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Zeit zu gehen? Der Norweger Ole Einar Björndalen wollte schon öfter zurücktreten, jetzt könnte es wirklich so weit sein.
© Sven Hoppe/dpa

Biathlon: Ole Einar Björndalen ist der schnaufende König

Ole Einar Björndalen ist der erfolgreichste Wintersportler der Geschichte. In dieser Saison läuft der 43 Jahre alte Biathlet aber nur noch hinterher – und droht Olympia zu verpassen.

Die Zuschauer in Ruhpolding sind eigentlich ein dankbares Publikum. Sie jubeln jeden Biathleten den Berg hinauf. Mehr oder minder erfolgreich, fremde oder eigene Farben – glühweinbeseelt ist das unwichtig. Und dennoch wirkte der Beifall für Ole Einar Björndalen in dieser Woche seltsam beklemmend. Es war mehr wie ein letztes Hallo, eine Ehrerbietung für vergangene Tage, nicht Applaus für das Aktuelle. So viele waren an diesem Nachmittag schneller gewesen.

Björndalen, der Biathlon-König aus Norwegen, hat seine beste Zeit hinter sich. Doch Abdanken wollte er so sicher nicht. Platz 42 im Einzel von Ruhpolding statt die olympische Bühne – sollte es das gewesen sein? Ein niederschmetternder Gedanke. Und doch kaum vermeidbar. Denn seine siebten Olympischen Spiele wird Björndalen wohl verpassen. An diesem Montag nominieren die Norweger ihr Team für Pyeongchang. Und Björndalen, der große Björndalen, hat die Norm diesmal deutlich verpasst.

In die Einzelwettkämpfe führt kein Weg mehr. Björndalen kann nur hoffen, dass sein Verband beide Augen fest zudrückt. „Wir setzen eine Mannschaft für die Einzel und die Staffel zusammen“, hatte der norwegische Biathlon-Chef Per Arne Botnan vielsagend bemerkt. Als Ersatzmann könnte Björndalen also noch mit. Eine Mitleidsnominierung quasi. Ein Gnadenbrot für den Großmeister. Ist das nicht unter seiner Würde? Ein König ist ja kein Bettler. „Ich wäre gerne bei Olympia dabei, aber ich will da auch etwas zu tun haben“, sagte Björndalen denn auch in Ruhpolding. Dort sah er nach der Enttäuschung im Einzel nur noch zu: Norwegens Staffel siegte am Freitag ohne ihn. Auch den Massenstart an diesem Sonntag wird er verpassen.

Pyeongchang und Björndalen: Es spricht eigentlich nichts für ihn, sieht man einmal vom Status als Legende ab. Und Sportchef Botnan hatte vorher schon klar gemacht, es werde keine Sonderbehandlung geben. Dabei hatte mancher schon an eine unendliche Geschichte geglaubt. 575 Weltcups lief Björndalen bislang. Mit 13 Medaillen bei Olympischen Spielen ist er der erfolgreichste Wintersportler der Geschichte. So ein Wort hat unter Athleten Gewicht, auch wenn es etwa um den Antidoping-Kampf geht. Eine Stimme wie die Björndalens würde gerade in Zeiten wie diesen, wo es nicht gut steht um den olympischen Sport, schmerzlich vermisst.

Johannes Bö gilt schon als Björndalens Nachfolger

Doch Björndalen bleibt inzwischen weit hinter den Erwartungen. Platz sechs hätte es für die Norm sein müssen. Sein bestes Resultat war ein 18. Rang in Östersund im Oktober. Die Weltrangliste führt ihn zurzeit auf Platz 41. Hat er den Absprung verpasst? Björndalen wollte seine Karriere schon mehrmals beenden. Zuletzt 2016 nach der Heim-Weltmeisterschaft in Oslo. Doch nach den WM-Medaillen 41 bis 44 entschied er sich abermals um. „Ich glaube, dass ich weiter an der Spitze sein kann“, sagte er damals. „Ich fühle mich wie ein 20-Jähriger.“ Heute haben ihm andere im Team längst den Rang abgelaufen. Die Mannschaft ist stark wie selten. Sechs Norweger haben vor ihm die Qualifikation geschafft. Die Bö-Brüder Johannes und Tarjej machen sogar Seriensieger Martin Fourcade aus Frankreich das Leben schwer. Der junge Johannes, erst 24, gilt im Team längst als Björndalens Nachfolger.

Björndalen wird in zwei Wochen 44. In die matt-braunen Locken haben sich lange schon graue Strähnen und ins Gesicht Furchen gegraben. Der Norweger gab stets an, trotz der vielen Tausend Trainingskilometer in 25 Jahren Weltcup-Erfahrung noch Freude zu empfinden. Doch in dieser Saison wirkt er zunehmend ratlos. Auch die Schulterklopfer der Konkurrenz helfen nicht mehr. „Er ist der Größte, den es je gab“, sagte der deutsche Bundestrainer Mark Kirchner. „Aber für jeden ist einmal die Zeit gekommen, wo die Jugend siegt.“ Am Schießstand sind seine Werte mit 85 Prozent Trefferquote (90 Prozent stehend) noch immer respektabel. Doch durch die Spur schnauft Björndalen inzwischen nur noch mit schlechten Zeiten – dabei war er früher einmal so leichtfüßig.

Folgt nun der Rückzug ins Private?

Folgt nun der Rückzug ins Private? Sonst war Björndalen eher bekannt dafür, sich allein in seinem Wohnwagen in die Wälder zum Tüfteln zurückzuziehen. Als Familienmensch hatte man sich so einen nur schwer vorstellen können. Bis 2016 Darja Domratschewa kam. Im Frühjahr machten sie die Beziehung offiziell, im Juli folgte die Hochzeit, im Oktober das Kind. Seitdem lachten beide auf diversen Bergtouren oft gemeinsam, den Kinderwagen oder die Sitzschale in der Mitte, in die Social-Media-Kamera.

Ein phänomenales Paar hat sich da gefunden. Domratschewa, ebenfalls schon mit vier Olympia-Medaillen dekoriert, lief drei Monate nach der Geburt wieder im Weltcup und nochmal vier Wochen später bei der WM sogar auf das Podest. Seitdem reisen beide mit der Tochter gemeinsam zu Trainings- und Wettkampforten. Domratschewa ist längst für Pyeongchang qualifiziert. Baut Björndalen also Bauklötze mit der kleinen Xenia, während die Mama durch die Loipe pflügt? Elternzeit statt Medaillenjagd. Vielleicht findet er ja Gefallen daran. Es wäre vielleicht ein versöhnlicher Abschluss für einen, der einfach nicht aufhören konnte. Einer, der dann doch noch zur rechten Zeit käme.

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