Frank Zander und Nina Hagen: Nur zusammen sing’ sie nicht - eine Erinnerung
Sie sind zwei Berliner Originale: Frank Zander und Nina Hagen. Der Neuköllner hat an einem Urlaubsabend Herthas Hymne erfunden, die Prenzlbergerin hat durch eine Fügung für den 1. FC Union gedichtet. In dieser Geschichte von 2011 suchten beide nach dem gemeinsamen Sound.
Frank Zander feiert heute seinen 75. Geburtstag. Er ist ein Original: schlagfertig, trinkfest, gesangesfreudig. Das hat auch der Tagesspiegel schon erfahren dürfen, als er einmal im Februar 2011 versuchte, Frank Zander und Nina Hagen zusammenzubringen - zur Komposition einer Gesamt-Berliner Fußballhymne. Hier noch einmal die Reportage von damals:
Vor ein paar Tagen hat Nina Hagen dem Tagesspiegel eine E-Mail geschickt. Warum, darüber wird später noch zu reden sein, jedenfalls geht es in der E-Mail um Fußball und Stadionhymnen und so, in dieser Hinsicht ist Berlin noch immer geteilt. Frank Zander, Neukölln, besingt den Fußball im Westen. Nina Hagen, Prenzlauer Berg, besingt den Fußball im Osten. Und das im Jahr 21 der Einheit, da die Zeit doch reif sein sollte für gemeinsames Liedgut.
Dazu nun mailt Nina Hagen: „Oh das ist ein super-spannendes Projekt! So ein song – all-mannschafts-übergreifend – an so einem song würde ick sehr gerne mitarbeiten ... so einen song gibt’s noch nicht, der sich auch mit den dunklen Seiten des Fußballs auseinandersetzt ... ich denke an Robert Enke und an Menschlichkeit, sanftere Töne ... und Frank Zander wär genau der richtige Meister für so eine Taskforce VEREINTE BERLINER FUSSBALLHYMNE ...“
Und wer wäre Frank Zander eine bessere Partnerin als Nina Hagen?
Hauptsache, gute Eckkneipe
Der Tagesspiegel als einheitsstiftendes Organ für Fußballgesang hat es sich zur Aufgabe gemacht, die beiden an einen Tisch zu bringen. Rechtzeitig zum Derby Hertha gegen Union. Zander ist von der Idee so angetan, dass er dafür sogar in den Osten kommen will, „Hauptsache, ihr findet eine gute Eckkneipe“.
Kein Problem, sagt Nina Hagens Manager, „sie wird da sein“, aber 51 Minuten vor dem Termin ruft er noch mal an. Blöde Sache, die Nina leide leider an Bronchitis. Das sei die Wahrheit, großes Manager-Ehrenwort, und ob wir bitte bei Frank Zander absagen könnten.
An Zanders Telefon meldet sich seine Frau Evy: „Wie jetzt, absagen? Also, so ein Ding hat Nina schon mal mit uns gedreht, aber jetzt ist Schluss, unser Sohn Marcus hat auch Bronchitis, der sitzt im Büro und arbeitet, warten Sie, ich geb’ Ihnen mal den Frank.“ Der Frank sagt, dass er sich gerade das riesige Jackett angezogen habe, Sonderanfertigung, „ich will doch neben der Nina nicht wie ’ne graue Maus aussehen“. Außerdem habe er Hunger und Durst, „wir kommen jetzt trotzdem, dann treffen wir uns eben ohne die Nina“.
Das Metzer Eck in Prenzlauer Berg ist am späten Nachmittag noch übersichtlich gefüllt. Am Nebentisch sitzt eine Runde älterer Herren, wahrscheinlich ein Kegelverein. Die Herren heben kurz die Köpfe, als die Eheleute Zander durch die Tür kommen. Frank bleibt gleich an der Theke, auf ein erstes Bier, „das musste immer vorne trinken, genau da, wo die Leute durch wollen, Musiker stehen immer im Weg“.
Zander hat gute Laune, der Laden gefällt ihm. „Ist nicht so groß wie die Ständige Vertretung am Bahnhof Friedrichstraße, ’ne richtige Eckkneipe, findeste nicht mehr so oft.“ Zander beschließt, der schrillen Kollegin eine letzte Chance zu geben. Das mit Nina sei ein bisschen blöd gelaufen, „sie ist eben etwas chaotisch, aber im Dezember hat sie bei meiner Weihnachtsfeier für Obdachlose gesungen“, das müsse honoriert werden.
Auch Zander sollte für Union singen
Immer an Weihnachten bewirtet Zander die Bedürftigen der Stadt mit Gänsebraten, von Hertha war übrigens noch nie jemand zur Unterstützung da, „ich weiß schon, die haben da Winterpause“, aber eine symbolische Geste wär schon schön. Zander winkt hinüber zum Kegelklub, er bestellt eine Runde Wodka und Brathering mit Bratkartoffeln.
Fußball war ja eigentlich nie so sein Ding. Keine Zeit, Musiker stehen am Wochenende auf der Bühne, und das mit seiner Hertha-Hymne ist eher zufällig passiert. Anfang der Neunziger am Strand von Ibiza, mit ein paar Freunden und einer Gitarre, alle zusammen haben sie „Sailing“ von Rod Stewart gesungen. Abendsonne, gekühlte Getränke, großartige Stimmung, „und das Letzte, was wir wollten, war, nach Hause zu gehen. Den Rest könnt ihr euch denken.“
Im nächsten Jahr wird Zander 70, aber das blonde Haar fällt ihm so locker über die Schultern wie in den Siebzigern, als er noch der Ururenkel von Frankenstein war. Vor ein paar Wochen, bei der Beerdigung von Herthas Alt-Präsident Wolfgang Holst, haben Streicher die Hymne intoniert, und er selbst fühlt sich im Stadion „wie in der Kirche: Bei meinem Lied raschelt keiner, manchmal singt sogar der Feind mit!“ Zander sollte dann auch was für die Frauen-WM schreiben, die Eisbären haben mal angefragt und sogar die ideologische Konkurrenz vom 1. FC Union, „da kam ein Fax von der Geschäftsstelle“. Frank Zander hat abgesagt, „Ost oder West, da kannste nur auf einer Hochzeit tanzen“.
