Eisbären-Trainer Serge Aubin in Berlin: Planspiele in Zeiten der Krise
Für Eisbären-Trainer Serge Aubin ist Berlin zu seiner Heimat geworden. Im Moment plant der Kanadier die neue Saison – trotz aller Unwägbarkeiten.
Einmal möchte Serge Aubin dann doch kurz der ernüchternden Realität entfliehen: „In einer perfekten Welt würde ich mich jetzt darauf vorbereiten, den Pokal hochzuheben“, sagt der Trainer der Eisbären Berlin am Telefon. „Dann würden wir jetzt ja noch spielen.“
So hätte es ohne die Covid-19-Pandemie kommen können: Die Finalserie der Deutschen Eishockey-Liga (DEL) hätte in diesen Tagen stattfinden sollen. Doch das Virus hat dafür gesorgt, dass die Saison schon im März nach der Hauptrunde abgebrochen wurde. Der 45-jährige Kanadier musste darauf verzichten, sein Team, das sich in der ersten Spielzeit unter seiner Regie deutlich gesteigert hatte, in die entscheidende Saisonphase und möglicherweise sogar zum Titel zu führen. „Durch die Absage der Play-offs fühlt es sich an, als hätten wir nur die halbe Mahlzeit bekommen“, sagt er.
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So muss nun auch der Eisbären-Coach den Alltag im Ausnahmezustand bewältigen. „Anfangs bin ich ganz gut zurecht gekommen“, sagt er. „Aber dann wurde es zwei, drei Wochen lang schwierig." Ständig dachte er daran, welches Spiel eigentlich gerade stattfinden sollte. Schließlich habe aber „die Realität zugeschlagen“. Da wusste Aubin: „Okay, das war's“ – und versuchte, das Beste aus der Lage zu machen.
So kümmert er sich nun trotz aller Unwägbarkeiten um die Vorbereitung auf die kommende Spielzeit, obwohl viele Pläne der Krise zum Opfer fielen. Statt zur Eishockey-Weltmeisterschaft und zum Draft der National Hockey League (NHL) zu reisen und dort Trainerkonferenzen zu besuchen, muss Aubin sich auf Online-Gespräche mit Kollegen in aller Welt beschränken.
Immerhin bleibt mehr Zeit für die Familie. Seine Frau und der jüngste Sohn leben mit ihm in Berlin. „Wir gehen viel im Tiergarten spazieren, das ist ein wunderschöner Park“, sagt Aubin. „Außerdem machen wir Spiele und kochen zusammen. Das sind die kleinen Dinge, für die wir sonst oft keine Zeit haben.“
Das Haus in Kanada haben die Aubins verkauft
Dass der Kanadier die Krise in Berlin erlebt, macht ihn zu einer Ausnahme im Eishockeysport. Selbst Nordamerikaner, die jahrelang in Europa beschäftigt sind, verbringen normalerweise den Sommer in ihrer Heimat. Doch die Aubins entschieden sich anders. Ihr Haus in Kanada haben sie inzwischen verkauft. „Unser Zuhause ist jetzt hier“, sagt der Trainer. „Meine Frau und ich haben uns in das Leben in Europa verliebt.“
Dafür hatten sie genug Zeit: Vor 14 Jahren war der Kanadier nach fast 400 Einsätzen in der NHL in die Schweiz gewechselt. Danach spielte er für die Hamburg Freezers, bis eine Verletzung seine Profikarriere beendete. In Hamburg startete Aubin auch seine Trainerlaufbahn, später gewann er mit den Vienna Capitals die Meisterschaft in Österreich, ehe er nach einem Intermezzo in Zürich im vergangenen Jahr zu den Eisbären kam.
Anfangs war die Familie noch im Sommer nach Kanada geflogen, doch dann wurden die Kinder größer, gingen in Europa zur Schule und fanden hier ihre Freunde. Schließlich wurde auch der Alltag in Nordamerika zunehmend fremd: „Ich konnte mich irgendwann nicht mehr an die Nummer meiner Bankkarte erinnern, weil ich sie dort so lange nicht benutzt hatte“, erzählt Aubin. Zudem mochte er das Temperament der europäischen Eishockeyfans nicht mehr missen. „Als ich in der NHL spielte, hatten wir oft über 20.000 Zuschauer, aber es war still und fühlte sich eher geschäftsmäßig an. Hier spürt man wirklich die Leidenschaft“, sagt er.
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So versucht der Kanadier nun, die Professionalität, die er in der NHL erlebt hat, nach Europa zu übertragen. Auch jetzt will er seinen Spielern, die längst in ihren Heimatorten weilen, ein Vorbild sein. „Mein Motto ist: Ein echter Profi tut die richtigen Dinge, wenn niemand zusieht“, sagt er.
So hat sich Aubin ein eigenes Fitnessregime auferlegt. „Ich versuche, wieder so weit wie möglich dahin zu kommen, wie ich mich als Spieler gefühlt habe“, sagt er. Damit will er seinen Profis vorleben, „dass jeder für sich Verantwortung übernehmen kann“. Schließlich haben die Eisbären noch einen Job zu beenden – wann auch immer die nächste Saison beginnen wird.