Serie Olympisches Berlin (4): Sportforum Hohenschönhausen: Medaillen aus Wellblech
Das Sportforum Hohenschönhausen war in der DDR erfolgreiche Kaderschmiede, auch heute ist es noch ein einzigartiges Leistungszentrum. Kurz vor Beginn der Olympischen Winterspiele wird hier noch geschwitzt.
Ottmar Trittels großer Stolz parkt in einem kleinen Kabuff der Eisschnelllaufhalle. Seine beste Maschine – ohne die läuft hier nichts. „Sonderanfertigung“, sagt der Mann mit dem angegrauten Haar. Ein Lächeln huscht über sein kantiges Gesicht. Dann sprudelt es aus Trittel heraus: „Na raten Sie doch mal, was so eine Eisaufbereitungsmaschine mit allen Extras kostet. Kommen Sie nicht drauf. 150 000 Euro.“ Drei davon haben sie in der Eisschnelllaufarena, Teil des Trittelschen Reichs.
Der Endfünfziger ist Herr über die wichtigsten Hallen im Sportforum Berlin. Er zeigt auf die 400-Meter-Bahn, wo ein Eismeister gerade die Fläche aufbereitet. Trittel nickt zufrieden: „Der macht gute Arbeit.“ Nur leider werde die oft nicht gewürdigt. Vor ein paar Jahren hätten sich ein paar Läuferinnen bei einem Wettkampf mal heftig beschwert. Zum Glück habe Gunda Niemann dann im selben Rennen noch einen Bahnrekord aufgestellt. „Gunda, du hast uns gerettet, habe ich ihr gesagt.“
Ohne Trittel, einst im DDR-Bahnradfahrteam in der Vierer-Mannschaft der Verfolger aktiv, läuft wenig im Sportforum in Hohenschönhausen – dem Zentrum des Berliner Leistungssports. Sportanlagen auf über 45 Hektar Gelände, Hauptnutzer ist der Olympiastützpunkt Berlin. Täglich schwitzen mehr als 3000 Sportlerinnen und Sportler auf dem Gelände, auf dem auch das Schul- und Leistungssportzentrum Berlin (SLZB) mit mehr als 1000 Schülern beheimatet ist. Zehn Prozent der Bundeswehrkaderathleten, insgesamt 300, trainieren hier.
Ohne das Sportforum würde es wohl kaum ein Berliner Sportler bis zu den Olympischen Spielen schaffen. Erst recht nicht zu Winterspielen wie nun in Sotschi. Dort starten in ein paar Tagen zwölf Berliner im deutschen Team. Von Eisschnellläuferin Claudia Pechstein bis Eiskunstläufer Peter Liebers haben sie alle Wurzeln im Sportforum – auf einer Anlage, die es ohne die DDR so nicht geben würde.
Robert Harting isst heute noch in der Schulmensa
Das sieht auch Gerd Neumes, Rektor der Sportschule, so. „Das war hier die Kaderschmiede“, sagt er. „Früher wurde gewitzelt, dass Sportler aus dem Sportforum mehr Medaillen geholt haben als die gesamte britische Olympiamannschaft.“ Aber das sei natürlich lange vorbei. Seit 1991 ist Gerd Neumes Schulleiter. Seitdem habe sich viel verändert. Einiges ist geblieben. „Unsere Athleten sind nach wie vor erfolgreich, national fast alle im oberen Niveau.“ Und darüber hinaus. Goldmedaillengewinner Robert Harting isst heute noch ab und an in der Schulmensa. Die Berührungspunkte zwischen Nachwuchs und Vorbildern seien groß. Neumes kennt sie alle. Von Claudia Pechstein über Sven Felski bis zur Eisschnellläuferin Jenny Wolf, die nun auch in Sotschi startet.
Alle Olympiastarter aus Berlin haben im Sportforum trainiert, sieben Eisschnellläufer, drei Eiskunstläufer und zwei Eishockeyspielerinnen. Sieben davon sind in Hohenschönhausen erwachsen geworden und Absolventen des SLZB. Neben Wolf, Pechstein und Liebers noch die Eisschnellläufer Bente Kraus, Monique Angermüller und Samuel Schwarz sowie die Eistänzerin Tanja Kolbe, die in Russland im Paarlauf startet. „Was meinen Sie, was die ehemaligen Lehrer stolz sind, wenn einer ihrer Schüler etwas gewinnt“, sagt Neumes. Der Komplex Sportforum sei eben einmalig in seiner Art, europaweit. „Aber, sind wir ehrlich, so eine Anlage wie hier würde heute in Deutschland niemand mehr bauen.“
Der Sportstättenkomplex entstand in den fünfziger Jahren. 1950 wurden auf dem Gelände die Reste einer riesigen Flakstellung aus dem Zweiten Weltkrieg beseitigt. Ab 1956 wurde gebaut nach Entwürfen eines Architektenkollektivs. Das Gebäudeensemble steht unter Denkmalschutz. 35 Sportanlagen, darunter drei Eissporthallen, zwei Turnhallen, ein Fußballstadion sowie weitere acht Hallen und Freianlagen für Leichtathletik, Handball, Volleyball, Judo, Fechten, Bogenschießen, Fußball und die jüngst errichtete Beachvolleyballhalle.
Die DDR hat auf dem Gelände unzählige Spuren hinterlassen.
