Hetze in Brandenburg: Rechtsextreme mobilisieren gegen Flüchtlingsheime
In mehreren Orten in Brandenburg nutzen rechtsextreme Organisationen die Bedenken von Bürgern, um gegen Flüchtlinge zu hetzen. Die Landesregierung hat eine Strategie entwickelt, um die Konflikte zu entschärfen.
Am gestrigen Mittwochabend haben etwa 50 Neonazis in Zepernick (Barnim) eine Kundgebung gegen eine Übergangseinrichtung für 20 Flüchtlinge abgehalten. Die Polizei sprach von 40 Teilnehmern und einem störungsfreien Verlauf. Rund 200 Menschen beteiligten sich an Gegendemonstrationen, zu der die Gemeinde Panketal, Parteien und verschiedene Bündnisse aufgerufen hatten. Sie verhinderten, dass die NPD direkt vor dem für das Heim vorgesehenen Gebäude aufmarschieren konnte. Die Neonazis mussten auf die Straßenseite gegenüber ausweichen. Von ihnen ist ein Großteil dem rechten Netzwerk „Nationaler Widerstand Berlin“ und der Berliner NPD zuzurechnen. Angemeldet war die Kundgebung von der NPD Barnim-Uckermark. Die Parteikreischefin Aileen Rokohl hatte zuvor im Internet geschrieben: „Zeigen wir den etablierten Volksverrätern, dass wir uns gegen den Asylmissbrauch wehren.“
Auch im Havelland wurde gegen ein Flüchtlingsheim demonstriert
Zur gleichen Zeit fand in Friesack (Havelland) eine Bürgerversammlung des Landratsamtes zu einem geplanten Flüchtlingsheim statt. Das Gebäude wird bislang auch als Lehrlingsheim genutzt. Ein Bewohner hielt am Abend die Reichskriegsflagge aus dem Fenster. Bei der Bürgerversammlung, an der laut Polizei 250 Einwohner aus Friesack und Rathenow teilnahmen, waren auch NPD-Funktionäre und Mitglieder einer rechten Tarn-Bürgerinitiative, sie äußerten sich aber nicht. Die Stimmung war friedlich.
Mehrere Bürger sagten, sie hätten wegen der Flüchtlinge Angst und könnten ihre Kinder nicht mehr zu Fuß zur Schule schicken. Sie unterstellten, die Flüchtlinge seien zum Teil Kriminelle, und verlangten schärfte Sicherheitsmaßnahmen und eine bessere Beleuchtung in den Straßen. Ein Einwohner fragte, ob die Asylbewerber „auf Straftaten in ihrer Heimat überprüft“ werden. Andere Einwohner dagegen erinnerten an positive Erfahrungen in den 1990er-Jahren mit Flüchtlingen aus Ex-Jugoslawien und an das Flüchtlingsschicksal der eigenen Großelterngeneration am Ende des Zweiten Weltkriegs.
Der Chef der Polizeiinspektion Havelland; Lutz Gündel, sagte, nach bisheriger Einschätzung der Sicherheitslage in Friesack seien keine starken Polizeimaßnahmen nötig. Der Wachschutz vor Ort im Flüchtlingsheim, der einen kurzen Draht zu Polizei für den Notfall habe, sei zunächst ausreichend.
Rechtsextreme instrumentalisieren Sorgen der Bürger
Die Sicherheitsbehörden in Brandenburg sind wegen mehrerer Neonazi-Aufmärsche, gescheiterter Brandanschläge und von Neonazis zur Tarnung gegründeter Bürgerinitiativen alarmiert. Mit ihrer Propaganda gegen eine wachsende Zahl von Asylbewerbern und neue Flüchtlingsunterkünfte im Land „haben die Rechtsextremen eine neues Thema gefunden, um die Sorgen, Fragen und Bedenken von Bürgern für ihre Zwecke zu instrumentalisieren“, sagte der Sprecher des Innenministeriums. Nach dem Muster von Berlin-Hellersdorf wird in mehreren Orten Stimmung gegen ein geplantes Asylbewerberheime gemacht. Nach dem Auftreten von vermeintlichen Bürgerinitiativen mit dem Namen „Nein zum Heim in …“ in Pätz (Dahme-Spreewald) und Gransee gibt es solche Gruppe jetzt auch in Friesack (Havelland) und Bad Belzig (Potsdam-Mittelmark).
In Bad Belzig hetzt das von Rechtsextremen betriebene Netzwerk gegen ein Flüchtlingsheim, das 2015 ausgebaut und saniert werden soll. Am Montag werde mit Protesten auf der Sozialausschusssitzung der Stadt Bad Belzig gerechnet, heißt es aus dem Landratsamt. Dort soll der Bau thematisiert werden. Im Vorfeld hatte ein polizeibekannter Belziger einen Fragenkatalog dazu an die Behörden geschickt. Mit Aussagen wie „Wir sagen Nein, stellen uns quer, zu Wirtschaftsflucht und Sozialbetrug, zu Asyllobbyismus und ungehemmter Zuwanderung“, ist die Zahl der Fans schnell auf 400 angestiegen. Eine weitere Facebookseite mit dem Namen „Interessengemeinschaft Weizgrunderweg 21“, auf der gegen Flüchtlinge gehetzt wird, besteht seit wenigen Monaten.
