Wahlkampf auf Türkisch: Özil, Gündogan und der Präsident
Die deutschen Nationalspieler Özil und Gündogan machen Wahlkampf für den türkischen Präsidenten Erdogan - auf den zweiten Blick ist die Sache komplizierter.
Seit gut drei Monaten verfügt Reinhard Grindel über einen Twitteraccount. Rund 170 Tweets hat der Präsident des Deutschen Fußball-Bundes seitdem in die Welt gesandt, und auch am Dienstag bediente er sich dieses Kommunikationsmittels, um eine wichtige Botschaft zu verbreiten. Es ging um die deutschen Nationalspieler Mesut Özil und Ilkay Gündogan, die sich am Sonntag mit dem türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan in London getroffen hatten. „Der DFB respektiert und achtet selbstverständlich die besondere Situation unserer Spieler mit Migrationshintergrund. Aber der Fußball und der DFB stehen für Werte, die von Herrn Erdogan nicht hinreichend beachtet werden“, twitterte Grindel. „Deshalb ist es nicht gut, dass sich unsere Nationalspieler für seine Wahlkampfmanöver missbrauchen lassen. Der Integrationsarbeit des DFB haben unsere beiden Spieler mit dieser Aktion sicher nicht geholfen.“
Özil und Gündogan hatten Erdogan Trikots ihrer Klubs FC Arsenal und Manchester City überreicht. Als Dritter war der in Wetzlar geborene Cenk Tosun (FC Everton) dabei. Fotos wurden von Erdogans Partei veröffentlicht. Erdogan, der bei der Präsidentenwahl am 24. Juni erneut kandidiert, hielt sich zu Wahlkampfzwecken in London auf.
In Deutschland, dem Geburtsland der drei Fußballer, sind ihm solche Auftritte untersagt. Nationalmannschaftsmanager Oliver Bierhoff kritisierte die Aktion der Nationalspieler. „Die beiden waren sich der Symbolik und Bedeutung dieses Fotos nicht bewusst, aber natürlich heißen wir die Aktion nicht gut und besprechen das mit den Spielern“, sagte er. „Ich habe nach wie vor überhaupt keine Zweifel an Mesuts und Ilkays klarem Bekenntnis, für die deutsche Nationalmannschaft spielen zu wollen und sich mit unseren Werten zu identifizieren.“
Gündogan ist auf einer Gülen-Veranstaltung aufgetreten
Özil twitterte ein Foto, das ihn mit Gündogan und Tosun zeigt. Auf Englisch schrieb er: „In guter Gesellschaft heute Abend“. Es war mit einem zwinkernden Gesicht sowie der deutschen und türkischen Fahne versehen. Auf Gündogans Social-Media-Accounts fand sich kein Hinweis auf das Treffen. Am Abend veröffentlichte Gündogan eine Erklärung. Gemeinsam mit Tosun, Özil und weiteren Sportlern habe er in London die Veranstaltung einer türkischen Stiftung besucht, die türkische Studenten unterstütze. Dabei hätten sie Erdogan getroffen.
„Aus Rücksicht vor den derzeit schwierigen Beziehungen unserer beiden Länder haben wir darüber nicht über unsere sozialen Kanäle gepostet“, schrieb Gündogan. „Aber sollten wir uns gegenüber dem Präsidenten des Heimatlandes unserer Familien unhöflich verhalten? Bei aller berechtigten Kritik haben wir uns aus Respekt vor dem Amt des Präsidenten und unseren türkischen Wurzeln – auch als deutsche Staatsbürger – für die Geste der Höflichkeit entschieden.“ Es sei nicht ihre Absicht gewesen, ein politisches Statement abzugeben, geschweige denn Wahlkampf zu machen. „Als deutsche Nationalspieler bekennen wir uns zu den Werten des DFB und sind uns unserer Verantwortung bewusst. Fußball ist unser Leben und nicht die Politik.“ Allerdings ist sein Trikot mit einer handschriftlichen Widmung versehen. Auf Türkisch steht dort: „Für meinen verehrten Präsidenten – hochachtungsvoll“. Was auf den ersten Blick besonders liebesdienerisch wirkt, könnte aber auch einen anderen Hintergrund haben.
In seiner Zeit bei Borussia Dortmund ist Gündogan sowohl 2013 als auch 2014 bei der deutsch-türkischen Kulturolympiade in der Dortmunder Westfalenhalle als Stargast aufgetreten. Die Veranstaltung, bei der Kinder und Jugendliche in 18 Kategorien, darunter Rhetorik, Fotografie, Lesen, Kurzfilm, antreten, ist von Organisationen aus dem Dunstkreis der Gülen-Bewegung veranstaltet worden. Das geht aus einer Antwort der Bundesregierung auf eine Anfrage der Linksfraktion hervor.
Seit dem gescheiterten Putsch in der Türkei werden Anhänger des Predigers Fethullah Gülen von Erdogans Regierung gnadenlos verfolgt. Die Auswirkungen sind auch in Deutschland zu spüren. Ercan Karakoyun ist der Vorsitzende der in Berlin ansässigen Stiftung Bildung und Dialog. Sie ist der deutsche Zweig der Gülen-Bewegung. Vor einem Jahr hat Karakoyun dem Tagesspiegel gesagt: „Wir sind von 150 000 Aktiven auf 70 000 geschrumpft. Wir befinden uns in einer absoluten Ausnahmesituation, wir haben Angst.“ (mit dpa)