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Zurück in Manchester. Ole Gunnar Solskjaer ist bis Ende der Saison United-Trainer.
© Franck Fife/AFP

Kolumne: Meine Champions: Ole Gunnar Solskjaer: Der Killer mit dem Babygesicht

Der Norweger hat Manchester United wieder zum Leben erweckt. Dabei war die Entscheidung, ihn zum Trainer zu befördern, ein Wagnis.

Die T-Shirts verkaufen sich immer noch gut. Draußen in Old Trafford, diesem Konglomerat von Lagerhäusern und Schnellstraßen im Südwesten von Manchester, beherrscht von einem riesigen Fußballstadion, vor dem Souvenirhändler alle zwei Wochen ihre Buden aufbauen und verkaufen, was der Fußballfan so kauft. Schals, Mützen, Tröten und T-Shirts, bevorzugt das mit dem sanften Gesicht auf schwarzem Hintergrund, darunter der weiße Schriftzug: „Baby-faced Assassin“.

Der Killer mit dem Baby-Gesicht hat Manchester United im Mai 1999 zum Gewinn der Champions League geschossen, zum späten 2:1 im Endspiel gegen den FC Bayern München. Bald 20 Jahre nach der spektakulären Nacht von Barcelona schießt Ole Gunnar Solskjaer keine Tore mehr und ist doch so erfolgreich wie nie zuvor. Im Dezember hat er José Mourinho auf der Trainerbank abgelöst. Von den darauffolgenden elf Spielen hat United keines verloren und zehn gewonnen.

Dauer-Engagement bei Molde FK

Dabei war die Entscheidung für den Norweger ein Wagnis. Seine Erfahrung als Cheftrainer reduzierte sich auf ein gescheitertes Gastspiel bei Cardiff City und ein Dauer-Engagement bei seinem international drittklassigen Heimatklub Molde FK. Aber manchmal scheint Fußball auch im dritten Jahrtausend einfacher zu sein, als es die Analytiker mit ihren Taktiktafeln wahrhaben wollen. Bei Solskjaer reicht es offensichtlich, dass er in der Kabine den richtigen Ton trifft. Paul Pogba etwa pendelte unter Mourinho zwischen Ersatzbank und Tribüne. Unter Solskjaer hat er acht Tore geschossen und fünf Vorlagen gegeben. „Der Trainer will, dass wir wieder angreifen, und genau das tun wir“, sagt Pogba. „Wir sind wieder Manchester United“, also eine Mannschaft, die niemand unterschätzen sollte. Nicht in England und auch nicht darüber hinaus.

Am Dienstagabend kommt Paris St. Germain zum Hinspiel des Achtelfinales in der Champions League, mit dem deutschen Trainer Thomas Tuchel, aber ohne die verletzten Weltstars Neymar und Edinson Cavani. In Old Trafford träumt das Publikum von einem weiteren Feiertag und einer Renaissance jener Zeiten, für die Ole Gunnar Solskjaer steht.

Wahnsinn in Barcelona. Solskjaer (links unten) schießt ManU 1999 gegen die Bayern zum Champions-League-Triumph.
Wahnsinn in Barcelona. Solskjaer (links unten) schießt ManU 1999 gegen die Bayern zum Champions-League-Triumph.
© AFP

Beim größten Spiel seiner Karriere hat er zunächst auf der Bank gesessen und mitansehen müssen, wie der FC Bayern seine Kollegen über den Rasen des Camp Nou hetzte. Die Münchner sind die deutlich überlegene Mannschaft, sie gehen früh durch einen Freistoß von Mario Basler in Führung und scheinen alles unter Kontrolle zu haben. Manchesters Trainer Alex Ferguson versucht es erst mit der Einwechslung des 33 Jahre alte Teddy Sheringham. Solskjaer muss sich gedulden. Zehn Minuten sind noch zu spielen, da darf er endlich für Andy Cole auf den Platz. Zehn Minuten noch bis zur kuriosesten Nachspielzeit aller bisherigen und wohl auch künftigen Zeiten.

Legendäres Finaltor gegen die Bayern

Die Bayern haben durch Mehmet Scholl und Carsten Jancker noch Pfosten und Latte getroffen. Das Spiel muss längst entschieden sein, neben der Münchner Bank öffnen sie die Kartons mit den Hemden, auf denen steht: „Champions League-Sieger 1999 – FC Bayern München.“ Schiedsrichter Pierluigi Collina verhängt eine Nachspielzeit von drei Minuten, aber auch die sind schon fast abgelaufen.

Eine letzte Ecke noch. David Beckham macht sich an die Ausführung. Manchester Torhüter Peter Schmeichel stürmt nach vorn zu seinen zehn Kollegen, und auf einmal stimmt die Zuordnung nicht mehr. Schmeichel springt zum Ball, der dann durch den Strafraum flippert, auf den Fuß von Ryan Giggs, dessen Schuss Sheringham ins Tor verlängert. 1:1, allgemeines Münchner Entsetzen, aber Collina pfeift noch einmal an. Es ist Ole Gunnar Solskjaer, der gegen Samuel Kuffour die nächste Ecke erkämpft. Wieder flankt Beckham, diesmal auf Sheringhams Kopf, Solskjaer hält den Fuß dazwischen, und das Spiel ist gedreht. Ein letzter Münchner Angriffsversuch landet im Irgendwo.

Der Zufall will es, dass die beiden späten Torschützen zur Dopingprobe ausgelost werden und dort reichlich beschwipst auf Bayerns Anführer Stefan Effenberg treffen. Das Magazin „11 Freunde“ notiert: „Sheringham und Solskjaer verrichten die Notdurft mit jener Präzision wie zuvor ihren Joker-Job nach der Einwechslung – und sind weg.“

Sven Goldmann schreibt immer dienstags in den Spielwochen der Champions League über Kicker, Klubs und Klassiker in Europas Fußball.

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