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Mein Bart, dein Bart: Die Boston Red Sox mit David Ortiz (l.) und Jonny Gomes sind wieder wer im Baseball.
© dpa

Baseball: Red Sox - Socken mit Bart

Die Red Sox aus Boston sind in der nordamerikanischen Major League Baseball wieder Titelfavorit – auch weil die Spieler derzeit zum Fürchten aussehen.

Mit dem Bart voraus legte Jonny Gomes die letzten 30 Meter des Spiels zurück. Als er den siegbringenden Punkt nach Hause gelaufen hatte, gab es kein Halten mehr im Fenway Park von Boston. Auf den Rängen lagen sich die Fans in den Armen, auf dem Feld bildete sich binnen Sekunden eine Spielertraube. Männer mit Bärten hüpften wie kleine Jungs von links nach rechts und danach von rechts nach links. Die Red Sox hatten gerade eine unglaubliche Aufholjagd vollendet, im Spiel gegen die Detroit Tigers lagen sie bereits 0:5 zurück und gewannen am Ende doch noch 6:5. Im Halbfinale der Play-offs in der Major League Baseball (MLB) steht es damit in der Best-of-Seven-Serie 1:1, in Boston lebt der Traum von der World Series weiter.

Dabei zählten die Red Sox vor dieser Saison nicht zu den Favoriten. Zu präsent waren die Erinnerungen an das Jahr 2012, in dem das Team den letzten Platz in seiner Division belegte und von 162 Spielen 93 verlor. Dazu weckten die Neuverpflichtungen nicht wirklich Hoffnung auf eine Wende zum Besseren. Sogar die eigenen Fans waren skeptisch, plötzlich war nicht mehr jedes Heimspiel im altehrwürdigen Fenway Park ausverkauft.

Und dann fingen die Bärte an zu wachsen. Erst bei Gomes und Mike Napoli, die damit schon vor der Saison begonnen hatten. Anschließend bei fast allen anderen Spielern der Red Sox. Und mit den Bärten wuchs auch das Team immer mehr zusammen. Aus in die Jahre gekommenen Einzelkämpfern wurde eine verschworene Gemeinschaft, auch weil der neue Manager John Farrell gar nicht erst versuchte, den harten Mann zu geben. Seine Mannschaft zahlte es ihm mit Siegen zurück. Schon Mitte September hatte Boston die erste Play-off-Teilnahme seit vier Jahren gesichert und schloss die reguläre Saison schließlich mit 28 Erfolgen mehr als im Jahr davor ab. Plötzlich war Boston wieder ein Titelkandidat.

Und die Bärte der Spieler wuchsen weiter, nahmen zum Teil furchteinflößende Dimensionen an. Und bekamen Namen. „The Siesta“, „The Ironsides“, „The Sick Flow“ oder einfach „The Wolf“ – je nach Ausprägung des Wuchses bei den einzelnen Spielern. In den Fanshops entwickelten sich falsche Bärte zum Renner, ein großer Sportartikelhersteller startete den Verkauf von T-Shirts mit den Silhouetten der Spielerköpfe. Der Slogan „Fear the Beard“ (Fürchtet die Bärte) erlebte in Boston eine Renaissance. Erst recht, da die verhassten Yankees die Play-offs verpassten. Bei den New Yorkern gelten strikte Regeln, was das Erscheinungsbild betrifft. Lange Haare und Bärte sind beim Erzrivalen der Red Sox verboten.

Der Bart-Kult in Boston trieb derweil immer neue Blüten. Homeruns wurden auf dem Feld mit einem neuen Jubelritual gefeiert. Statt sich einfach nur abzuklatschen, zogen sich die Spieler gegenseitig am Bart. „Das ist wie mit dem Bauch einer schwangeren Frau. Alle wollen ihn berühren“, erklärt Werfer Ryan Dempster diese seltsame Ausprägung des Aberglaubens. Doch mit Glück allein lassen sich die Leistungen der Mannschaft nicht erklären. Die Red Sox legten in vielen Spielen einen unglaublichen Kampfgeist an den Tag. Aufgeben ist keine Option für die Spieler. Das half auch gegen Detroit am Sonntagabend. Nach der 0:1-Niederlage im ersten Spiel stand die Null auch in Spiel zwei Inning für Inning. Und trotzdem: „Es gab nie Zweifel bei uns, dass wir dieses Spiel noch gewinnen“, sagte Gomes und fügte hinzu: „Das ist einfach die Identität unseres Teams, die wir in dieser Saison aufgebaut haben.“

Das sieht auch David Ortiz so, der im achten Inning mit einem Homerun zum 5:5 ausgeglichen hatte. „Wir sind eine Mannschaft, die kämpft. Wir geben niemals auf, das haben wir die ganze Saison über gezeigt.“ Dabei ist Ortiz einer der wenigen bei den Red Sox, die schon vor der Saison Bart trugen. Sein Backenbewuchs („The Tease“) wirkt zwischen den Rauschebärten beinahe schob penibel gepflegt. Und dürfte auch einen möglichen Meistertitel überdauern. Bei anderen Spielern hat es dann mit den Bärten wohl ein Ende. „Wenn sie die World Series gewinnen, muss der Bart ab“, forderte kürzlich eine Spielerfrau stellvertretend für ihre Zunft. Auf Familienfotos macht sich der wilde Look längst nicht so gut wie auf dem Baseballfeld.

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