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Petr Stochl, 42, will sich nun wieder anderen Sportarten zuwenden, Tennis, Eishockey, Fußball – dafür blieb in den letzten Jahren einfach keine Zeit.
© imago/Mario Stiehl International

Letztes Spiel für Füchse-Legende: Petr Stochl: „Mein Kopf ist jetzt müde“

Nach zwölf Jahren im Tor der Füchse beendet Petr Stochl heute seine Vereinskarriere. Der 42 Jahre alte Tscheche über die Erfolge des Klubs, ständigen Leistungsdruck und die Freude auf ein normales Leben.

Herr Stochl, mit 42 Jahren sind Sie aktuell der älteste Profi im deutschen Mannschaftssport. Fühlen Sie sich auch so?

Danke, dass Sie mich daran erinnern (lacht). Aber im Ernst: Das Alter ist für mich nur eine Zahl, ich fühle mich gut. Wahrscheinlich auch, weil ich die ganze Zeit zwischen jungen Leuten bin.

Ist der Altersunterschied da oft zu spüren?

Ich spiele mit Kevin Struck zusammen, der ist halb so alt wie ich. Und er vergisst eigentlich bei keinem Training, mich darauf auch hinzuweisen.

Nach 22 Jahren im Profihandball und davon zwölf im Trikot der Füchse Berlin beenden Sie an diesem Sonntag beim Heimspiel gegen Hüttenberg (Beginn 15 Uhr, Max-Schmeling-Halle und live bei Sky) Ihre Vereinskarriere. Erinnern Sie sich noch an Ihr allererstes Spiel?

Na klar! Ich war sieben Jahre alt und das Spiel endete 2:1. Ich war wohl nie wieder so nah dran, zu null zu spielen (lacht).

Sie spielten lange in Ihrer Heimat Tschechien, über Frankreich kamen Sie mit 30 schließlich nach Deutschland. Warum wagten Sie diesen Schritt erst so spät?

Die Bundesliga war schon immer mein großer Traum. Das ist wie die NHL für Eishockeyspieler oder die NBA im Basketball. Aber es ist nicht so einfach, einen tschechischen Klub Richtung Ausland zu verlassen, die Transferbedingungen machen es einem schwer. Mit 28 habe ich meine Ablösesumme dann einfach selbst bezahlt, meine Frau gab ihren Job bei der Bank auf und wir sind für zwei Jahre nach Frankreich. Für uns hieß das damals: Alles oder Nichts.

Wie viel war Ihnen Ihr Traum wert?

20 000 Euro – und das war sehr viel Geld für mich. Ich vereinbarte mit meinem Klub in Tschechien, dass ich den Betrag während meiner ersten Saison in Frankreich abstottern kann, und so habe ich in diesem einen Jahr quasi nichts verdient.

Dann kam der Anruf aus Berlin?

Mein Berater erzählte mir irgendwann von den Füchsen, bis dahin hatte ich von dem Verein nie etwas gehört.

Die Füchse spielten zum damaligen Zeitpunkt noch in der Zweiten Liga.

Ich traf mich dann mit Bob Hanning (Manager der Füchse, Anm. d. R.) und er konnte mich schnell überzeugen – die große Stadt, die schöne Halle, der ambitionierte Verein. Er wollte in Berlin etwas Großes aufbauen, und ich konnte da von Anfang an dabei sein, das war schon eine sehr besondere Chance für mich.

Gleich in Ihrer ersten Saison klappte es mit dem Aufstieg.

Das war wirklich das Beste, was uns passieren konnte. Die ersten paar Jahre waren fantastisch! Was wir für einen Schwung hatten! Unglaublich!

Vier Jahre später erreichte der Klub das Halbfinale der Champions League. Wie war das möglich nach so kurzer Zeit?

Wir waren eine selbstbewusste Truppe – und hatten das nötige Glück. Im Viertelfinale kam es ja damals zur selben Situation wie zuletzt gegen Nexe, gegen Leon sollten wir elf Tore aufholen. Das schaffst du nicht mal eben so.

Klingt nach einer intakten Mannschaft.

