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Heimatvertrieben. Sorja Luhansk kann im Donbass nicht spielen.
© REUTERS

Der Gegner von Hertha BSC: Sorja Luhansk: Auswärts zu Hause

Sorja Luhansk ist ein Fußballklub ohne Heimat. Wegen des Ukraine-Kriegs spielt er immer woanders – an diesem Donnerstag gegen Hertha BSC in Lwiw.

Als Sorja Luhansk am 27. April 2014 das Ligaspiel gegen Gowerla Uschgorod im heimischen Awangard-Stadion austrug, konnte keiner ahnen, dass dieser Tag ein Ende markieren würde. Die Lage im Donbass war schon damals angespannt – prorussische Separatisten hatten die Stadtverwaltungen von Donezk und Luhansk besetzt. Trotzdem war es für die Fans des ostukrainischen Vereins unvorstellbar, dass sie ihre Mannschaft vorerst zum letzten Mal daheim verfolgen würden.

Seitdem in Luhansk Separatisten, die von Russland angeführt und finanziell wie militärisch unterstützt werden, die Macht übernommen haben, muss der Klub seine Heimspiele auswärts austragen – und trotzdem schafft er es, irgendwie den Spielbetrieb aufrecht zu erhalten. Im Krieg Fußball zu spielen. Das Awangard-Stadion zu Hause bleibt leer und ungepflegt. Nur noch ab und zu werden dort Spiele der international nicht anerkannten Meisterschaft der Volksrepublik Luhansk ausgetragen.

Doch während der Fußball in Luhansk beinahe ausstirbt, ist Sorja so erfolgreich wie lange nicht. Und das, obwohl die Luhansker durch die ganze Ukraine touren, seitdem der Krieg im Donbass ausgebrochen ist, der nach UN-Einschätzungen bisher mehr als 10 000 Menschen das Leben gekostet hat. In der ukrainischen Premier-Liga hat Sorja seine Heimat schnell in Saporischschja gefunden. In der Europa League hingegen war der Klub bereits in Kiew und Odessa als Heimmannschaft zu Gast. Am Donnerstag, wenn Luhansk Berlins Bundesligisten Hertha BSC in der Europa League empfängt, geht es nach Lwiw (Lemberg) in den Westen der Ukraine. „Das Wort Heimspiel klingt für mich übertrieben“, sagt Sorjas Generaldirektor Sergej Rafailow. „Klar werden wir im Europapokal von allen unterstützt. Nach dem Umzug haben wir jedoch kaum eigene Fans im Stadion.“

Luhansk war 1972 Meister in der Sowjetunion

Größer könnte der Unterschied zu 1972 kaum sein, als Sorja die sowjetische Meisterschaft gewann und seine beste Zeit der Vereinsgeschichte erlebte. Vor 45 Jahren war das Stadion in Luhansk bei jedem Spiel voll, in dieser Saison ist Sorja mit durchschnittlich 3500 Fans pro Spieltag in dieser Kategorie das drittschlechteste Team der Liga. Tatsächlich ist es bei Spielen in Saporischschja sehr ruhig, wenn es nicht gerade gegen die beiden Großmächte des ukrainischen Fußballs, gegen Schachtjor Donezk und Dynamo Kiew, geht.

Nicht nur wegen der Kriegsumstände kommt es einem Wunder gleich, dass Sorja in der vorigen Saison den dritten Rang in der ukrainischen Liga belegt hat und in dieser Saison wieder im Europapokal spielt. Denn eigentlich ging es für den Verein aus Luhansk gleich nach dem sensationellen Gewinn des Meistertitels von 1972 kontinuierlich bergab: Luhansk stürzte im Laufe der Zeit in die dritte sowjetische Liga ab und blieb auch nach der Auflösung der Sowjetunion 1991 völlig unbedeutend. Erst 15 Jahre später schafften es die Luhansker in die erste ukrainische Liga. Richtig aufwärts ging es aber erst, nachdem der Oligarch Jewhen Geller den Verein gekauft hatte. Geller wird mit dem Schachtjor-Präsidenten und dem reichsten Mann der Ukraine, Rinat Achmetow, in Verbindung gebracht.

Generaldirektor Rafailow sagt, dass Luhansk längst nicht so viel Mittel habe wie Schachtjor und dass man Probleme hätte mit der Auszahlung von Spielergehältern. „Trotzdem würden wir ohne den Präsidenten definitiv nicht dort stehen, wo wir sind.“ Die Erfolge sind aber nicht nur dem Geld Gellers, sondern vor allem dem Trainer Juri Wernidub zu verdanken, der einst auch mal eine Saison beim Chemnitzer FC spielte. 2010 holte der damalige Cheftrainer Anatoli Tschensew den heute 51-jährigen Wernibud als Co-Trainer. Als Sorja 2011 in die Abstiegszone geriet, übernahm Wernibud als Interimstrainer.

