zum Hauptinhalt
Der radelnde Mönch. Gino Bartali bei seinem ersten Tour-de-France-Sieg 1938, dem er später noch einen weiteren folgen ließ. Über seine Rolle im antifaschistischen Widerstand war bisher wenig bekannt. Nun wurde er als „Gerechter unter den Völkern“ ausgezeichnet.
© afp

Gino Bartali: Retter auf dem Rennrad

Gino Bartali wird in seiner Heimat Italien verehrt, keinen Sportler empfang der Papst häufiger. Im Zweiten Weltkrieg bewahrte "der radelnde Mönch" 800 Juden vor der Deportation – nun wird er dafür geehrt.

Den Mann, von dem Giulia Donati sagt, sie verdanke ihm ihr Leben, den hat sie niemals von vorn gesehen. Sie sah seinen Rücken und seine Beine. Kräftige Waden, ein Sportler. Durch den Türrahmen konnte sie die Felgen seines Rennrades erkennen, schlanke Pneus. Sie sah ihn nur ein einziges Mal. Er brachte gefälschte Dokumente, dank derer die junge Frau untertauchen konnte. Giulia Donati ist mittlerweile 91 Jahre alt, sie lebt in Karkur, eine Stunde nördlich von Tel Aviv. Doch den Anblick des Radfahrers hat sie nie vergessen, wie ihr die ganze Zeit des Versteckens noch immer erinnerlich ist. Als Jüdin musste sie während der deutschen Besatzung Italiens untertauchen, bei zwei Schwestern fand sie Unterschlupf. Erst viel später erfuhr sie, wer die Dokumente brachte. Es war Gino Bartali, Italiens Jahrhundert-Radler.

Zweimal gewann er Bartali die Tour de France, 1938 und 1948. Die Jahre dazwischen stahl ihm der Krieg, doch an seiner Popularität änderte dies nichts. Geradezu kultisch verehrte das Volk den Rennfahrer mit der Aura des Unergründlichen. „Bartali ist ein Mann der Tradition. Er ist ein metaphysischer, von den Heiligen geschützter Mensch“, schrieb der Schriftsteller Curzio Malaparte. Jacques Goddet, Direktor der Tour de France, war nicht minder fasziniert, als er 1948 das unglaubliche Comeback Bartalis nach einem Jahrzehnt der Absenz erlebte: „Aus dem Schneesturm, aus Wasser und Eis stieg Bartali majestätisch wie ein mit Schlamm übersäter Engel, der unter seiner durchnässten Tunika die kostbare Seele eines außergewöhnlichen Champions trug.“ Der radelnde Mönch, so nannte man ihn, den Laienbruder aus dem Karmeliter-Orden. Keinen Sportler empfing der Papst häufiger.

Es war wohl nicht zuletzt der Glaube, der Bartali dazu trieb, sich einem antifaschistischen Netzwerk anzuschließen. Elia Dalla Costa, der Erzbischof von Florenz, hatte es initiiert, gemeinsam mit dem Rabbiner Nathan Cassuto. Bartali war Dalla Costa gut bekannt. Der Erzbischof hatte das Ehepaar Bartali getraut. Als Dalla Costa Bartali um seine Teilnahme bat, sagte der ohne zu zögern zu – und tat das, was er am besten konnte: Er stieg aufs Rad – und verstaute im Rahmen des Velos die Dokumente. 800 Juden sollen durch seine Fahrten der Deportation entgangen sein.

In Assisi wurden die Dokumente in einem Kloster gedruckt. Die Presse steht dort noch heute. Manchmal fuhr Bartali 350 Kilometer an einem Tag. Streckenposten der Wehrmacht traf er jedes Mal. Zu seinen Taten hat Bartali zeit seines Lebens geschwiegen, auch die Familie sollte nicht öffentlich darüber reden. Doch nun, 13 Jahre nach seinem Tod, wurde Gino Bartali geehrt – in Yad Vashem, der Gedenkstätte der Shoah. Er erhält den Ehrentitel eines „Gerechten unter den Völkern“, eine Auszeichnung, die an Menschen vergeben wird, die Juden unter Einsatz des eigenen Lebens retteten, Menschen wie Oskar Schindler oder Miep Gies, die Anne Frank versteckt hielt, oder Berthold Beitz, der Krupp-Manager.

