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In Andy Murray (links) und Roger Federer treffen am Freitag zwei Publikumslieblinge in Wimbledon aufeinander.
© dpa

Tennis in Wimbledon: Roger Federer und Andy Murray sind größer als ihr Sport

Am Freitag stehen sich der Brite und der Schweizer im Halbfinale von Wimbledon gegenüber. Seit vielen Jahren sind Murray und Federer die Lieblinge des Turniers - das wird in Zukunft zu Problemen führen.

Das Gerangel um die besten Plätze war längst vorbei. Auf dem berühmten Hügel am Nordende des All England Clubs hatten sich die Hartgesottenen schon früh am Morgen auf den mitgebrachten Picknickdecken ausgebreitet und sich die beste Sicht auf die große Videowand gesichert. Stunden später erst würde Andy Murray dort zu sehen sein, der auf dem 100 Meter entfernten Centre Court seine Viertelfinalpartie gegen Vasek Pospisil bestritt und den Kanadier mit 6:4, 7:5, 6:4 besiegte.

Manche hatten Stunden angestanden für ein Ticket in der berühmten „Queue“ im angrenzenden Wimbledon Park, um zumindest so das Spiel mitverfolgen zu können, wenn sie schon keins der begehrten Centre-Court-Tickets ergattern konnten. Und sie ließen sich auch nicht davon abschrecken, dass die Londoner U-Bahn an diesem Tag bestreikt wurde. Oder dass mal wieder Regenschauer angekündigt waren. Es ist „Murraymania“ in Wimbledon, und genauso lieben es die Briten einfach. Aber es gibt da einen, für den nehmen die Fans noch weit größere Strapazen auf sich, sogar auf Murrays Heimterritorium: Roger Federer. Am Freitag treffen beide nun im Halbfinale aufeinander. Das zweite Semifinale bestreiten dann Novak Djokovic und Richard Gasquet.

Federer hat einen Starkult aufgebaut, der im Tennis noch nie dagewesen ist

Doch das Duell Murray gegen Federer haben in London alle herbeigesehnt. Denn der Schweizer bekommt selbst in Wimbledon den meisten Applaus und wird als einer der besten Spieler aller Zeiten verehrt – überall. Der 33-Jährige hat einen Starkult um sich aufgebaut, der im Tennis so noch nie dagewesen ist. Und Federer ist zu einer weltweit zugkräftigen Marke geworden, mit der kein anderer Athlet, und Murray schon gar nicht, auch nur annähernd konkurrieren kann. Es ist ein Segen für den Tennissport, doch bald wird er zum Fluch werden.

„Der Sport ist größer als jeder Spieler“, sagt Federer, der sein Viertelfinale gestern problemlos mit 6:3, 7:5, 6:2 gegen Gilles Simon meisterte. „Wenn ich ein Turnier nicht gewinne, macht es eben ein anderer. Es wird immer den nächsten Superstar geben. Der Tennis-Tour wird es gut gehen, wenn ich mal weg bin.“ Doch das ist reines Understatement des siebenmaligen Wimbledonsiegers. Federer ist sich bewusst, wenn er in absehbarer Zukunft aufhört, wird der Tour der Antrieb fehlen. „Kein Federer, kein Tennis“, sagt beispielsweise die Polin Beata Kumor-Wierzba, die mit ihrem Mann seit vier Jahren ihrem Idol hinterherreist. Überall sind sie dabei. „Roger hat einfach Klasse, auf und neben dem Platz“, schwärmen sie. Und da sind sie nicht allein, die Gruppe der Federer-Fans ist inzwischen gewaltig.

Boris Becker hatte kürzlich noch bezweifelt, dass Federer tatsächlich ständig so nett sein könne. Doch für die Fans ist der Schweizer authentisch, und so wählen sie ihn auch seit zwölf Jahren mit großer Mehrheit zum beliebtesten Spieler der Tour. Die treuesten seiner Fans zelten seit Tagen im Wimbledon Park für Tickets, zahlten auch gestern 130 Euro, um ihrem Liebling auf Court 1 zuzuschauen. Und die Farbe Rot überwog auf den Rängen, das RF-Monogramm war allseits präsent auf den Mützen, Shirts, Fahnen und gebastelten Plakaten. Aus aller Welt kommen sie, längst nicht bloß aus der Schweiz.

Murray schöpft sein Potential als Werbefigur bewusst nicht aus

Federer ist in der Forbes-Liste der bestverdienenden Sportler zwar nur Fünfter, doch mit seinen jährlichen 52 Millionen Euro aus Sponsoreneinnahmen können weder Fußballer Cristiano Ronaldo noch Boxer Floyd Mayweather mithalten. Murray ist selbst schuld, dass er mit Werbung nur 14 Millionen Euro verdient und auf Rang 64 liegt. Nachdem er als erster Brite seit 77 Jahren 2013 in Wimbledon gewann, hätte er sich perfekt vermarkten lassen können. Doch das wollte er nicht. „Andy will sich nicht vereinnahmen lassen“, sagt sein Manager Matt Gentry.

Federer stemmt dagegen täglich ein enormes Programm mit Sponsorenverpflichtungen, lässt es jedoch nicht wie eine Pflicht wirken. Und so stehen beim Schweizer vor allem die Edelmarken Schlange. Federer ist längst ein Weltstar, nicht allein Tennisspieler. Gestern nahm auch Hollywoodstar Bradley Cooper in Federers Box Platz. „Für meine Fans wird es später anders werden, aber es gibt ja noch andere Spieler“, glaubt Federer. Doch es steht zu bezweifeln, dass so bald jemand diese große Lücke füllen kann. Mit Murray fieberten sieben Millionen TV-Zuschauer mit, doch eben nur in Großbritannien. Und wenn die internationalen Fanmassen dann ausbleiben und sich die Sponsoren anderweitig orientieren, wird man sehen, ob manchmal ein Sportler nicht doch größer ist als sein Sport.

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