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Eine Marke, die schwebt. Ferrari-Pilot Niki Lauda 1976 kurz vor seinem Feuerunfall auf dem Nürburgring.
© Imago

Formel 1: Mythos Ferrari: Sebastian Vettel und der Glanz des roten Autos

Sebastian Vettel will Teil des Ferrari-Mythos werden – wie jeder Pilot. Das italienische Team ist der größte Popstar der Formel 1.

Wer im Ristorante Montana hängt, der hat es geschafft. Über der Theke prangt ein Helm von Michael Schumacher, darüber ein Frontflügel von Michele Alboretos Wagen aus den 80ern, weiter hinten im Gästeraum hängt ein Renn- Overall von Gilles Villeneuve. Hier ein Reifen, da ein Lenkrad, und immer wieder Fotos, Fotos, Fotos. Lauda, Ickx, Prost, Mansell. Der Ehrenplatz über der Kasse ist für ein Schwarz-Weiß-Bild Enzo Ferraris reserviert.

Das Ristorante Montana in Maranello bei Modena ist das Madame Tussauds der Formel 1, die inoffizielle Ruhmeshalle des Motorsports. Nebenbei ist Mamma Rosellas legendäre Pastawirtschaft quasi die Stammkantine der Ferrari-Fahrer, nur ein kurzes Gaswippen vom Firmensitz im Ort entfernt. Das muss sich nicht ausschließen, denn nahezu alle Legenden der Formel 1 sind ohnehin für Ferrari gefahren. Nun versucht auch der viermalige Weltmeister Sebastian Vettel, sich seinen Platz bei Mamma Rosella zu erkämpfen. Am Sonntag startet der Heppenheimer in Melbourne erstmals für sein erklärtes „Traumteam“. Sicher werden die Gäste bald auch ein paar Vettel-Devotionalien bestaunen dürfen, ein Paar Handschuhe vielleicht. Welcher Platz dann konkret im Montana für ihn freigeräumt wird, ob ganz dicht am großen Enzo wie Schumachers Helm oder eher hinten in Richtung WC, das kommt auch ein bisschen darauf an, wie er sich demnächst in dem roten Wagen schlägt.

Bei Ferrari gerät Sebastian Vettel ins Schwärmen

Wenn Vettel über sein neues Auto und seinen neuen Arbeitgeber spricht, gerät er ins Schwärmen. „Ferrari ist einfach ein Mythos“, sagt der 27-Jährige. Das fange schon in Maranello an. „Der Ort hat etwas absolut Magisches. Ich war schon mal als Kind da, als ich in Italien Kart gefahren bin, aber da war mir noch alles verriegelt. Ich hätte damals nie gedacht, dass mir hier mal alle Schranken geöffnet würden.“ Damals stand er mit seinem Vater auf einer Brücke und versuchte, einen Blick auf Michael Schumacher bei Testfahrten auf der firmeneigenen Strecke zu erhaschen. Inzwischen ist Vettel nicht nur selbst auf dieser Strecke gefahren, er hat auch die Villa des Teamgründers Enzo Ferrari kennengelernt, die heiligen Hallen des Ferrari-Museums in Maranello besucht und auch bei Mamma Rosella Spaghetti bekommen. Für Vettel, der sich im Gegensatz zu den meisten anderen heutigen Formel-1-Piloten sehr für die Rennsporthistorie interessiert, ist Maranello das Paradies. Kein Wunder, dass er seinen ersten Ferrari liebevoll Eva getauft hat. Er bedauere lediglich, meinte er kürzlich, „dass ich meinen Vertrag nicht noch mit Enzo Ferrari persönlich aushandeln konnte". Der ist leider schon 1988 gestorben.

Abgesehen davon verläuft Vettels Start im Paradies der Formel 1 vielversprechend. Die Chancen für den Saisonauftakt in Australien (Start des Rennens am Sonntag um 6 Uhr, live bei RTL und Sky) stehen besser als zunächst erwartet. Als Vettel im Herbst seinen Wechsel von Red Bull nach Italien verkündete, schienen Podestplätze noch ziemlich illusorisch. Doch Ferrari hat über den Winter einen großen Sprung nach vorn gemacht und kämpft mit Williams und Red Bull um die Verfolgerrolle hinter den überlegenen Mercedes. Zwei Siege hat der neue Ferrari-Teamchef Maurizio Arrivabene als Ziel für 2015 ausgegeben – ambitioniert, aber durchaus nicht unmöglich, wie Vettel findet.

