Formel 1: Sebastian Vettel und seine riskante Aufholjagd
Sebastian Vettels Ferrari ist noch nicht titelreif. In Schanghai will er den Rückstand auf Mercedes jedoch wenigstens ein bisschen aufholen.
Was sollte Sebastian Vettel denn auch anderes sagen? Offiziell muss sich der Ferrari-Pilot natürlich optimistisch zeigen. „Nein, ich habe den WM-Titel 2016 noch nicht abgeschrieben“, sagt Vettel also tapfer: „Es ist noch eine lange Saison.“ Doch in Wirklichkeit ist ihm wohl klar, vor was für einer fast unlösbaren Aufgabe sein Rennstall im Kampf gegen Mercedes in der Formel 1 steht. Nicht nur, weil er nach dem Motorschaden in der Aufwärmrunde in Bahrain bereits an diesem Wochenende beim Großen Preis von China ein neues Triebwerk braucht.
Die Probleme im Antriebsbereich hatten sich für Ferrari schon bei den Testfahrten in Barcelona angedeutet. Der Turboschaden bei Kimi Räikkönen in Australien war dann ein weiteres Indiz, und zuletzt in Bahrain hatte man schon das ganze Wochenende im Fahrerlager gemunkelt, dass die Roten wohl Probleme mit der Zuverlässigkeit bei Motoren und Turboladern hätten, sobald sie versuchten, die volle Leistung abzurufen.
Um näher an Mercedes heranzukommen, musste Ferrari den Winter über in der Motoren-Entwicklung mit hohem Risiko arbeiten. Wenn alles funktioniert, soll das Triebwerk gegenüber dem des Vorjahres 0,8 Sekunden pro Runde aufholen. Funktioniert aber eben nicht alles. „Das Wichtigste ist doch, dass wir die Fehler verstehen, beheben – und dass nicht einer davon zweimal passiert“, sagt Vettel.
Dem Ferrari fehlt die Power
Es sind verschiedene Komponenten, die zusammenspielen. Zu der forcierten Motoren-Entwicklung kommt, dass Ferrari aus aerodynamischen Gründen auch im Chassisbau einiges verändern musste. Der Heckbereich des Autos ist nun deutlich enger und kompakter. Was bedeutet, dass all die dort angeordneten Antriebskomponenten jetzt automatisch einer größeren Hitzebelastung ausgesetzt sind. Dass man das alles noch nicht komplett im Griff hat, zeigt sich auch daran, dass man die maximale Leistung, die man eigentlich bräuchte, um unter normalen Bedingungen überhaupt eine Chance gegen Mercedes zu haben, bisher höchstens einmal punktuell im Qualifying abrufen konnte. Am Samstag in Schanghai klappte es jedoch wieder nicht. Vettel wurde Vierter hinter seinem Teamkollegen Räikkönen, dem zweitplatzierten Red-Bull-Fahrer Daniel Ricciardo und Sieger Nico Rosberg.
Im „Normalbetrieb“ kann Ferrari offensichtlich nicht über längere Zeit gleichzeitig die volle Power von Verbrennungs- und Elektromotoren des Hybridantriebs abrufen. Was sich vor allem daran zeigt, dass die Autos, im Gegensatz etwa zu den Mercedes, auf einer längeren Geraden nach der Hälfte der Strecke nicht mehr an Geschwindigkeit gewinnen. Ein großer Zeitverlust, den die hohe Kurvengeschwindigkeit, die Ferrari dank der verbesserten Aerodynamik- und Abtriebswerte auf die Strecke bringt, unter normalen Bedingungen nicht wirklich ausgleichen kann.
Gerhard Berger, früher selbst viele Jahre Ferrari-Pilot, sieht in den Problemen und Defekten einerseits noch kein Drama. Er findet aber, dass das alles doch nur zeige, „dass Ferrari Gas gibt. Wer extrem aufholen will, muss Risiko gehen.“ Andererseits hält es der Österreicher aber auch schon jetzt für unrealistisch, an einen WM-Titel für Vettel und Ferrari bereits in dieser Saison zu glauben. Dazu sei der Mercedes-Vorsprung im letzten Jahr einfach zu groß gewesen, das könnten die Italiener gar nicht so schnell aufholen. Und bei der nun einmal vorhandenen Stärke von Mercedes in fast allen Bereichen sei das Näherkommen für die Konkurrenz grundsätzlich schwierig. Vettel müsse wohl auf 2017 warten, „aber grundsätzlich hat Ferrari das Potenzial, es zu schaffen“.
Wobei Berger davon ausgeht, dass Vettel das sowieso von Anfang an klammheimlich mit einem „Drei-Jahres-Plan“ auf dem Weg zum Titel kalkuliert habe. Die Ruhe und Gelassenheit, mit der der Heppenheimer auf die derzeit schwierige Situation reagiert, spricht jedenfalls für diese Theorie.
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