

Seit Sonntag teilt sich die olympische Welt nun in Bachversteher und Bachkritiker. Dieser Riss geht sogar quer durch den Deutschen Olympischen Sportbund (DOSB). Während der DOSB-Präsident Alfons Hörmann das Urteil „im Sinne des Fair Play“ begrüßte, reagierte die DOSB-Athletenkommission enttäuscht. Es sei eine „vertane Chance“, Russland nicht von den Spielen auszuschließen.

Ganz ähnlich sieht das die Wada, die dem IOC den Komplettausschluss Russlands empfohlen hatte. Präsident Craig Reedie erklärte: „Die Wada ist enttäuscht, dass das IOC nicht dem Rat des Wada-Exekutiv-Komitees gefolgt ist.“ Der Report des kanadischen Juristen Richard McLaren habe „zweifellos ein staatlich organisiertes Doping-Programm in Russland bloß gelegt“.

Von einem „traurigen Tag für den gesamten Sport“ sprach Friedhelm Julius Beucher, der Präsident des Deutschen Behindertensportverbands. „Doping ist Betrug und kann auch nicht durch einen Teilerlass behoben werden.“ Er verwies darauf, dass das IOC-Pendant IPC sich weiterhin vorbehält, Russland komplett von den Paralympics in Rio auszuschließen.

Scharfe Kritik musste sich Bach auch für die Entscheidung anhören, dass ausgerechnet die russische 800-Meter-Läuferin Julia Stepanowa nicht in Rio starten darf, obwohl sie als Kronzeugin den Skandal öffentlich gemacht hatte. Stepanowa ist aus Russland in die USA geflohen, sie wollte als „neutrale Athletin“ an den Start gehen. Der Leichtathletik-Weltverband IAAF hatte ihr sogar eine Starterlaubnis erteilt. Doch Bach erklärte, Stepanowa erfülle nicht die „ethischen Anforderungen“ dafür, weil sie 2013 selbst wegen Dopings überführt worden war.

„Die Wada ist sehr besorgt über die Botschaft, die damit für die Zukunft an Whistleblower wie sie gesendet wird“, sagte Wada-Generaldirektor Olivier Niggli. Die deutsche Anti-Doping-Agentur Nada teilte mit: „Die Entscheidung, Julia Stepanowa das Startrecht für Rio zu verwehren, schwächt das Whistleblower-System.“ Die Botschaft ist klar: Wer auspackt, wird bestraft und nicht geschützt. Clemens Prokop hält die Entscheidung, überführte russische Doper generell nicht in Rio starten zu lassen, zudem für rechtswidrig. Dies sei „eine Verletzung des Gleichheitsprinzips“, sagte der Präsident des Deutschen Leichtathletik-Verbandes. Schließlich dürften Athleten anderer Nationen nach verbüßter Strafe an den Start gehen.

Kritik gibt es auch am Procedere der Einzelfallprüfung für russische Athleten. Dafür sollen laut Bach zwar „sehr harte Bedingungen“ gelten. Die konkrete Vorgehensweise überlässt das IOC dabei jedoch den verschiedenen Weltsportverbänden. Und die werden die meisten der knapp 400 russischen Sportler wohl schon allein deshalb für die Spiele zulassen, weil die drängende Zeit mehr als eine oberflächliche Prüfung praktisch unmöglich macht. .Der Weltverband der Schwimmer teilte am Montag indes mit, man würde sieben russischen Athleten die Olypia-Teilnahme verwehren. Zu den vier von Russland bereits zurückgezogenen Schwimmern, unter ihnen Weltmeisterin Julija Jefimowa, kommen drei weitere Athleten, deren Namen im McLaren-Report auftauchen.

Bach ist kein Mann der großen Visionen oder der eisernen Prinzipien

Es herrscht Chaos im Olympialand. Vor seinen zweiten Spielen als Präsident hat Thomas Bach das IOC in eine schwere Glaubwürdigkeitskrise manövriert. Dabei war er im September 2013 mit der Mission angetreten, das Vertrauen in die Marke Olympia wiederherzustellen. Er hat die „Agenda 2020“ ins Leben gerufen, mit der er nach zahlreichen Korruptionsaffären den Reformwillen des IOC unterstreichen wollte. Bei seiner ersten wirklichen Bewährungsprobe als Präsident allerdings scheiterte der gelernte Jurist daran, die olympischen Werte entschlossen zu verteidigen. Hatte er sich vorher stets als Verfechter der „Null-Toleranz-Politik“ in Sachen Doping geriert und „härteste Sanktionen“ für Russland in Aussicht gestellt, drückte sein IOC nun beide Augen zu.

Überraschend ist das wiederum nicht. Bach ist kein Mann der großen Visionen, die er bedingungslos verfolgt. Kein Mann der eisernen Prinzipien, die er mit aller Macht vertritt. Seine Agenda wurde zumeist durch seinen eigenen Karriereplan bestimmt. Der Stratege Bach geht nicht voran, riskante Entscheidungen meidet der 62-Jährige. Er handelt auch in verantwortlicher Position aus einer sicheren Deckung. Er wägt geschickt ab, lässt sich beraten und präsentiert nach erfolgtem Interessensausgleich eine mehrheitsfähige Lösung. Ein Diplomat im Chefsessel.

So ging der frühere Fechter schon zu seiner aktiven Zeit als Athletensprecher vor, so taktierte er sich später dank seines großen Netzwerkes hoch zum Präsidenten des Deutschen Olympischen Sportbundes und dann des IOC. Und auch in der Russland-Frage erweckte er den Eindruck, eher unbeteiligter Moderator denn Entscheider zu sein. Bei der Begründung schickte er das IOC-Exekutivkomitee voraus, das die Angelegenheit „in großer Einigkeit“ so entschieden habe. Die Verantwortung für die Prüfung der russischen Athleten wiederum übertrug er den Sportverbänden und dem Cas.

Durch Bündnisse und strategische Partnerschaften, durch sein sicheres Gespür dafür, niemanden zu brüskieren, ist Thomas Bach an die Spitze des Weltsports gekommen. Doch diesmal hat seine bewährte Strategie nicht gegriffen. Weil er in einer der schwersten Stunden der Olympiageschichte die unbequeme Entscheidung vermied, hat Bach den olympischen Sport vor eine Zerreißprobe gestellt. (mit dpa)

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