Die Hoffnung bei Ferrari: Mit Sebastian Vettel eine ähnliche Ära zu begründen wie einst mit Michael Schumacher

Er persönlich ist jedenfalls schon wieder in Bestform. So strahlend und begeistert wie derzeit hat man Sebastian Vettel schon lange nicht mehr gesehen. Der Heppenheimer „gehört bereits zu 120 Prozent zur Familie“, wie Arrivabene das ausdrückt, und machte sich auch von Anfang an beliebt. Bei seinem Antrittsbesuch in Maranello schüttelte Vettel allen Mitarbeitern die Hand, gab Autogramme und ließ Fotos machen. Dazu versteht er sehr ordentlich Italienisch und spricht es auch besser, als er selbst zugibt. Das ist durchaus nicht unwichtig, denn in der anglophilen Formel-1-Welt ist Ferrari ein Sonderfall. „Natürlich ist das Team im Kern italienisch, es ist eben Ferrari“, sagt Vettel. „Das ist spürbar, das ist etwas ganz Besonderes.“ Nicht nur seine Zunge bereitet der Deutsche auf seine neue Aufgabe vor. „Sebastian macht sich über jedes Detail akribisch Notizen und arbeitet sehr analytisch“, sagt Arrivabene. „Dabei erinnert er mich an einen anderen Deutschen bei Ferrari.“ Hinter den Worten des Teamchefs steht die Hoffnung aller bei Ferrari, mit Vettel eine ähnliche Ära zu begründen wie einst mit Michael Schumacher.

Schließlich reicht die Historie allein nicht. Mittelfristig muss der Erfolg her, um auch interne Grabenkämpfe zu vermeiden, die sich durch die gesamte Ferrari-Geschichte ziehen. „Sebastian muss hart mit allen arbeiten, um das Auto nach vorn zu bringen“, sagt Niki Lauda. „Wenn der Erfolg da ist, stellt sich die Frage nach der internen Politik gar nicht.“ Lauda, heute Aufsichtsratschef des Mercedes-Teams, wurde in den 70ern zweimal mit Ferrari Weltmeister. Er weiß um den besonderen Stellenwert eines Titels im roten Wagen.

Die Gründe für Ferraris besonderen Status in der Formel 1

Eine Marke, die schwebt. Ferrari-Pilot Niki Lauda 1976 kurz vor seinem Feuerunfall auf dem Nürburgring.
Eine Marke, die schwebt. Ferrari-Pilot Niki Lauda 1976 kurz vor seinem Feuerunfall auf dem Nürburgring.
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Die Gründe für Ferraris besonderen Status in der Rennszene sind leicht zu benennen. Der Sport ist der Ursprung der Marke und ihr Lebenselixier. Enzo Ferrari gründete die Scuderia 1929 als Rennteam für Alfa Romeo und ging selbst als Pilot an den Start. „Allein die unglaubliche Persönlichkeit Enzo Ferraris selbst hat viel zu dem Mythos beigetragen“, sagt Lauda.

Auch nach der Abspaltung von Alfa Romeo stellte der charismatische Firmenpatriarch den Motorsport ins Zentrum seiner Aktivitäten. Ferrari hat immer nur Sportautos herstellen und rasen lassen. Keine Traktoren wie früher Lamborghini, keine Familienkutschen wie Renault, Mercedes oder Honda. Dieses Erbe inszeniert Ferrari geschickt und nutzt es zu seinem Vorteil. Die rote Wagenfarbe etwa ist eine Reminiszenz an die große Ära der 50er und 60er, als die Renner länderspezifisch angepinselt wurden. Die deutschen Autos waren weiß, die britischen grün und die italienischen rot. Ferrari hat diese Farbe auch in den Zeiten der Sponsorenlackierungen beibehalten – und damit eine Wertsteigerung erreicht, die kein Hauptsponsor je bezahlen könnte. Unter anderem deswegen wird der Rennstall in Italien weiter als eine Art Nationalmannschaft vergöttert, wie die stets rot getünchten Großen Preise in Monza beweisen.

