WM 2014: Schland flaggt wieder - unbelasteter oder unsensibler Patriotismus?
Zur WM 2014 zeigt Deutschland wieder Flagge. Unser Kolumnist hat schon die ersten Standarten an Autos gesichtet und weiß, dass bald wieder über Sinn und Botschaft dieses überschäumenden Patriotismus' diskutiert wird.
Die deutschen Fans sind skeptisch, heißt es. Ich nicht, ich weiß ja weitgehend, wie die Fußball-WM ausgehen wird. Argentinien versus Deutschland im Finale, dann wird man weitersehen. Aber wahrscheinlich bin ich gar kein richtiger Fan. Ich werde weder heute noch morgen und auch nicht in den nächsten vier Wochen ein schwarz- rot-goldenes Fähnchen ans Fahrrad pappen, komme, was da wolle. Auch ans Auto kommt nichts, schon alleine, weil ich gar kein Auto habe. Keine Standarte, keine Rückspiegelpräservative, kein schwarz-rot-golden gehäkelter Toilettenpapierwärmer in der Heckklappe, ich werde auch keine Hawaii-Kette in Schwarz-Rot-Gold um den Hals tragen, auch keine entsprechend eingefärbten Pulswärmer tragen, die ohnehin bei den zu erwartenden Temperaturen einen kontraproduktiven Hitzestau mit anschließendem Kollaps provozieren können.
Dann liege ich kollabiert irgendwo im Public Viewing, hechele nach Wasser und kann das Finale nicht anschauen, bei dem man weitersehen wird. Und wenn mir irgendjemand ankommt und mir die Farben Schlands auf die Wange pinseln möchte, geh weg!
Deutschland flaggt sich wieder ein. Erste Standarten an Autos wurden schon gesichtet, bald werden die Fahnen aus den Fenstern gehängt und die Transparente von den Balkonbrüstungen baumeln.
Ist das kollektive Flaggezeigen zu viel und zu unsensibler Patriotismus?
Spätestens dann werden wir wieder zu diskutieren haben, was wir von diesem überschäumenden Flaggezeigen halten. Ist das Ausdruck eines unbelasteten und fröhlichen und geschichtsüberwindenden Bekenntnisses zur Heimat, weil es doch nur dem Fußball gilt? Pah, nur Fußball! Oder ist es doch noch oder schon wieder, zumal in Verbindung mit dem dumpfen „Deutschlaaand! Deutschlaaaand“-Rufen, zu viel und zu unsensibler Patriotismus?
Auch werden sich die Romantiker und Puristen des Fußballs zu Wort melden, die des Nächtens in den Scharen auf den Fan-Meilen nur eine hysterische Masse von Event-Fans erkennen, die keine Ahnung haben und im unwahrscheinlichen Fall des Druckverlusts, also dem Ausscheiden der deutschen Mannschaft, sich pflichtbewusst und schluchzend zu Boden werfen, weil man das eben so tut und es alle so tun.
Schland, oh, Schland, es wird also bunt zugehen in den nächsten Wochen, auch laut, das Bunte hat schon begonnen, das Laute wird kommen. Den wenigen Nicht-Fußballern im Lande wollen wir noch den Trost mitgeben: Wenn der letzte Auto-Korso durch die Stadt hupt, ist alles vorbei.
Helmut Schümann