Doch was als Zwischenlösung geplant war, hält nun schon seit sechs Jahren an. Die Bilanz des Trainers liest sich glänzend: Schon zum vierten Mal hintereinander hat sich Luhansk für den internationalen Wettbewerb qualifiziert. Im vergangenen Jahr schaffte es Sorja außerdem ins Pokalfinale. „Ich hätte selbst nicht geglaubt, dass unser Märchen immer noch weitergehen würde“, sagt Wernibud. „Doch es geht in der Tat immer weiter – und das Ende ist nicht in Sicht.“

Sorja will es in die K.-o.-Runde schaffen

Überraschender Erfolg. Am zweiten Spieltag der Europa League siegte Luhansk bei Athletik Bilbao.
Überraschender Erfolg. Am zweiten Spieltag der Europa League siegte Luhansk bei Athletik Bilbao.
© AFP

Das vorerst letzte Kapitel dieses Märchens war der sensationelle 1:0-Sieg gegen Athletic Bilbao, den Sorja Ende September im Baskenland feierte. „Das war ein hochverdientes Geschenk nach allem, was wir in den vergangenen Jahren geleistet haben“, sagte Wernidub. Dabei musste der 51-Jährige vor dem Europa-League-Spiel mit Verletzungspech kämpfen und ohne Stürmer im Kader gegen Athletic auftreten. Nach einer Ecke konnte Igor Charatin Sorja in Führung bringen, danach haben die Luhansker fast nur noch verteidigt – mit Erfolg.

Sorja belegt nach zwei Spielen mit drei Punkten den zweiten Rang in der Europa-League-Gruppe J – wohlgemerkt vor Bilbao und Hertha. „Wir wissen, dass es schwierig ist, aber wir wollen die K.-o.-Runde schaffen“, sagt Wernidub, für dessen Mannschaft es in der Liga in dieser Saison nicht so gut läuft. Einige Schlüsselspieler haben das Team im Sommer verlassen. Sorja liegt im Moment abgeschlagen auf Platz sieben. „Die Jungs, die bei uns spielen, sind richtige Männer. Das haben sie unter anderem in Bilbao bewiesen“, sagt Wernibud. „Weder die generell schwierige Situation noch der Tabellenplatz sollte für uns zum Problem werden.“

Doch Sorja macht auch außerhalb des Fußballfeldes und der politischen Lage rund um den Donbass von sich reden. So hat jener Generaldirektor Rafailow, der in der Ukraine als einer der solidesten Fußballmanager gilt, im vergangenen Jahr für große Empörung in England gesorgt, als die Luhansker bei Manchester United spielten. „Mir hat Manchester überhaupt nicht gefallen. Es ist eine schmutzige Stadt. Unser Hotel befand sich im Zentrum, doch sogar vor dem schliefen massenhaft Obdachlose“, sagte Rafailow. „Außerdem war es für mich irgendwie wild, den Männern zuzuschauen, die einfach so durch die Straßen bummeln und sich küssen. Ich glaube, unsere Befürworter der europäischen Integration sollten noch 20 Mal darüber nachdenken, bis wir den europäischen Weg tatsächlich gehen.“ Viele Fans macht er sich mit solchen Aussagen nicht.

Der Spielort Lwiw liegt näher an Berlin als an Luhansk

Die ganz große Frage bleibt bei Sorja jedoch, ob und wie es mit dem Verein weitergeht. „Die Hoffnung, dass wir bald nach Luhansk zurückkehren, ist nicht besonders groß“, sagt Cheftrainer Wernidub. „Wir stellen uns darauf ein, dass wir auf Dauer heimatlos bleiben.“ Sergej Rafailow sieht das ganz ähnlich „Wir müssen mit dem leben, was wir heute haben. Wir existieren vor allem deswegen, weil der Präsident uns unterstützt“, sagt der Generaldirektor. „Doch nirgendwo außer in Luhansk können wir regelmäßig viele Fans im Stadion haben – und das schränkt unsere wirtschaftlichen Möglichkeiten extrem ein.“

So kommt es zu der seltsamen Situation, dass die Anreise für Gegner Hertha BSC kürzer sein wird als für Sorja Luhansk. 1350 Kilometer liegen zwischen Luhansk und Lwiw. Zwischen Berlin und Lwiw sind es dagegen nur 920 Kilometer. „Irgendwann mal wird auch Luhansk solche Spiele sehen“, versichert Wernidub. Nur wie?

Der Krieg im Donbass will seit nunmehr dreieinhalb Jahren nicht aufhören. Und mit jedem Tag, an dem an der Front geschossen wird, verkleinert sich die Hoffnung darauf, dass der große Fußball bald in die zweitgrößte Stadt des Donbass zurückkehren wird.

Denis Trubetskoy

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