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Wieder in der Luft: Severin Freund musste zuletzt einige Verletzungen durchleiden.
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Update

Skispringen: Severin Freund: Auf der Suche nach dem Gefühl

Severin Freund geht zurückhaltend in die neue Saison der Skispringer. Nach einer Hüftoperation muss er noch einiges aufholen. Zum Weltcup-Auftakt sprang er aber schon auf Platz zwei.

Von Johannes Nedo

Mit seinem Körper ist Severin Freund bestens vertraut, besonders mit den Körperteilen, die für das Skispringen so wichtig sind. Dazu gehören natürlich auch kräftige Oberschenkel. Umso überraschter war er während der Vorbereitung auf die neue Saison. „Meinen linken Oberschenkel habe ich nicht wiedererkannt am Anfang“, sagt er. So dünn sah der aus, so schlapp. Und so war der für ihn so unbekannte Oberschenkel auch ein Zeichen dafür, wie weit er von seinem Sport zwischenzeitlich entfernt war.

Im April musste sich Freund einer Hüftoperation unterziehen. Sie war notwendig geworden, weil er sich nach einem Sturz im vergangenen Januar in Innsbruck durch den Rest des zurückliegenden Winters kämpfen musste. Fast fünf Monate konnte er die komplexen Abläufe des Skispringens nicht trainieren, die schnellkräftigen Bewegungen, die Positionen in der Luft und im Anlauf, die so viel Beweglichkeit und Körpergefühl erfordern.

Ende August konnte der 28-Jährige vom WSV DJK Rastbüchl wieder einsteigen. Er nahm dann sogar am Sommer-Grand-Prix teil und erreichte ein paar ordentliche Resultate unter den Top 20. Auch an diesem Freitag im finnischen Kuusamo, wenn die Skispringer in die neue Saison starten (17 Uhr/ZDF und Eurosport), ist Freund dabei. Doch so stark wie in den vergangenen Jahren, als er Skiflugweltmeister, Gesamtweltcupsieger, Weltmeister und zuletzt Zweiter der Vierschanzentournee wurde, wähnt er sich noch lange nicht. „Die letzten Wochen in der Vorbereitung haben mir gezeigt, dass es noch ein längerer Weg sein wird, bis ich da bin, wo ich hin will: in die Weltspitze“, sagt Freund.

Der beste deutsche Skispringer geht also mit gehöriger Skepsis in diesen Winter. Dass hat mittlerweile gar nicht mehr mit den Erinnerungen an seinen kleinen Oberschenkel zu tun. „Da konnte ich schnell wieder Volumen aufbauen“, betont er. Vielmehr liegt es daran, dass ihm sein Sport außergewöhnlich viel Sensibilität abverlangt. „Ich bin so extrem vom Gefühl abhängig“, sagt der Bayer. Freund ist ein Athlet, der ständig in sich hineinhört, auf die kleinsten Körperregungen. Für ihn ist sein Gefühl während des Absprungs und in der Luft mindestens genauso wichtig wie ein kräftiger Oberschenkel.

Umso schwieriger war es für ihn in der vergangenen Saison nach dem Sturz. Er wusste, irgendetwas hemmt ihn – und es nervte ihn ungemein, dass er nicht wusste, was ihn blockierte. „Ich war dann immer einen Schritt hinterher: Ich kenne meinen Sprungablauf genau, wollte es machen wie immer, aber ich konnte es nicht, also musste ich umbauen“, sagt Freund. Und so habe sich dann sein Gefühl verändert, weil er mit der Verletzung noch gesprungen war.