Und nach Iker Romero...

...dem spanischen Starspieler, der auf seine alten Tage noch einmal nach Berlin kam.

Ich weiß noch, wie ich vor seiner Verpflichtung zu Bob sagte: „Iker war sicher mal ein super Spieler, aber jetzt will ihn in Spanien niemand mehr haben, der kann sich doch gar nicht mehr bewegen.“ Das waren meine Gedanken. Bob antwortete, er sei auch nicht ganz überzeugt gewesen, aber dann habe er mit Iker gesprochen – und seitdem wolle er ihn unbedingt holen! Nach ein paar Wochen bin ich dann wieder zu Bob und sagte ihm, wie recht er doch gehabt hatte. Diese positive Mentalität von Iker, in jedem Training hat er sich und die Mannschaft noch verbessern wollen, das hat mir sehr imponiert. In meinen zwölf Jahren war Iker für mich der größte Spieler in Berlin.

An Ihrer eigenen Rolle im Klub änderte sich 2009 Entscheidendes: Sie bekamen den jungen Silvio Heinevetter vor die Nase gesetzt.

Es war die gleiche Zeit, als auch Dagur Sigurdsson neuer Trainer wurde. Auf einmal war ich kein Kapitän mehr. Und auf einmal stand ich nicht mehr im Tor.

"Rein körperlich könnte ich weiter spielen"

Wie kamen Sie damit klar?

Die Situation war nicht einfach für mich. Heine war ein ganz anderer Typ als ich – jung, extravagant. Als er nach Berlin kam, wusste ich gar nicht, was mich da erwarten würde. Aber dann haben wir uns von Anfang an verstanden und unterstützt, wir hatten eigentlich nie ein Problem miteinander. Das ist wahrscheinlich auch der Grund, warum das jetzt neun Jahre lang so gut funktioniert hat mit uns, das ist ja schon eine außergewöhnlich lange Zeit für ein Torhüterduo.

Was macht das für einen Unterschied: als Torhüter das Spiel zu beginnen – oder eingewechselt zu werden?

Heine wollte immer spielen, und ich wollte auch immer spielen. Wenn ich gemerkt habe, dass der Trainer nach Leistung aufstellt, konnte ich auch mit einem Platz auf der Bank leben. Aber es hat ein bisschen gedauert, ich musste das erst lernen: auch auf der Bank voll konzentriert zu bleiben! Man kommt dann ja meistens rein, wenn es nicht so läuft, minus ein, zwei Tore, da musst du der Mannschaft dann sofort helfen und möglichst gleich den ersten Ball parieren. Das ist schon eine sehr spezielle Herausforderung – vielleicht hat mich diese Rolle auch noch besser gemacht.

Heinevetter sagte neulich, dass er sich gewünscht habe, sie würden noch etwas länger an seiner Seite bleiben.

Das freut mich sehr. (Lacht) Aber vielleicht hat er einfach Angst vor einem viel jüngeren Konkurrenten, den er jetzt mit Malte Semisch bekommt. Jetzt steckt Heine plötzlich in der selben Situation wie ich damals mit ihm.

Herr Stochl, in Ihrer Zeit in Berlin wurde aus den Füchsen eine Erfolgsgeschichte, der Klub gewann fünf Titel, zuletzt vor zwei Wochen den EHF-Cup. War es Ihnen wichtig mit einem Titel abzutreten?

Ich habe vor dem Final Four versucht, gar nicht daran zu denken. Aber natürlich ist das jetzt sehr schön, nach einem Pokalsieg zu gehen. Noch schöner wäre das natürlich bei einem Finale gegen Magdeburg gewesen! Dieses Gefühl, als Kapitän den Pokal zu bekommen, das ist ja unbeschreiblich.

Werden Sie das nicht vermissen?

Aber natürlich werde ich das vermissen! Aber vielleicht gibt es diese positiven Emotionen für mich auch woanders zu holen, wenn meine Kinder zum Beispiel mal einen Pokal gewinnen oder in der Schule erfolgreich sind. Das ist natürlich etwas ganz anderes, aber so langsam werden solche Dinge für mich wichtiger als der Handball.

