Handball-WM: Silvio Heinevetter und Uwe Gensheimer: Gut wie alter Wein
Die Routiniers Silvio Heinevetter und Uwe Gensheimer retten Deutschlands Handballer beim WM-Auftakt gegen Ungarn. Doch hinter Letzterem steht nun ein Fragezeichen.
Mit Handball-Torhütern verhält es sich – willkommen bei der Weltmeisterschaft in Frankreich – wie mit einer Flasche Wein, die irgendwo im Keller reift. Je älter der Jahrgang, desto kostbarer. Das liegt schon in der Natur ihrer Position begründet: Reflexe lassen sich antrainieren, Routine und Erfahrung in Drucksituationen nicht. Zudem ist das Torhüter-Spiel wenig laufintensiv, und aufreibende, physisch harte Zweikämpfe müssen die Keeper auch nicht führen. Dieser Umstand verlängert das Haltbarkeitsdatum des Torhüters im Vergleich zum Feldspieler um einige Jahre, in besonders krassen Fällen sogar um ein ganzes Jahrzehnt. Der Keeper der französischen Nationalmannschaft, Thierry Omeyer, versteht es zum Beispiel selbst im fortgeschritten Alter von 40 Jahren noch als persönliche Beleidigung, wenn er nicht 60 Minuten durchspielen darf.
Auch im deutschen Team ist der Torhüter der Oldie, dabei ist Silvio Heinevetter gerade 32 Jahre jung. Außer ihm hat nur Kapitän Uwe Gensheimer bereits seinen 30. Geburtstag gefeiert. Ansonsten dominieren auf den Positionen von Links- bis Rechtsaußen Jahrgänge aus den 90ern den Kader. Das entspricht dem Leitmotiv, das Bundestrainer Dagur Sigurdsson kurz nach seiner Amtseinführung wie folgt formulierte: „Wenn ich zwei gleich starke Spieler für eine Position habe, nehme ich immer den jüngeren.“
Am Donnerstag, beim WM-Auftaktsieg der Nationalmannschaft gegen Ungarn (27:23), war Sigurdsson allerdings gut damit beraten, auf die Kraft der Erfahrung zu vertrauen. Sein Team mag zum größten Teil jung, regenerationsfähig, hoch veranlagt und damit prädestiniert für ein Turnier mit maximal neun Spielen in 16 Tagen sein. Aber ohne die 13 Treffer Gensheimers und die 14 Paraden Heinevetters? Nicht schwer zu erahnen, dass das erste Match einen ganz anderen Ausgang genommen hätte und die Deutschen vor ihrem zweiten Vorrundenspiel am Sonntag gegen Chile (14.45 Uhr, Livestream bei handball.dkb.de) schon ein wenig unter Druck gestanden hätten. „Wir haben eine unglaublich starke erste Halbzeit gespielt, eine der besten, seitdem ich den Job mache“, sagte Sigurdsson am Samstagmorgen im Mannschaftshotel. Wenn da nicht der zweite Durchgang gewesen wäre, oder wie es DHB-Vizepräsident Bob Hanning nannte: „diese wenig erfreuliche Phase“.
Die Diskrepanz zwischen großer Souveränität in Halbzeit eins und akuter Planlosigkeit nach dem Seitenwechsel war offensichtlich. Einige der zahlreichen Würfe, die sich etwa Rückraumspieler Julius Kühn, 23, herausnahm, hätte vermutlich auch ein durchschnittlicher Verbandsliga-Torhüter pariert, weil ihnen keine Vorbereitung und kein Spielzug vorausging. Ausnahmetalent Paul Drux, 21, hatte ebenfalls einen gebrauchten Tag erwischt. Der Berliner erzwang zwar einige Siebenmeter und Zeitstrafen gegen die Ungarn, im Abschluss hakte es aber auch bei ihm. Drux gelang kein Tor, Kühn traf einmal. Mit einer derart schwachen Ausbeute der Rückraumspieler ist es für gewöhnlich schwer, einen Gegner wie die Ungarn bei einer WM zu besiegen.
Andererseits lag genau darin die positive Erkenntnis des Abends. „Die Mannschaft hat gezeigt, dass sie weiß, wie man auch solche Spiele gewinnt. Das war für mich das Wertvollste“, sagte Hanning, „selbst nachdem es nicht so gelaufen war, hat sie immer wieder Lösungswege gefunden.“ Sigurdsson pflichtete dieser Ansicht bei. „Wir haben starken Charakter gezeigt, eine schwierige Situation gemeistert und das Ding gewonnen“, sagte der Isländer, „jetzt hatten wir einen guten Start, das war wichtig.“
Bislang durfte sich der Bundestrainer stets darauf verlassen, dass sein Team – wie es sich dem Mythos zufolge für eine deutsche Nationalmannschaft gehört – im Verlauf eines Turniers zulegen kann. In einem der nächsten Gruppenspiele wird die deutsche Delegation allerdings auf Matchwinner Gensheimer verzichten müssen. Wann der Kapitän zur Beerdigung seines kürzlich verstorbenen Vaters nach Mannheim reist, ist im Moment aber noch unklar.
Sigurdsson erwartet für den konkreten Fall, dass andere Spieler die Lücke schließen werden. Rune Dahmke wäre zum Beispiel ein geeigneter Kandidat. Schon vor einem Jahr bei der EM in Polen hatte Dahmke den damals verletzten Gensheimer erstklassig vertreten.
„Wir wissen alle, dass so ein Turnier lange dauert und viel passieren kann“, sagte Sigurdsson, „deshalb werden wir alle Spieler aus dem Kader brauchen.“ Egal, wie alt oder jung sie sind.
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