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Robert Harting kann sich am Samstag für die Heim-Europameisterschaft qualifizieren.
© Sven Hoppe/dpa

Entscheidung bei Deutschen Meisterschaften: Robert Harting riskiert für die Heim-EM seine Gesundheit

Der Berliner Diskus-Olympiasieger hat am Samstag die letzte Chance, sich für die EM zu qualifizieren. Dafür riskiert er das vorzeitige Karriereende.

„All in“, schreibt er auf Twitter. Robert Harting hat hoch gepokert. Sein Einsatz ist alles oder nichts, darunter macht es der Diskuswerfer nicht. Das hat er eigentlich noch nie. Aber dieses Mal ist es eben wirklich die letzte Chance, die ihm bleibt, auf ein standesgemäßes Ende seiner Karriere. Die Europameisterschaften in Berlin im August sollen der Schlusspunkt sein. Das hat der 33-Jährige so geplant – aber die Qualifikation fehlt ihm noch. Sie muss ihm an diesem Samstag gelingen: Ungeachtet aller Probleme, die ihm sein rechtes Knie schon seit Monaten bereitet.

An diesem Wochenende finden in Nürnberg die Deutschen Meisterschaften der Leichtathleten statt. Für die meisten sind die Titelkämpfe nur noch ein Formtest. Die EM-Qualifikation haben sie abgehakt. Für Robert Harting, den Olympiasieger und dreimaligen Weltmeister, geht es noch um alles. Anders als im Poker spielt Harting dieses Mal nicht mit Chips, sondern mit seiner Gesundheit. Es scheint ihm egal zu sein. „Ich zweifle überhaupt nicht, dass ich mich qualifiziere. Das ist in meinem Kopf einfach kein Szenario“, sagt er. Sind es Durchhalteparolen? Zweckoptimismus? Das, was man hören will oder echter Glaube? Es ist schwer zu sagen.

Von seiner Bestleistung, den 70,66 Metern, ist der Berliner derzeit weit entfernt. Aber die sind eben auch schon sechs Jahre her, sie stammen aus dem Jahr des Olympiasiegs 2012. Dieses Jahr brachte er es auf 65,12 Meter. Damit hat Harting zwar auf dem Papier die Norm. Aber in genau der gleichen Liste stehen noch vier andere Deutsche vor ihm. Nur drei dürfen in zwei Wochen bei der EM in Berlin an den Start gehen.

Harting muss sich um zwei Meter steigern

Harting bleiben zwei Möglichkeiten: Weiter werfen als mindestens zwei Konkurrenten und sich in der Liste nach vorn schieben, dazu bräuchte es eine Steigerung um fast zwei Meter. Oder Deutscher Meister werden, zum elften Mal in seiner Karriere. Der Titelträger ist sicher für die EM qualifiziert. Beides wird nicht leicht.

Wegen der Schmerzen im Knie konnte er lange Zeit kaum trainieren. Die Quadrizepssehne war gerissen: Eine Operation ist unumgänglich. Nur jetzt darf sie noch nicht sein. Harting hat sich die Sehne spritzen lassen, „totspritzen“, wie er sagt. Das klingt martialisch. Und das ist es auch irgendwie. Die Sehne ist jetzt weicher, elastischer. Vor allem weniger schmerzhaft. Sie hat aber auch weniger Halt. Training ist möglich. Aber mit jeder Einheit steigt das Risiko, dass die Verletzung aufbricht.

Wie gemalt. Robert Harting will nicht nur als Comic-Figur bei der EM dabei sein.
Wie gemalt. Robert Harting will nicht nur als Comic-Figur bei der EM dabei sein.
© dpa

Was, wenn er die Qualifikation schafft – und ihn dann die endgültig kaputte Sehne zum Saisonende zwingt? Das Risiko ist erheblich. Harting will es eingehen. Halbe Sachen sind nicht sein Stil. Das hat ihm Verehrer und Kritiker eingebracht. Harting redet frei heraus, er ist schonungslos ehrlich, auch wenn es um die großen Themen geht. Ob unzureichende Sportförderung oder die Dopingvergehen, an denen der Sport krankt: Harting zeigt Haltung. Trotz seiner zwei Meter, den 126 Kilogramm und dem entsprechend breiten Kreuz ist das im Leistungssport nicht selbstverständlich. Einer wie er würde der EM als kritische Stimme fehlen.

Wildcard ist für den Berliner keine Option

Das Gesicht der Wettbewerbe ist er sowieso. Nicht auszudenken, was es hieße, wenn Harting den Marketing-Strategen auf den letzten Metern abhandenkäme. Sogar einen Comic als Held in der aktuellen Mickey-Maus-Zeitschrift hat Harting bekommen. Aber ungeachtet der Werbewirkung: Eine Wildcard als Ehrerbietung für alte Erfolge will Harting nicht haben. Er will sich sportlich qualifizieren – oder eben gar nicht. Zum Abschluss seiner Karriere bliebe ihm sonst noch im September das Istaf. Das ist zwar auch im Berliner Olympiastadion. Aber wäre doch nur ein zweitklassiger Abschied für den einstigen Weltklassewerfer.

Noch ist nichts verloren. Harting hat sich schon oft mit Verletzungen geplagt. Aber Muskelrisse oder Kreuzbandrisse konnten seine Pläne nie durchkreuzen. Zurückgekommen ist Robert Harting noch jedes Mal – und sei es mit dem allerletzten Wurf wie bei den Deutschen Meisterschaften 2016 in Kassel, als ihm doch noch die Qualifikation für Olympia in Rio gelang. Geht es nach ihm, dürfte es in Nürnberg gern etwas früher klappen. Spannung ja, aber bitte kein Drama. Dabei taugt das Drehbuch für eben solches diesmal so gut wie nie.

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