zum Hauptinhalt
Klagefreudig. Trainer Deschamps (hier im TV-Studio von TF1) schaltete seine Anwälte gegen Eric Cantona ein.
© REUTERS

Frankreichs Fußball-Nationalelf: Probleme aller Couleur vor dem EM-Auftakt

Frankreichs Nationalmannschaft ist sportlich Weltspitze. Doch der Traum vom Titelgewinn beim Heimturnier wird von internen Affären bedroht.

Kurz bevor es losgeht, hat auch mal der Präsident vorbeigeschaut. François Hollande kam zum Mittagessen nach Clairefontaine, wo die französische Nationalmannschaft residiert und sich fit macht für die Europameisterschaft. Was da so besprochen wurde zwischen dem Chef de L’Etat und seinen kickenden Staatsdienern, drang nicht an die Öffentlichkeit. Die Türen öffneten sich nur kurz für ein Foto, auf dem Trainer Didier Deschamps und Kapitän Hugo Lloris den Präsidenten in die Mitte nahmen. Alle drei lächelten sie ein wenig gequält, was ganz gut die Stimmung in Frankreich wiedergibt vor dem Eröffnungsspiel der Europameisterschaft.

Die Grande Nation ringt mit sich

Im Stade de France von Saint-Denis, der Banlieue nördlich von Paris, trifft Frankreich am Freitag auf Rumänien. Die Grande Nation ringt mit sich. Mit den Erwartungen an ihre Fußballspieler und auch mit dem, was Hollande im Élysée-Palas zu verantworten hat. Der von Streiks und Unruhen geplagte Sozialist ist der unbeliebteste Präsident, an den sich die meisten Franzosen erinnern können, und es heißt, nicht mal eine erfolgreiche Europameisterschaft würde seine Beliebtheitskurve entscheidend verbessern. Dass nun „Les Bleus“, die in blaue Leibchen gekleideten Nationalspieler, so hart um die Zuneigung ihrer Landsleute kämpfen müssen, hat auch politische Gründe. Der Ausschluss des großartigen Angreifers Karim Benzema spaltet das Land. Seine Unterstützer wähnen den Stürmer mit nordafrikanischen Wurzeln als Opfer einer rassistischen Kampagne im Auftrag der politischen Elite, für seine Gegner ist er ein gewöhnlicher Krimineller, der sich an der Erpressung seines Mitspielers Mathieu Valbuena beteiligt hat. Trainer und Spieler stecken alle mittendrin, und das hat die Vorbereitung auf das Turnier doch ein wenig schwierig gestaltet.

Ausgeprägter Offensivgeist

„Man versucht immer, so etwas auf Distanz zu halten“, sagt Hugo Lloris, „aber es betrifft nun mal zwei wichtige Spieler, da ist das nicht so einfach.“ Der Torhüter von Tottenham Hotspur wird die Mannschaft heute als Kapitän auf den Rasen führen. Es ist eine Mannschaft, die über großartige Individualisten verfügt, etwa den Mittelfeld-Antreiber Paul Pogba von Juventus Turin oder die Stürmer Antoine Griezmann (Atlético Madrid) und Olivier Giroud (FC Arsenal). Wahrscheinlich wird sich Trainer Didier Deschamps gegen Rumänien sogar den Luxus leisten, Manchester Uniteds Hochbegabung Anthony Martial erst einmal auf die Bank zu setzen, denn da ist ja noch Dimitri Payet, der bei West Ham United eine sensationelle erste Premier-League-Saison gespielt hat und trotz Martial Frankreichs Entdeckung des Jahres ist. Kingsley Coman muss sich trotz seiner ansprechenden Leistungen beim FC Bayern noch weiter hinten anstellen.

Qualität, Erfahrung, Selbstvertrauen?