„Vor dieser Tournee zu sagen: Ich will das und das reißen, wäre vermessen“

Seine Zwangspause hatte daher auch etwas Gutes. „Ich konnte runterkommen, das Gefühl wieder auffrischen“, sagt er. „Aber ich musste dafür natürlich mehr investieren.“ Hohe Ziele steckt er sich für den ersten Höhepunkt des Winters, die Vierschanzentournee, daher nicht. „Vor dieser Tournee zu sagen: Ich will das und das reißen, wäre vermessen“, betont Freund. Er peilt eher den zweiten Höhepunkt an: die Nordischen Skiweltmeisterschafen im Februar in Finnland. „Lahti liegt mir. Es ist ein Glück, dass die Saison so lang ist. Und wenn die ersten Wettkämpfe nicht grandios werden, muss ich mir einfach Zeit nehmen.“

Diese Zeit will ihm Bundestrainer Werner Schuster unbedingt geben. „Er bekommt keine Resultatvorgaben, er hat schon so viel geleistet“, sagt der Österreicher. „Man kann mit dieser Vorbereitung einfach nicht prognostizieren, wo es in dieser Saison hingehen wird.“ So empfindet es Schuster überhaupt als „kleines Märchen“, dass Freunds Genesungsprozess so schnell und problemlos verlaufen sei. Doch der Bundestrainer weiß auch genau, woran sein Vorzeigeathlet noch arbeiten muss: „Die Technik ist nicht so stabil, wie man es von ihm gewohnt ist. Es haben sich Fehler eingeschlichen. Und die Leichtigkeit fehlt.“

So weit Freund derzeit von alter Leistungsstärke entfernt ist, beunruhigt ist Schuster deshalb nicht. „Wenn Severin eines kann, dann ist es ruhig und zielorientiert zu arbeiten“, sagt der 47-Jährige. „Er hat an Ehrgeiz nichts eingebüßt. Er wird sich reinfuchsen und im Laufe der Saison zur Höchstform kommen.“

Bis dahin setzt Schuster darauf, dass die anderen deutschen Skispringer Freund als Mann für die Spitzenplätze ersetzen. „Wir haben eine sehr gute Auswahl an Athleten“, betont er. Andreas Wellinger hat eine starke Sommersaison hinter sich und Schuster traut ihm nun auch im Winter viel zu. Auch Richard Freitag werde nach einem Ausrüsterwechsel bei seinen Skiern immer besser, sagt der Bundestrainer. Und dann haben sich in den vergangenen Monaten noch zwei weitere Deutsche in den Vordergrund gedrängt. Einer davon ist Markus Eisenbichler. Der 25-Jährige kämpfte sich mit überzeugenden Leistungen im zweitklassigen Continentalcup wieder in das Weltcup-Team zurück. Der zweite Athlet, in den Schuster große Hoffnungen setzt, ist der 20 Jahre alte David Siegel. Der Junioren-Weltmeister wurde Ende Oktober sogar Deutscher Meister. „Er macht uns sehr viel Spaß und ist noch lange nicht ausgereift“, sagt Schuster, der seiner Mannschaft absolut zutraut, „um Siege mitzuspringen“.

Freund setzt sich diese Ziele noch nicht. Wobei ihm als gutem Flieger die Schanze in Kuusamo sehr liegt. Er schaut aber lieber auf die kleinen Fortschritte. „Ich spüre beim Springen wieder alles, was ich spüren will“, sagt er. Und wenn das Gefühl wieder zurückkehrt, ist für Freund eh wieder alles möglich.

- Der Auftakt in die Saison lief dann besser als erwartet: Freund hat mit Platz zwei beim Weltcup-Auftakt der Skispringer ein glänzendes Comeback gefeiert. Er musste am Freitag im finnischen Kuusamo mit zwei Sprüngen auf jeweils 140 Meter nur Domen Prevc den Vortritt lassen. Der Slowene setzte sich mit 138,5 und 140,5 Metern durch, profitierte dabei aber von einem Sturz seines Bruders Peter Prevc. Der Vierschanzentourneesieger und Gesamt-Weltcupsieger der Vorsaison wurde mit 143 und 140,5 Metern trotzdem Dritter. „Das war ein super Start“, sagte Freund.

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