Biathlon und Doping: Suche nach dem Gegengift
Boykott? Ausschluss? Vor dem Weltcup in Oberhof ist der Dopingverdacht gegen 31 russische Biathleten das dominante Thema.
Vor Beginn des Biathlon-Weltcups in Oberhof gab es in den vergangenen Jahren immer nur ein beherrschendes Thema: das Wetter. Es gab zwar ein paar Variationen, mal ging es mehr um die milden Temperaturen, mal um den starken Nebel und immer irgendwie um den fehlenden Schnee. Im Vorjahr kam dann alles so heftig zusammen und vor allem mangelte es so sehr an Schnee, dass der Weltcup in Thüringen zum ersten Mal abgesagt werden musste. Das wird dieses Mal nicht passieren. Die Organisatoren hatten schon lange vor dem Wintereinbruch genügend Kunstschnee vorbereitet. Nach dem starken Schneefall mussten freiwillige Helfer die verschneiten Tribünen nun sogar freiräumen. Das erste Rennen an diesem Donnerstag, der Sprint der Männer (14.15 Uhr/ZDF und Eurosport), kann also problemlos über die Bühne gehen.
Ein Aufreger-Thema gibt es rund um diesen Weltcup trotzdem: Doping. Seitdem Richard McLaren, der Chefermittler der Welt-Anti-Doping-Agentur (Wada), den Internationalen Biathlon-Verband (IBU) im Dezember darüber informierte, dass 31 russische Biathleten verdächtigt werden, ist die Unruhe groß. Laut dem McLaren-Report sollen bei den Olympischen Winterspielen 2014 in Sotschi Dopingproben russischer Athleten mithilfe des Inlandsgeheimdienstes ausgetauscht oder manipuliert worden sein. Die IBU begann daraufhin, gegen die 31 Athleten zu ermitteln, und sperrte bislang Jana Romanowa und Olga Wiluchina vorläufig. Die beiden Medaillengewinnerinnen von Sotschi bestreiten, gedopt zu haben. Wiluchina war schon im November zurückgetreten. Die Namen der anderen 29 beschuldigten Sportler sind allerdings nicht bekannt.
Zahlreiche Gerüchte, Anschuldigungen und Dementis wabern nun herum. Und weil einige Athleten und Verbände ankündigten, den Weltcup im russischen Tjumen im März boykottieren zu wollen, verzichteten die Russen freiwillig darauf, den Weltcup auszurichten – ebenso die Junioren-Weltmeisterschaft in Ostrow.
Doch dieser Vorstoß beruhigte die Gemüter nicht. Der französische Gesamtweltcup-Führende Martin Fourcade kritisiert die Absage des Wettkampfes in Sibirien als „Heuchelei“. „Das verhöhnt den Kampf gegen Doping. Die Einzigen, die dadurch bestraft werden, sind die Biathlon-Fans in Russland“, sagte Fourcade. Es sei ein Mittel, „diejenigen zufriedenzustellen, die Pseudo-Sanktionen gegen Russland wollen. Aber im Grunde ändert das nichts. Ich habe es satt.“
Fourcade will in Oberhof mit den anderen Biathleten überlegen, was sie tun können
Der zweimalige Olympiasieger hatte zuvor sogar einen Weltcup-Boykott ins Spiel gebracht, sollte die IBU bei Beweisen nicht rigoros gegen den russischen Verband vorgehen. Allein will der zehnmalige Weltmeister, der in dieser Saison sieben der acht Rennen gewann, das aber nicht tun. „Ich werde mich nicht für die anderen opfern. Ich bin weder Martin Luther King noch Nelson Mandela, und ich fühle mich auch nicht dazu berufen, es zu sein“, sagte der 28-Jährige. Es könne nur etwas geschehen, wenn alle Athleten mit einer Stimme sprechen. Und so will Fourcade in Oberhof mit den anderen Biathleten überlegen, was sie tun können.
Mark Kirchner, der Männer-Bundestrainer, ist von einem Weltcup-Boykott durch die Athleten nicht überzeugt. „Wenn sich der Erfolgreichste, der das meiste Gehör findet, voranstellt, ist das zu begrüßen. Aber ich sehe es immer sehr dezent, was am Ende die Auswirkungen dessen sind, was man da macht“, sagte er in Oberhof.
Wolfgang Pichler, von 2011 bis 2013 Trainer der russischen Biathletinnen und nun Chefcoach der Schweden, fordert drastische Maßnahmen gegen Russland, sollten sich die Verdächtigungen bewahrheiten. Dann gäbe es aus seiner Sicht für einen Ausschluss der gesamten russischen Mannschaft von den Winterspielen 2018 in Pyeongchang keine Alternative. „Wenn das alles so stimmt, wie es gesagt worden ist, dann müssten die Russen eine Olympia-Pause machen. Da trifft es natürlich auch Unschuldige, aber alles andere wäre sinnlos“, sagte der 61-Jährige. „Die Russen hätten dann Zeit zum Nachdenken. Und wir können neu anfangen.“ Doch davon sind die Verantwortlichen im Biathlon noch weit entfernt.
Johannes Nedo