Der ausgeprägte Offensivgeist erfreut das künstlerisch ambitionierte Publikum. Aber es lässt sich schwerlich ignorieren, dass es in der Absicherung nach hinten nicht ganz so gut aussieht. Keine Mannschaft auf höchstem Niveau lässt vor dem eigenen Tor so viel zu wie die französische. Die vier Testspiele in diesem Jahr wurde zwar allesamt gewonnen, aber gegen die Niederlande (3:2), Russland (4:2) und Kamerun (3:2) gab es jeweils zwei Gegentore, allein beim finalen Test am vergangenen Samstag gegen Schottland (3:0) hielt die französische Deckung. „Kann man dieser Abwehr trauen?“, hat das Fachblatt „L’Équipe“ Hugo Lloris gefragt, und die Antwort fiel eher defensiv aus: „Das werden im Endeffekt die Spiele zeigen. Vorher kann man immer viel reden, aber wir haben die Qualität, die Erfahrung und das Selbstvertrauen für diese Aufgabe.“

„Wenn ich ein Tor schieße, bin ich Franzose, bei Problemen bin ich Araber“, sagt Karim Benzema.
„Wenn ich ein Tor schieße, bin ich Franzose, bei Problemen bin ich Araber“, sagt Karim Benzema.
© imago/Richard Wareham

Über allen sportlichen Sorgen und Hoffnungen aber steht die Affäre Benzema, in der es sich längst nicht mehr um ein Sex-Filmchen geht, mit dem Valbuena erpresst wurde. Diese Sache ist an sich klar und spricht nicht gerade für Benzema. Auf einem Telefonmitschnitt ist zu hören, wie er zu Valbuena sagt: „Pass auf, Alter, nichts mit irgendwelchen Vermittlern, Anwälten, Freunden, Beratern oder der Polizei. Wenn das Video wegsoll, wird dich mein Freund in Lyon besuchen.“ Deschamps hat ihn deswegen aus der Nationalmannschaft ausgeschlossen, und um das ganze Durcheinander perfekt zu machen, fehlt auch Valbuena im EM-Aufgebot.

"Bei Problemen bin ich Araber"

Benzema sieht dabei höhere Mächte im Spiel. „Ich weiß nicht, ob es allein die Entscheidung von Didier war, denn ich komme sehr gut mit ihm zurecht“, hat der Stürmer von Real Madrid der spanischen Zeitung „Marca“ erzählt. Und: „Er hat sich dem Druck eines rassistischen Teils Frankreichs gebeugt.“ Namentlich brachte er den Namen von Ministerpräsident Manuel Valls in Spiel. Grundsätzlich sei es doch so: „Wenn ich ein Tor schieße, bin ich Franzose, aber wenn ich keins schieße oder wenn es Probleme gibt, bin ich Araber.“

Das deckt sich mit der Einschätzung von Eric Cantona, einem stürmenden Helden der Vergangenheit, dessen Namensnennung für gewöhnlich mit dem Zusatz „Enfant terrible“ verbunden ist. Cantona wird in Frankreich immer noch gern vom Boulevard gefragt und hat en passant per Ferndiagnose erklärt, Deschamps habe nicht nur Benzema, sondern auch Hatem Ben Arfa von OGC Nizza wegen seiner nordafrikanischen Herkunft nicht berufen. Deschamps schaltete darauf seine Anwälte ein, und in dieser Tonart wird es wohl noch ein wenig weitergehen.

In der Mannschaft kommt das nicht besonders gut an. Pünktlich zur EM-Eröffnung hat sich Bacary Sagna zu Wort gemeldet. „Es ist ausgesprochen dumm, dass jedes Problem vor jeder Zusammenkunft der französischen Nationalmannschaft zum Thema gemacht wird“, sagt der Verteidiger von Manchester City. „Ich bin schwarz. Einige kommen aus den nordafrikanischen Ländern, einige sind Franzosen. So ist die Welt.“ Sagnas Familie ist aus dem Senegal zugewandert, Benzemas aus Algerien. Die Eltern von Regierungschef Valls kommen übrigens aus Spanien und der Schweiz, er selbst ist in Barcelona geboren und erst seit 1992 in Besitz der französischen Staatsbürgerschaft.

Zur Startseite