Sport: Sein schwerster Gang
Als erster Mensch mit einem zweiten Herzen will Hartwig Gauder den höchsten Berg Japans besteigen
Köln . Selbst auf seinen Olympiasieg 1980 hat sich Hartwig Gauder nicht akribischer vorbereitet. Damals in Moskau gewann er bei den Sommerspielen über 50 Kilometer Gehen Gold. Fast über zwei Jahrzehnte dominierte er die Geher-Szene, wurde Weltmeister, Europameister, gewann mehrfach in der DDR Titel und wurde später auch Deutscher Meister. Doch seine schwerste sportliche Aufgabe hat er noch vor sich. Am kommenden Freitag will Gauder die Besteigung des höchsten Bergs Japans in Angriff nehmen. Den Fuji, der sich 3776 Meter bis in die japanische Wolkendecke erstreckt, will er bezwingen. An sich schon ein erstaunlicher Plan, der im Falle Gauder allerdings schon ins Sensationelle geht: 1997 bekam er ein neues Herz verpflanzt. Wenn Gauder die Expedition erfolgreich abschließt, ist er der erste Mensch, der mit einem zweiten Herzen den Gipfel des in Japan heiligen Berges erklommen hat.
Als Gauder 1993 in Stuttgart seine Karriere als Sportler beendete, krönte ihn die Presse zum „Geher des Jahrhunderts“. Eine Ehrung, die er sich hart ergangen hatte. Seine schwerste Prüfung sollte allerdings noch kommen. Das Drama begann 1995. Gauder fühlte sich über Wochen kraftlos, litt unter Schlafstörungen. Es dauerte lange, ehe die Ärzte die richtige Diagnose stellen konnten: Der ehemalige Geher litt unter einem bakteriellen Herzversagen. In äußerster Not implantierten die Ärzte ihm ein künstliches Herz in die Brust. Sieben Monate musste Hartwig Gauder so leben. Das allein schon war in der Welt einmalig, kein Mensch konnte bis dahin so lange künstlich am Leben gehalten werden. „Doch ich hatte keine andere Chance“, sagt Gauder. Die Organspende hatte kein Herz für ihn zu vergeben. Wie viele andere Patienten musste er Monate auf einen Spender warten. „Glück“ habe er gehabt, dass die Ärzte dann doch noch einen Organspender auftaten. Und als die Operation erfolgreich verlaufen war, entwickelte Gauder seinen alten Kampfgeist. Erst schloss er ein Architekturstudium ab, dann wagte er sich wieder an seine Lieblingsbeschäftigung: den Ausdauersport.
Gauder absolvierte den Marathon in Berlin und dann sogar den Marathon in New York. Mit stoischer Ruhe näherte er sich bei den Läufen dem Ziel, kam jeweils erst nach knapp sieben Stunden an. Doch um Höchstleistungen ging es dem in Erfurt lebenden Gauder nicht mehr. Seine Botschaft war immer die gleiche: „Auch mit einem fremden Herzen kann man Sport treiben.“
Aber auch auf die missliche Lage der Organspende wollte Gauder hinweisen. Immerhin warten derzeit 14 000 Menschen in Deutschland auf ein Spenderorgan. Auch Gauders Bergtour in Japan soll wieder diese Botschaft transportieren. Und das scheint zu funktionieren: In Japan wurden viele Menschen noch vor der Tour auf Gauder aufmerksam. Immerhin erteilte ihm nicht nur die dortige Regierung die Erlaubnis zur Besteigung des Fujis, sondern auch das japanische Olympische Komitee.
Viele Menschen aus Japan meldeten sich, um mit dem ehemaligen Leistungssportler auf den höchsten Berg des Landes zu steigen. Doch Gauder winkte ab und entschied sich für ein kleines Team. Zehn Personen werden ihn beim Aufstieg begleiten. Darunter ist auch seine Frau, die von Beruf Ärztin ist. Sie soll ihn im Notfall versorgen.
Doch so weit will es Gauder erst gar nicht kommen lassen. Akribisch hat er auf sein Unternehmen hingearbeitet. 24 Stunden Aufstiegszeit wollen schließlich gut vorbereitet sein. Gauder hat etliche Trekkingtouren durch den Thüringer Wald absolviert. Mit dem ehemaligen Skispringer Jens Weißflog trainierte er am Tegernsee.
Selbst Reinhold Messner begeisterte er von seinem Vorhaben. „Ich kenne den Berg“, sagt der wohl bekannteste Bergsteiger. „Wer ihn schafft, wird mit neuer Lebenslust zurückkommen.“ Das möchte Gauder, allerdings nicht um jeden Preis. „Ich werde meine Grenzen auf keinen Fall überschreiten“, sagt er. Steigt sein Puls auf über 140 Schläge an, will er die Expedition umgehend abbrechen. Doch daran verschwendet er keinen Gedanken. Er ist davon überzeugt, dass er den berühmten Sonnenaufgang vom Gipfel aus sehen wird. Denn Zuversicht und Lebensmut hat Hartwig Gauder genug – Zukunftspläne natürlich auch. Nach dem Fuji will er auf das Matterhorn und dann auch noch den Kilimandscharo besteigen.
Christoph Bertling
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