Belzig stellt sich auf Demos gegen Flüchtlingsheime ein
Für den Landkreis Potsdam-Mittelmark bedeutet das, auf Proteste vorbereitet zu sein: Besonders in Bad Belzig sind jetzt auch Demonstrationen zu befürchten, sagte Ministeriumssprecher Decker. Bereits in den vergangenen Monaten seien im Landkreis Mahnwachen gegen die Unterbringung von Flüchtlingen abgehalten worden, sagte Frauke Postel vom Mobilen Beratungsteam Potsdam. Die Aktionen hätten in Beelitz, Bad Belzig und Niemegk stattgefunden und wurden von der NPD organisiert, so Postel. Der Verein Opferperspektive warnt vor den Bad Belziger Rechtsextremen. Die seien traditionell gut vernetzt.
Anfang des Jahres war das Asylbewerberheim in Beelitz-Heilstätten angezündet worden. Die Polizei ging von einem fremdenfeindlichen Motiv aus. Vor wenigen Monaten waren in Teltow an Straßenlaternen, Ampeln und Verkehrsschildern rassistische Aufkleber angebracht worden. Bisher sei die NPD im Landkreis wenig erfolgreich: Der Widerstand aus der Bevölkerung sei zu groß, so Postel: „Es gibt sehr viele Kommunen mit einer gut ausgebildeten Zivilgesellschaft.“ Auch Politik und Verwaltung seien für das Thema sensibilisiert.
Flüchtlinge sollen in Wohnungen untergebracht werden
Um Konflikte mit Neonazis und aufgebrachten Bürgern an einzelnen Standorten von Flüchtlingsheimen zu entschärfen, wollen SPD und Linke im kommenden Jahr fünf Millionen Euro für die Unterbringung in Wohnungen ausgeben. SPD-Fraktionschef Klaus Ness begründete dies mit den Versuchen von Rechtsextremisten, die steigende Zahl an Asylsuchenden für ihre Zwecke zu instrumentalisieren. Bilder wie aus dem sächsischen Schneeberg, wo mehr als 2 000 Neonazis und Einwohner mehrfach im Fackelschein gegen ein Asylheim aufmarschierten, sollen mit den zusätzlichen Geldern verhindert werden. "Wir tun das auch, weil wir aufpassen müssen, damit daraus kein gesellschaftlicher Sprengstoff wird“, sagte Ness. Allerdings soll das Geld nicht nach dem Gießkannenprinzip verteilt werden, sondern „in spezifischen Situationen helfen“.
Strittig ist, ob das Vorgehen von Rot-Rot aus Sorge vor rechten Umtrieben gegen Flüchtlingen nötig ist. Nach Einschätzung der Sicherheitsbehörden greift die rechte Propaganda gegen Ausländer in Brandenburg bislang kaum. Im Gegensatz zu Teilen von Sachsen droht nach Ansicht von Experten vorerst keine breite ausländerfeindliche Stimmung in der Bevölkerung mit Ausschreitungen gegen Asylbewerber und Flüchtlingsheime wie in den 1990er-Jahren. Zugleich warnten die Experten des Moses Mendelssohn Zentrums (MMZ), des Aktionsbündnisses gegen Gewalt, Rechtsextremismus und Fremdenfeindlichkeit sowie des Vereins Opferperspektive in einer Umfrage der "Potsdamer Neuesten Nachrichten" aber auch davor, die aktuellen Aktionen von Rechtsextremisten in Brandenburg gegen Flüchtlingsheime zu verharmlosen. Der Potsdamer MMZ-Politikwissenschaftler Christoph Kopke sagte, im Unterschied zu den früheren 1990er-Jahren, als Brandenburg von schweren Gewalttaten gegen Ausländer erschüttert worden war, gebe es inzwischen gerade auch in den schwach entwickelten Regionen Brandenburgs „Ansätze einer Zivilgesellschaft“, was auch ein Verdienst des landesweiten Bündnisses „Tolerantes Brandenburg“ sei. Es gebe aber auch keine breite Solidarisierung mit den Flüchtlingen. Die Stimmung im Land sei eine andere als damals und werde nicht wie in den 1990er-Jahren „von einer unverantwortlichen Asyldebatte der Politik angeheizt. Sollte die Politik hier wieder einsteigen, könnte es brenzlig werden“, sagte Kopke. „Noch scheint es gut zu laufen. Das kann auch umkippen und sich verändern.“