zum Hauptinhalt
Alles auf dem Schirm: Der Videobeweis wird bereits in mehreren Ligen hinter den Kulissen getestet, hier in den Niederlanden.
© dpa/van Weel

Länderspiel gegen Italien: „Semi-Live-Test“ mit Kamera-Auge und Angstgegner

Der Videobeweis im Fußball war lange umstritten und wird nun umso schneller eingeführt: Beim Testspiel gegen Italien am Abend sammeln die deutschen Nationalspieler erste Erfahrungen.

Der große deutsche Fußballtrainer Hennes Weisweiler hat die komplizierte Abseitsregel einmal in dem prägnanten Satz zusammengefasst: „Abseits ist, wenn das lange Arschloch“ – gemeint war Günter Netzer – „zu spät abspielt.“ In der Praxis hat sich eher die Meinung durchgesetzt, dass abseits ist, wenn der Schiedsrichter pfeift. In Zukunft aber könnte eine solche Haltung böse Folgen haben – falls nämlich der Stürmer den Ball ins Tor schießt, weil die Verteidiger nach dem Pfiff des Schiedsrichters ihren Dienst eingestellt haben, der Schiedsrichter aber nachträglich vom Videoassistenz-Schiedsrichter überstimmt wird. Und das Tor doch zählt. „Die Spieler werden sich das abgewöhnen“, glaubt Hellmut Krug, der Schiedsrichter-Manager der Deutschen Fußball-Liga (DFL).

„Wir haben ein Extra-Auge“

All das – die technische Machbarkeit und die Auswirkungen auf die Praxis – wird derzeit getestet, vom deutschen Fußball genauso wie vom Weltverband Fifa, der den Videoschiedsrichter bei der WM 2018 einsetzen will. In der Bundesliga soll er bereits zur kommenden Saison Standard werden. Einen Blick in die Zukunft wird man aber schon an diesem Dienstag, im Länderspiel der deutschen Nationalmannschaft gegen Italien, erheischen können. „Semi-Live-Test“ heißt die aktuelle Phase der umfangreichen Versuchsreihe im Sprachgebrauch der Fifa, weil im San-Siro-Stadion noch kein Monitor am Spielfeldrand vorhanden ist, auf dem sich der Schiedsrichter selbst einen Eindruck machen kann. Er muss seinem Videoassistenten vertrauen, der ihm aus dem Off mitteilt, wenn er falsch entschieden hat.

„Wir haben ein Extra-Auge“, sagt der frühere holländische Nationalspieler und -trainer Marco van Basten, der bei der Fifa inzwischen für Technische Entwicklung zuständig ist. In vier Situationen kann der Videoassistent, der sämtliche Bilder aus allen Kamerapositionen zur Verfügung hat, eingreifen: bei einem Tor, einem Elfmeter, einer Roten Karte und wenn eine persönliche Strafe gegen einen falschen Spieler ausgesprochen worden ist. Bei einem ersten Test vor zwei Monaten, im Spiel Italien gegen Frankreich, gab es drei solcher Situationen. Von der Variante, dass die Mannschaften einen Videobeweis anfordern können, hat die Fifa abgesehen. „Wir wollen den Schiedsrichter nicht hinterfragen. Wir wollen ihm helfen“, sagt Lukas Brud, Geschäftsführer des Internationalen Boards, das für die Regeln zuständig ist.

Die deutschen Schiedsrichter sind begeistert

Der Assistent soll nur bei klaren Fehlentscheidungen des Schiedsrichters eingreifen. Bei der nächsten Spielunterbrechung zeigt der Schiedsrichter dann mit einer quadratischen Handbewegung für einen Monitor an, dass der Assistent interveniert hat. Im Idealfall solle das nur 15, 20 Sekunden dauern, sagt Hellmut Krug aus seinen Erfahrungen mit dem Testbetrieb in der Bundesliga, der seit dem Sommer läuft. Derzeit werden sämtliche Bundesligaschiedsrichter geschult. „Alle sind begeistert von diesem System“, sagt Krug. Vielleicht auch, weil ihre Entscheidungshoheit nicht angetastet wird. Im Zweifel haben sie das letzte Wort.

Gegen die zunehmende Technisierung des guten alten Fußballs hat es in der Vergangenheit große Widerstände der Traditionalisten gegeben. Auch Gianni Infantino, der Präsident der Fifa, war „zuerst skeptisch“, hat seine Meinung inzwischen aber geändert. „Es ist absurd: Jeder zu Hause weiß innerhalb von Sekunden, ob der Schiedsrichter einen Riesenfehler gemacht hat. Der Einzige, der es nicht weiß, ist der Schiedsrichter – nicht weil er nicht will, sondern weil wir es ihm verbieten.“

Zur Startseite