Kein Team in der Formel 1 hat ein mit Ferrari vergleichbares emotionales Potenzial

Zur Überhöhung Ferraris in Italien trägt auch die Tatsache bei, dass das berühmte Firmenlogo mit dem springenden Pferd dem Fliegerwappen des italienischen Weltkriegshelden Francesco Baracca entlehnt ist. Kein anderes Team in dieser eigentlich so technischen Branche kann auf ein ähnliches emotionales Potenzial zurückgreifen. Die historische rote Lackierung erinnert zudem unterschwellig bei jedem Grand Prix daran, welcher Rennstall als einziger seit Anbeginn der Formel-1-Ära mitfährt und suggeriert ein moralisches Vorkaufsrecht auf die Deutungshoheit in der Grand-Prix-Szene (auf die Ferrari in Krisenzeiten gern verweist). Inzwischen sind der Firmenname, die rote Farbe und das springende Pferd Synonyme für Motorsport im Allgemeinen – und für die Formel 1 im Speziellen.

Die Bedeutung der Fiat-Tochter für die Formel 1 speist sich aber nicht nur aus den Unikaten, die mehr Rennen und WM-Titel gewonnen haben als alle anderen. Sondern auch aus den etwa 8000 verkauften Straßenfahrzeugen pro Jahr. Die mögen zunächst im Vergleich mit Branchenriesen kaum erwähnenswert erscheinen. Andererseits sind die roten Autos aus Maranello vor allem aufgrund ihrer Exklusivität ein Botschafter des Rennsports über Fachkreise hinaus.

Ferrari: Ein Statussymbol des Jetsets

Die vom Designer Pininfarina entworfenen Karossen waren schon früh ein Statussymbol des Jetsets, und spätestens seit dem weißen Testarossa von Don Johnson in der US-Krimiserie „Miami Vice“ sind sie ein Stück Popkultur. So ist Ferrari das Bindeglied zwischen Mainstream und Avantgarde, das die Oberklasse und das Proletariat gleichermaßen anlockt wie den Ingenieur und den Boulevard. Kurz: Der Rennstall ist das wichtigste Zahnrad im Wirtschaftsgetriebe der Formel 1.

Genau das hat der frühere Autohändler Bernie Ecclestone schon vor langer Zeit erkannt. Während er die Ein- und Ausstiege anderer Autohersteller meist mit einem Achselzucken zur Kenntnis nimmt, bedenkt der Formel-1-Imperator Ferrari stets mit besonderer Fürsorge. 2013 wurde ein geheimer Vertrag publik, in dem die Italiener von Ecclestone und dem Automobil-Weltverband Fia nicht nur den größten Anteil an den Gewinnen der Rennserie zugesichert bekamen, sondern auch ein Vetorecht bei technischen Regeländerungen. Ein unschätzbarer Vorteil, denn über den WM-Titel entscheidet zum Großteil die Technik. Begründet wurde diese Sonderbehandlung mit dem Szenario, dass Ferrari „andernfalls aus der Formel 1 aussteigen könnte“. Diese Ausstiegsdrohungen sind schon Routine, und der sonst knallharte Ecclestone hat bisher stets eingelenkt. Der Brite weiß: Er braucht Ferrari mehr als Ferrari ihn. „Ein Ferrari ist nun einmal das bekannteste Auto der Welt“, sagt Niki Lauda.

Auch deshalb ist ein WM-Titel im Ferrari Ziel und Höhepunkt der Karriereplanung für jeden Piloten. Der Glanz des Autos färbt auf den Fahrer ab, nicht umgekehrt. Michael Schumacher mag bei Benetton schon vorher zweimal Weltmeister geworden sein – erst durch seine fünf Titel mit Ferrari stieg er zum Weltstar auf. Ein Pilot, der mit Ferrari Erfolg hat, wird automatisch auch ein Teil des lukrativen Mythos. Es wäre nicht verwunderlich, wenn ein angemessener Platz im Ristorante Montana für Sebastian Vettel sogar wichtiger wäre als die vier WM-Titel mit Red Bull.

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