CHIO - Andreas Ostholt im Interview: „Reiter und Boxer sind sehr ähnlich“
Der Warendorfer Vielseitigkeitsreiter Andreas Ostholt spricht über die Olympischen Spiele in Rio, den CHIO in Aachen und einen speziellen Ausgleich.
Herr Ostholt, Sie waren in Ihrer Kindheit Moderner Fünfkämpfer, jetzt sind Sie Vielseitigkeitsreiter. Eine Disziplin ist Ihnen wohl zu langweilig.
Ja, das ist absolut so. All die unterschiedlichen Sportarten haben mir richtig Spaß gemacht. Aber meine Eltern hatten immer schon Pferde und dann lag es nahe, dass ich mir nun das Pferd schnappe. Ich wollte eben immer schon Action. Und das Actionreichste beim Reiten ist nun mal die Vielseitigkeit.
Warum?
Nicht umsonst wird es die Krone der Reiterei genannt, es ist das Kompletteste und das Ursprünglichste. Besonders beim Geländereiten bekommt man noch den extra Adrenalin-Schub. Es ist nicht standardisiert, weil jedes Gelände anders ist. So gibt es jedes Mal neue Situationen. Vor allem ist es aber die Zusammenarbeit mit dem Pferd, die die Herausforderung ausmacht. Denn man kann sich ja nicht mit dem Tier zusammensetzen und absprechen: Wie gehen wir den nächsten Ritt an? Das setzt 100-prozentiges gegenseitiges Vertrauen voraus.
Was ist denn Ihre Lieblingsdisziplin?
Definitiv das Gelände. Dressur und Springreiten mag ich zwar sehr – aber wenn ich nur diese beiden Disziplinen haben würde, dann wäre mir tatsächlich ein bisschen langweilig. Ich bin echt der Action-Typ.
Finden Sie die Bezeichnung Buschreiter eigentlich despektierlich?
Nein, das ist ja einfach die lockere Bezeichnung aus dem Volksmund. Damit können wir ganz gut leben.
Auf welche Fähigkeiten kommt es beim Vielseitigkeitsreiten also besonders an?
Es ist ein sehr kognitiver und koordinativer Sport. Als Reiter gebe ich die Impulse, aber das Zusammenspiel muss so abgestimmt und vertrauensvoll sein, dass das Pferd jedes Mal richtig reagiert. Der Reiter ist die Software und das Pferd ist die Hardware. Damit es funktioniert, braucht man beides. Und weil man als Reiter körperlich nicht so in die Extreme geht, boxe ich als Ausgleich.
Wieso gerade Boxen?
Boxen hat schon einiges mit dem Reiten zu tun: Boxer sind ebenso angst- und schmerzfrei. Sie taktieren, sie sind antizipationsfähig und besonders vom Koordinativen her sind sich Boxer und Reiter sehr ähnlich. Das hilft mir also sehr. Ansonsten bin ich einfach ein erfahrenes, zielstrebiges, fleißiges Kerlchen – und das wird eben auch belohnt. Vor allem habe ich derzeit aber ein wirklich tolles Pferd, das perfekt zu mir passt und alles für mich gibt.
Trotz all Ihres Zusatztrainings sind Sie also immer davon abhängig, ob Sie das richtige Pferd haben.
Definitiv, das passende Pferd zu finden ist sehr, sehr schwierig. Und wenn es ausfällt, sind wir einfach nur noch Fußgänger. Es ist eben wie beim Menschen auch, Ausnahmeathleten gibt es bei den Pferden nur sehr wenige. In diesem Bereich muss man eben über top, top reden – und nicht nur gut.
Top verlief für Sie bisher auch die Saison. Beim traditionsreichen Wettkampf im englischen Badminton wurden Sie mit Ihrem Wallach „So is et“ sensationell Zweiter.
Dieser zweite Platz ist der bislang größte Erfolg meiner Karriere. Badminton ist das Nonplusultra in unserem Sport, das Wimbledon der Vielseitigkeit. Umso stolzer bin ich über den Erfolg dort. Im Vorfeld gab es Diskussionen darüber, ob ich mit meinem Pferd „So is et“, das sozusagen auf dem Weg nach Rio ist, diese schwere Prüfung reiten sollte. Aber ich hatte mit Badminton noch eine Rechnung offen. Zweimal hatte ich zuvor dort teilgenommen, konnte den Wettkampf aber nicht beenden. Nun Platz zwei zu erreichen, war nicht nur das Bonbon obendrauf, sondern eine Lasterladung voller Bonbons.
An diesem Erfolg hat auch die Springreiter-Legende Hans-Günter Winkler einen großen Anteil.
Wir haben durch einige Zufälle zusammengefunden und trainieren immer noch einmal pro Woche gemeinsam. Ich habe vor drei Jahren seine Reitanlage in Warendorf übernommen, wir wohnen also Haus an Haus und er ist für mich ein väterlicher Freund und sportlicher Ziehvater geworden. Seit 2010 arbeiten wir zusammen, seitdem sind auch meine Springergebnisse sehr stabil geworden. Das habe ich ausschließlich ihm zu verdanken.
