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Hart umkämpftes Spiel: Russland verlangte den deutschen Handballern alles ab
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Handball-WM: Später Rückschlag: Deutschland spielt gegen Russland remis

Deutschlands Handballer verspielen den dritten Sieg im dritten WM-Spiel spät und trennen sich von Russland 22:22.

Christian Prokop pokerte hoch, er ging sozusagen All-in. Im Vorrundenspiel der Handball-Weltmeisterschaft zwischen Deutschland und Russland waren am Montagabend 53 Minuten gespielt, als sich der Bundestrainer für ein taktisches Wagnis entschied: Er opferte seinen Torhüter Andreas Wolff zugunsten eines zusätzlichen Feldspielers. Normalerweise kommt diese riskante Variante bei aussichtslosen Rückstanden und herunterlaufender Uhr zur Anwendung, sie ist eine Art letzter Strohhalm; die Deutschen hingegen führten zu diesem Zeitpunkt mit drei Treffern (20:17). Prokop wollte die Entscheidung in einer engen, umkämpften Begegnung erzwingen.

Der Plan ging grandios daneben. In den letzten Minuten schaffte es die deutsche Nationalmannschaft tatsächlich, das mühselig erarbeitete Drei-Tore-Polster noch aus der Hand zu geben. Nachdem Sergej Kosorotov sieben Sekunden vor dem Ende zum 22:22 (12:10)-Endstand getroffen hatte, hätte man eine Stecknadel in der sonst so stimmungsvollen Arena am Ostbahnhof auf den Boden fallen hören können.

Christian Prokop: "Natürlich überwiegt im Moment die Enttäuschung, das darf heute Abend auch so sein"

Die Beteiligten hatten das Geschehen ganz ähnlich erlebt. „Für uns ist das ein kleiner Schockmoment“, sagte Nationalspieler Hendrik Pekeler. „Natürlich überwiegt im Moment die Enttäuschung, das darf heute Abend auch so sein“, befand Bundestrainer Prokop. „Das Schöne ist, dass wir jetzt nicht fünf Tage warten müssen, um es besser zu machen.“ Sondern nur 24 Stunden. Am Dienstagabend wird es der Gastgeber allerdings schon sehr viel besser machen müssen: dann wartet mit Titelverteidiger Frankreich der nach allgemeinem Dafürhalten schwerste Gegner in der Vorrunde (20.30 Uhr, Arena am Ostbahnhof und live bei ARD).

Zu hoch gepokert? Nationaltrainer Christian Prokop opferte nach 53 Minuten Torwart Andreas Wolff für einen weiteren Feldspieler. Das Experiment scheiterte
Zu hoch gepokert? Nationaltrainer Christian Prokop opferte nach 53 Minuten Torwart Andreas Wolff für einen weiteren Feldspieler. Das Experiment scheiterte
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13500 Besucher in der ausverkauften Berliner Halle sahen nach den Pflichtsiegen gegen Korea und Brasilien einen holprigen Start der Deutschen; die Russen erwiesen sich als zäher, resistenter Konkurrent, der sich nach Leibeskräften und über die volle Distanz zur Wehr setzte. Trainer Eduard Koksharov hatte an der Taktiktafel eine ultraoffensive Deckungsvariante mit zwei vorgezogenen Spielern entworfen, um dem Gastgeber beizukommen. Zunächst schaffte es die Auswahl des Deutschen Handball-Bundes (DHB) jedoch, das Bollwerk vorbildlich in Bewegung zu bringen und auseinanderzuspielen. Kapitän Uwe Gensheimer traf nach einer Viertelstunde erstmalig an diesem Abend zur Zwei-Tore-Führung (5:3). Selbst als kurz darauf die Rotation einsetzte und Prokop zu wechseln begann, ging dem deutschen Spiel nicht die Sicherheit ab. Mit 12:10 ging es in die Kabine.

Paul Drux leistete sich einen kapitalen Abspielfehler

Nach der Pause baute seine Mannschaften den Vorsprung kontinuierlich aus. Als Steffen Weinhold den Ball zum zwischenzeitlichen 15:11 unter die Latte nagelte, nahm der dritte Sieg im dritten Vorrundenspiel bereits halbwegs konkrete Konturen an. Dass es nicht so kam, hatte verschiedene Gründe: Zum einen gingen den Deutschen in der Offensive mit fortwährendem Verlauf die Ideen aus, zum anderen scheiterten sie nun regelmäßig an Victor Kireev im russischen Tor. „Wenn man nur 22 Tore wirft, ist es schwierig, ein Spiel bei einer Weltmeisterschaft zu gewinnen“, sagte Rechtsaußen Patrick Groetzki. „Wir haben es einfach versäumt, den Sack frühzeitig zuzumachen, diesen Vorwurf müssen wir uns gefallen lassen“, sagte Steffen Weinhold. Der Kieler selbst hatte nach 53 Minuten beim Stand von 20:17 und in Sieben-gegen-Sechs-Überzahl die Vorentscheidung in der Hand; sein Wurf landete an der Latte und sprang von dort ins Aus.

Auf der anderen Seite leistete sich Paul Drux einen kapitalen Abspielfehler, den die Russen zum 19:20-Anschlusstreffer nutzten. Bis dahin hatte der Mann von den Füchsen Berlin ein starkes Spiel gemacht und gerade in Halbzeit zwei einige Siebenmeter erzwungen, die Kapitän Gensheimer allesamt sicher verwandelte. Umso enttäuschte zeigte er sich hinterher. „Das ist extrem bitter für uns gelaufen, ein verlorener Punkt“, sagte Drux.

Wie reagiert die Nationalmannschaft in Drucksituationen? Ist sie als Einheit dermaßen gewachsen, dass sie mit Rückschlägen umgehen kann? Was passiert, wenn auf gut Deutsch der Baum brennt? Das waren vor dem Turnierstart zentrale Fragen, die über dem Team kreisten. Am Dienstagabend wird sich zeigen, wie es um den Zusammenhalt und die Konkurrenzfähigkeit auf höchstem internationalen Niveau bestellt ist. Die erste richtige Bewährungsprobe im Turnierverlauf – sie kommt viel früher als es den Spielern und dem Trainerstab lieb sein kann.

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