Dass Bartali diese Ehre doch noch zuteil wird, überrascht

Der radelnde Mönch. Gino Bartali bei seinem ersten Tour-de-France-Sieg 1938, dem er später noch einen weiteren folgen ließ. Über seine Rolle im antifaschistischen Widerstand war bisher wenig bekannt. Nun wurde er als „Gerechter unter den Völkern“ ausgezeichnet.
Der radelnde Mönch. Gino Bartali bei seinem ersten Tour-de-France-Sieg 1938, dem er später noch einen weiteren folgen ließ. Über seine Rolle im antifaschistischen Widerstand war bisher wenig bekannt. Nun wurde er als „Gerechter unter den Völkern“ ausgezeichnet.
© afp

Dass Bartali diese Ehre doch noch zuteil wird, überrascht. Denn das Verfahren lief seit vielen Jahren. Doch die Berichte von Menschen, die Dokumente von ihm bekamen, ihn aber nicht von Angesicht zu Angesicht sahen, genügten den Regeln der Kommission in Jerusalem nicht. Und auch nicht die Aussage des 82-jährigen Shlomo Pas, der noch sehr lebhafte Erinnerungen an den Champion hat. Er erhielt nicht nur Papiere von Bartali: Nach dem Einmarsch der Deutschen wurde er zunächst in einem Kloster versteckt. Dort lebte er, unter katholischen Jungen. „Als es dort unsicherer wurde, kam Bartali und versteckte unsere Familie in seinem Keller in Florenz. Er kam immer wieder, um uns Essen zu bringen, auch seine Frau kam.“ Ein Jahr lang blieb die Familie dort – bis zum Ende der Besatzung. Auch einen Cousin brachte Bartali dort noch unter, auch er bezeugte die Taten.

Eigentlich hätte das Zeugnis aus der Familie Pas genügen können – doch es wurde um ein absurd anmutendes Detail diskutiert: Man wisse nicht, wem der Keller gehört habe, ob Bartali oder seinem Schwager. Das sei ein entscheidendes Detail – denn der Besitzer des Kellers habe sich in Gefahr begeben. „Ich muss gestehen, ich weiß nicht, wem der Keller gehörte – aber welche Rolle spielt das schon, wichtig ist doch, dass er Juden rettete. Er war in Todesgefahr“, sagt Shlomo Pas.

Mittlerweile ist aus Yad Vashem anderes zu hören: Der Keller habe Bartali gehört – doch er selber habe nicht dort gewohnt. Und trotzdem wurde Bartali nun geehrt – denn in Gefahr, so Yad Vashem, hätte sich ja die Person begeben, die dort gelebt und den Keller genutzt hätte. Es klingt nach einer Rechtfertigung dafür, dass Bartalis Verfahren solange andauerte. Und es wirkt so, als sei er wegen seiner großen Popularität nicht ausgezeichnet wurden. Für einen polnischen Bauer interessiere sich niemand, sagt Steinfeldt, für Bartali aber schon. „Er ist eine Legende. Und da fällt es immer schwer, zu trennen, was die Wahrheit ist“, sagt Irena Steinfeldt, die Leiterin der Kommission „Gerechter unter den Völkern“.

Doch auch Elia Dalla Costa, der Erzbischof von Florenz, Bartalis Komplize bei der Rettung, war ein berühmter Mann. Yad Vashem nahm ihn im letzten Jahr auf, mehr als ein halbes Jahrhundert nach seinem Tod. Inzwischen aber, sagt Steinfeldt, seien immer mehr Berichte von Zeitzeugen aufgetaucht, die von Bartalis Kurierfahrten erzählten. Die Summe der Aussagen hätte letztlich zur Aufnahme Bartalis geführt. Heißt dies also, dass Bartali sehr vielen Leuten geholfen hat? „Ja, das heißt es”, sagt Steinfeldt. Und so fügt Yad Vashem der Vita des Champions 13 Jahre nach dessen Tod einen einzigartigen Titel hinzu.

Stefan Osterhaus

Zur Startseite