Welches Ziel haben Sie sich nun für den CHIO in Aachen gesetzt?
Ich möchte einfach eine solide Leistung abrufen. Dann schauen wir, was dabei rauskommt und was die anderen so ableisten. Das absolute Formhoch brauchen wir drei Wochen später.
"Im nächsten Jahr werde ich wohl neuer Jugend-Bundestrainer werden"
Dank Ihrer starken Leistungen zuletzt haben Sie die Nominierung für Rio de Janeiro quasi schon sicher. Es wären Ihre ersten Olympischen Spiele.
Ich habe ja bereits eine positive Aussage vom Verband bekommen, deshalb bin ich voller Hoffnung, dass ich am Sonntag auch definitiv nominiert werde und dann einer von vier deutschen Startern bin. Bei Olympia teilzunehmen, ist mein großer Traum, den ich mir unbedingt erfüllen möchte. Und ich weiß ja nicht, ob ich diese Chance noch mal bekomme.
Warum?
Im nächsten Jahr kommt auf mich wahrscheinlich eine neue Aufgabe zu. Ich werde dann wohl neuer Jugend-Bundestrainer werden – bei der Arbeit mit Nachwuchsreitern habe ich schon einige Erfahrung. Dieser Trainer-Posten ist bei uns kein Schleudersitz. Und da der jetzt frei wird, muss ich die Chance ergreifen, auch wenn es sich vielleicht zehn Jahre zu früh anfühlt. Diese neue Aufgabe anzugehen, würde natürlich leichter fallen, wenn ich mir meine großen Träume schon erfüllt habe.
Was sind die besonderen Herausforderungen vor Rio?
Mit der Reise nach Übersee ist es natürlich etwas mehr Aufwand, wir mussten etwa schon im Juni unsere detaillierte Packliste abgeben. Da wird aber alles über den Verband organisiert. Ansonsten mache ich mir wegen Rio wenig Gedanken, denn meinem Pferd dürfte es liegen. Die Topografie ist dort sehr hügelig. Und in diesem Terrain hat es bisher überzeugt. Es ist ein kleines, sehr leichtes Pferd und damit sehr reaktionsschnell. Außerdem mag es warmes und schwüles Wetter. Da werde ich mich wohl schwerer tun.
Der Geländeritt ist überaus spektakulär, jedoch kommen dabei nach Stürzen immer wieder Pferde zu Tode. Ist diese Disziplin nicht zu gefährlich für Pferde?
Diese Todesfälle stimmen mich immer wieder nachdenklich. Man muss aber einfach sagen: Überall, wo Spitzensport betrieben wird und es in Grenzbereiche geht, gibt es Unfälle. Bei uns wird es eben noch einmal spezieller wahrgenommen, weil es um den Partner Pferd, ein Tier, geht. Aber tödliche Unfälle können leider in keinem Sport 100-prozentig ausgeschlossen werden. Es gibt bei uns jedoch extreme Anstrengungen, diesen Sport immer sicherer zu machen. Etwa die Sicherheitshindernisse, die in sich zusammenfallen können, damit es nicht mehr zu diesen gravierenden Stürzen kommt. Das ist ein ganz großer Schritt nach vorne. Man kann aber auch noch viel mehr entwickeln – und das kommt hoffentlich auch.
Erwarten Sie also, dass in Rio schwere Stürze vermieden werden können?
Es wird sicher auch in Rio überall dort, wo es schwierig ist, alternative, einfachere Varianten für die Reiter aus schwächeren Nationen geben. Aber dabei ist natürlich auch jeder Reiter selbst gefordert, sich reell einschätzen zu können und zu wissen: Wie weit kann man gehen? Da darf auch falscher Ehrgeiz nicht mit einem durchgehen. Manchmal kommt es zu einer Aneinanderreihung von unglücklichen Momenten, bei denen man auch im Nachhinein nicht wirklich sagen kann: Warum ist das wirklich passiert? Aber manchmal gibt es auch Momente, in denen man sagt: Puh, das war vielleicht etwas zu viel.
Müssen Sie sich auch bremsen?
Definitiv. In Badminton etwa habe ich zweimal ohne Strafpunkte und mit einer schnellen Zeit aufgegeben, weil ich gemerkt hatte, meine Pferde wurden beide Male müde. So müde, dass ich das Gefühl hatte: Es macht keinen Sinn mehr. Reiten ist zu einem besonders großen Teil eben auch ein Kopfsport. Das fängt schon in der Dressur an, wenn ich mit dem Pferd ins Stadion komme und ich spüre schon, das Pferd ist bei mir und ich kann attackieren, dann geht das auch. Wenn ich aber spüre, mein Pferd ist aufgeregt und ich kann nicht alles geben, dann ist meist alles schon im Eimer.