Dann ist jetzt der richtige Zeitpunkt?

Ja, ich denke schon. Rein körperlich könnte ich sicherlich noch weiterspielen, aber mein Kopf ist jetzt müde. Ich spiele seit 22 Jahren Profihandball – und wenn ich etwas mache, dann mache ich es hundertprozentig, das heißt: jeden Tag, jedes Training volle Konzentration, sich vorbereiten auf die Spiele, immer Leistung bringen, Leistung, Leistung, Leistung. Mein Kopf braucht jetzt mal etwas anderes, eine andere Stimmung, andere Aufgaben.

Der Fußballer Per Mertesacker berichtete jüngst vom immensen Druck für Profisportler. Ihm war übel vor dem Spiel, er hatte Durchfall.

Ich hatte vor den Spielen vielleicht nicht gerade solche Probleme wie er, aber so etwas kenne ich auch: Man fühlt ständig eine Verantwortung und muss sich jeden Tag zur Höchstleistung bringen. Beim Fußball ist der Druck natürlich noch tausendmal größer als bei uns, nach einer schlechten Leistung stehst das in jeder Zeitung. Für den Karius (Liverpools Torwart unterliefen im Finale der Champions League zwei spielentscheidende Fehler, Anm.d.R.) war das sportlich eine Katastrophe, aber jetzt muss er auch noch Angst um das Leben seiner Familie haben, der bekommt ja tausende negative Nachrichten im Internet.

Haben Sie sich oft gefragt: Warum tue ich mir das eigentlich alles an?

(Überlegt) Es war eine schöne Zeit, ich konnte das machen, was ich mag, habe neue Freunde gefunden. Aber natürlich fragt man sich manchmal: Warum mache ich das? Warum laufe ich hier? Um was geht es hier eigentlich? Es geht ja eigentlich um nichts. Es ist nur Sport.

22 Jahre Profisport bedeuten auch 22 Jahre Verzicht. Worauf freuen Sie sich jetzt am meisten?

Vielleicht auf ein ganz normales Leben, ein Leben mit der ganzen Familie, meinen Eltern, meinen Geschwistern. In Pilsen werden wir jetzt alle wieder in der gleichen Stadt leben, das hat es die letzten 15 Jahre ja nicht gegeben. Ich werde jeden einzelnen Tag genießen, ganz besonders die Wochenenden, die Feiertage, an denen musste ich ja bisher immer Handballspielen.

Gar keine Angst vor der Freiheit?

Nein, eigentlich nicht. Ich hatte zuletzt sechs Jahre Vertrag, das ist natürlich eine große Sicherheit gewesen. Jetzt bin ich auch ein bisschen aufgeregt. Manchmal überlege ich, wie das wohl alles wird, ich habe viele neue Aufgaben zu erfüllen. Aber eigentlich freue ich mich auf alles, was kommt.

Den Füchsen bleiben Sie ja aller Voraussicht nach auch erhalten.

Ich würde für den Verein gerne als Torwarttrainer arbeiten, ja. Die letzten Gespräche laufen da noch, aber ich denke, dass wir uns grundsätzlich einig sind. An zwei Tagen in der Woche werde ich dann weiter hier in Berlin sein.

Am Sonntag steht nun aber erst einmal Ihre Verabschiedung an. Wie erleben Sie die letzten Tage?

Es ist gerade alles das letzte Mal, letztes Dienstagtraining, letztes Mittwochtraining, letztes Donnerstagtraining, letztes Interview mit Ihnen. Ich denke, am Sonntag wird es für mich dann noch einmal sehr emotional werden: Berlin ist meine zweite Heimat geworden, die Füchse werden immer in meinem Herzen bleiben.

Haben Sie sich etwas Besonderes vorgenommen? Vielleicht doch noch einmal ein Spiel zu null beenden?

(Lacht) Nein, nein. Das 2:1 von damals wird sicherlich mein bestes Ergebnis bleiben. (Überlegt) 35 Jahre ist das jetzt her. Unglaublich, oder?

Das Gespräch führten Benjamin Apitius und Christoph Dach.

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