Frankfurts spektakuläre Reise: So geht Europa League
Eintracht Frankfurts Europa-League-Reise war an Dramatik kaum zu überbieten. Die Herangehensweise des Klubs war dabei vorbildlich. Ein Kommentar.
Kurz war da nur Trauer und Ernüchterung. An der Stamford Bridge in London, beim Public Viewing im Frankfurter Waldstadion und sehr sicher auch in diversen Kneipen und Wohnzimmern des Landes. Nach nur wenigen Minuten überwogen im Stadion des FC Chelsea aber andere Emotionen. Vornehmlich Stolz und Dankbarkeit. "Europas beste Mannschaft" skandierten die Gästefans in einer Lautstärke, als ob ihre Mannschaft sich und ihnen gerade doch den Traum vom Finale erfüllt hätte. Und das hat die Europa-Reise von Eintracht Frankfurt auch verdient. Denn die Hessen verwandelten die sonst oftmals so drögen Donnerstagabende plötzlich zu Fernseh-Pflichtveranstaltungen für jeden Fußball-Fan. Die Europa League - das stand in den vergangenen Jahren oftmals nur für deutschen Misserfolg, leere Stadien und eine nicht allzu hohe sportliche Qualität.
Die Eintracht machte aus dem europäischen Zweitwettbewerb dagegen die eigene Champions League. Als erste deutsche Mannschaft überhaupt gewann Frankfurt, angetrieben von einer Fanszene, die ihrer Mannschaft wohl auch nach Sydney, New York oder Mumbai in fünfstelliger Personenzahl gefolgt wäre, alle sechs Gruppenspiele. Lazio Rom, Olympique Marseille, Schachtjor Donezk, Inter Mailand, Benfica Lissabon - das Team von Adi Hütter kegelte echte Schwergewichte aus dem Wettbewerb. Am Ende schied die Eintracht gegen den FC Chelsea auf bitterste Art und Weise im Elfmeterschießen aus. Gegen den Dritten der Premier League, dessen Kader mehr als dreimal so teuer ist wie der der Eintracht, lag der Bundesligist von 210 gespielten Minuten nur 21 in Rückstand. Allein das kann man Frankfurt nicht hochgenug anrechnen.
Sei es der in Augsburg aussortierte Martin Hinteregger, der erst Olivier Giroud und dann Gonzalo Higuain komplett aus dem Spiel nahm. Sei es der treffsichere Luka Jovic, den vor dieser Saison in Europa noch kaum einer kannte und der sich nun vor Angeboten der Top-Klubs dieses Kontinents nicht retten kann. Oder sei es eben Adi Hütter, der das schwere Erbe des Pokal-Siegers Niko Kovac antrat, in der ersten Pokal-Runde in Ulm ausschied und der nach fünf Bundesliga-Spieltagen noch als heißester Kandidat auf die erste Trainerentlassung des Jahres galt. Eintracht Frankfurt bot auch dem neutralen Beobachter so viele Geschichten und so viele Gründe zum Jubeln wie lange kein deutscher Euopa-Pokal-Teilnehmer mehr.
Nun bringt der Erfolg auch Begehrlichkeiten mit sich. Gut möglich, dass diese Mannschaft in der derzeitigen Konstellation nur noch zweimal zusammenspielt. Wenn die Big Player Europas mit den ganz großen Scheinen winken, das hat auch Eintracht-Manager Fredi Bobic wieder und wieder betont, hätten sie in Frankfurt keine andere Wahl, als Spieler ziehen zu lassen.
Es sei denn, die SGE qualifiziert sich aus eigener Kraft für die Champions League, was weiterhin absolut möglich ist. Dann stünde das nächste Europa-Abenteuer vor der Tür, was so manchen Spieler doch zum Bleiben bewegen dürfte. Am Dienstag oder Mittwoch nach Liverpool, Barcelona oder Turin, es wäre die konsequente dramaturgische Weiterentwicklung dieser Geschichte. Und wie man in den weltweit bekannten Fußball-Kathedralen Europas einen Favoriten ans Limit bringt, das wissen sie seit gestern eh.
Louis Richter