Die DDR hat auf dem Gelände unzählige Spuren hinterlassen. Hier und da noch graue Fassaden, in mancher Ecke scheint der Geruch nach Plaste noch nicht verflogen zu sein. Menschen wie Ottmar Trittel und Detlef Kästner arbeiten seit Jahrzehnten im Sportforum. Kästner ist Hausmeister in der Trainingshalle der Füchse Berlin, seit vergangenen Sommer trainieren die Handballer in Hohenschönhausen. Kästner gewann 1980 bei den Olympischen Spielen in Moskau Bronze im Halbmittelgewicht. Der ehemalige Boxer – „ich bin noch ganz ordentlich in Schuss, sieht man ja“ – präsentiert stolz die Umkleidekabine der Bundesligahandballer. Oleg Krüger, Verwaltungsleiter des Sportforums, setzt ein freundliches Alles-eine-große-Familie-hier-Lächeln auf. 104 Mitarbeiter gebe es im Sportforum, sagt Krüger. Ein Teil davon arbeite im Hallenkomplex an der Paul-Heyse-Straße einige Kilometer weiter westlich.
„An 365 Tagen im Jahr haben wir geöffnet, der Spitzensport macht keine Pause“, sagt Oleg Krüger. Mit ruhiger Stimme trägt er noch ein paar große Zahlen vor. Mehr als 3000 Veranstaltungen gibt es jährlich im Sportforum. Viele davon im Nachwuchsbereich, im Schulsport und einige im Spitzensport, wie etwa zuletzt im Dezember den Weltcup im Eisschnelllauf. „Wir haben insgesamt 95 Nutzer auf dem Gelände“, sagt Krüger. „Das ist ein hohes Maß an Auslastung. Es wird viel geschwitzt hier.“
Eines der größten Highlights sei zuletzt das Abschiedsspiel für Sven Felski gewesen, erzählt Krüger. Da waren 5000 Zuschauer im „Wellblechpalast“, der großen Eishockeyhalle. Vor sechs Jahren sind die Eisbären für ihre Spiele umgezogen in die riesige Mehrzweckarena am Ostbahnhof. Was die öffentliche Wahrnehmung des Sportforums angeht: ein Rückschlag. Aber Krüger sagt, erst kürzlich habe man einen langfristigen Vertrag mit dem Stammverein der Eisbären geschlossen, deren sämtliche Mannschaften im Sportforum trainieren und bis auf die Profis auch dort spielen. „Im Nachwuchs und auch bei den Profis – die O2-World kann nicht ohne uns, kann nicht ohne den Wellblechpalast.“
Die gewellten Dächer sind typisch für das Sportforum. Sie thronen nicht nur auf den drei Eishallen, sondern auch auf der großen Leichtathletikhalle nebenan. In der trainiert an diesem Morgen Hammerwerferin Betty Heidler. Unter den Augen ihres Trainers Werner Goldmann donnert sie ihr Sportgerät gegen riesige von der Decke baumelnde Gummimatten. Die Dachkonstruktionen mit dem Wellblech stammen aus tschechischer Fertigung, erzählt Ottmar Trittel. Statisch habe nach der Wende nachgebessert werden müssen.
Das Sportforum diente der Fernsehserie "Weißensee" als Kulisse
Unter dem Wellblech der Leichtathletikhalle treffen sich alle, auch die Fußballer des BFC Dynamo drehen auf der Laufbahn ihre Runden. Der vor dem Aufstieg in die Regionalliga stehende Traditionsklub mit eigenem Stadion im Sportforum hat bessere Voraussetzungen als andere Fünftligisten.
Eisschnellläufer Samuel Schwarz trainiert kurz vor seinem Abflug nach Sotschi im Kraftraum gleich neben der Leichtathletikhalle. Aus einem Ghettoblaster scheppert Rockmusik. Umrahmt von rustikalem Mauerwerk stehen modernste Geräte. Schwarz sagt: „Hier im Sportforum stimmt alles, von der Physiotherapie bis zum Kraftraum.“ Nur die Fassade sei im Sportforum nicht unbedingt einladend. Die gelbroten Ziegel, das blässliche Türkisblau, das Wellblech. Bei vielen Bauten scheint die Zeit stehen geblieben, so sehr, dass kürzlich für die Fernsehserie „Weißensee“ das Sportforum als Kulisse herhalten musste.
Das Äußere erzähle noch eine Geschichte, die mit dem Inneren nichts mehr zu tun habe, sagt Katrin Wolter von der Senatsverwaltung für Inneres und Sport. „Allein 25 Millionen Euro wurden zwischen 2006 und 2011 vom Land mit Unterstützung des Bundes investiert“, sagt Wolter. „In den Hallen passiert unglaublich viel.“
Ottmar Trittel hat erlebt, wie sich die Hallen im Sportforum mit den Jahren verändert haben, etwa die große Eisschnelllaufhalle. „Sehen Sie mal die Beleuchtung an, besser geht es nicht“, sagt er. „Das ist alles so ausgerichtet, dass überall das gleiche Licht hinkommt.“ Selbst das Fernsehen sei neulich beim Weltcup begeistert gewesen. Claudia Pechstein übrigens auch. Allerdings wegen der Eisqualität. Dem Eismeister habe sie das signalisiert, mit Daumen hoch. Es ist nicht zu übersehen: Dieses Lob rührt selbst einen Routinier wie Ottmar Trittel. „So etwas ist dann schon eine schöne Belohnung für alle Arbeit.“
- Unsere Serie „Olympisches Berlin“ läuft bis zum Start der Olympischen Winterspiele in Sotschi am 7. Februar täglich an dieser Stelle. Alle Teile der Serie unter tagesspiegel.de/olympia.