Den Hymnenjob in Köpenick hat dann Nina Hagen bekommen. „Eisern Union!“, brüllen hier die Fans mit. „Wer lässt sich nicht vom Westen kaufen? Eisern Union!“ Ist das Ost-Trotz? So ernst will Nina Hagen dann doch nicht genommen werden. Wenn man sie fragt, was sie an Ost-Berlin vermisst, antwortet sie nur: „Die preiswerten Mieten.“
Frank Zander findet das Union-Lied ein „bisschen ostig“, na ja, „die haben ihr halt was geschrieben, und sie hat Geld dafür bekommen“. Pünktlich zur nächsten Wodkarunde ruft Ninas Manager an und sagt noch mal, wie leid ihm das alles tue, er habe schon mittags bei Zanders Sohn Marcus auf die Mailbox gesprochen, und wie wäre es mit einem neuen Termin kommende Woche? Evy Zander ist aber noch nicht versöhnt und hat außerdem den Terminkalender zu Hause vergessen.
Frauen? Da redet er lieber über Hertha
Frank Zander rollt mit den Augen, „Frauen!“, da redet er doch lieber über Hertha. Als es Mitte der Neunziger losging mit der neuen Erfolgsgeschichte, ist er noch öfter im Olympiastadion gewesen, die Karten kamen erst per Kurier, später mit der Post, „heute muss ich sie mir an der Kasse abholen“. Vor ein paar Monaten wollte er nach einem Spiel zur Mannschaft, aber der Ordner hat gesagt: „Sie haben nicht das richtige Vip-Bändchen.“ Zander kam sich ein bisschen blöd vor und hat nie wieder gefragt.
Gibt’s gar keinen persönlichen Kontakt zu dem Verein, dem er jede Woche seine Stimme leiht? Doch, doch, sagt Zander, und dass Trainer Markus Babbel ihn mal angesprochen habe, und dann sei da noch der Stand-by-Profi Andreas Neuendorf, genannt Zecke, „Supertyp!“. Von Neuendorf kommt die Idee, im Olympiastadion eine Sitzreihe für verdiente Herthaner einzurichten, „für Leute wie Ete Beer, Hanne Weiner oder mich“, und wenn ein anderer dort sitzen will, „muss er für meine Obdachlosen spenden“.
Die Zweite Liga hat Zander ein bisschen versöhnt mit Hertha. „Ist ja wieder mehr Berlin und Fußball geworden, vorher hab ich mich im Stadion öfter gefragt, ob das jetzt nur noch Sponsorengedöns ist.“ Sein Handy klingelt. Marcus Zander meldet sich und erzählt, er habe gerade seine Mailbox abgehört und darauf eine Absage von Nina Hagens Manager gefunden. Jetzt ist auch Evy Zander bereit, über einen neuen Termin zu reden: „Nächste Woche bei der Currywurstbude am Kudamm, da stellen wir Franks neue CD vor.“
Ein letztes Bier noch, natürlich vorn an der Theke. Zander greift sich ein Exemplar der „Super-Illu“, er hält es nach oben und zeigt einen Artikel, in dem er für sein soziales Engagement geehrt wird. Angewidert schauen die Herren vom Nebentisch herüber, sie kommen übrigens gar nicht vom Kegelklub, sondern von der früheren DDR-Nachrichtenagentur ADN, „sozusagen Kollegen von Ihnen“, sagt die Wirtin.
Als Nina Hagen im Westen ankam, dachte sie: "überquill, overkill"
Ob die Runde wohl der einst republikflüchtigen Nina Hagen zugeprostet hätte? Höchstens, wenn sie den Herren erzählt hätte, was sie später in ihrer E-Mail an den Tagesspiegel schreibt – über ihre ersten Eindrücke vom Westen: „Alles war vollgestopft mit Waren. Konsumgütern, Klamottenareale, Schuhpaläste, überquill overkill ... und alles war bunt verpackt ... und weil ich so ein fetziger Ost-Hippie und Lebenslover war, haben mich die Westmenschen angemeckert, unter dem Motto: iii, wo kommt die denn her, so was brauchen wir hier nicht, geh bloß wieder zurück von wo du herkommst ...“
Frank Zander prostet hinüber zum enttarnten Kegelklub und erzählt nun von Dieter Hoeneß und Christian Ulmen. Der frühere Hertha-Manager Hoeneß und der Schauspieler Ulmen hatten vor ein paar Jahren mal laut nachgedacht über eine neue Hertha-Hymne und dafür die multikulturelle Berliner Band Seeed ins Gespräch gebracht. Das passte zur blasierten Hertha der späten Dieter-Hoeneß-Jahre, als dem Verein das Frank-Zander-Berlin zu piefig war und Giuseppe Verdis „Gefangenenchor“ zur neuen Hymne machen wollte oder wenigstens irgendwas von Seeed. Zander war erst beleidigt, hat sich dann aber mit dem Seeed-Frontmann Pierre Baigorry alias Peter Fox zusammengesetzt. Und was die grenzübergreifende Hymne betrifft: Eigentlich habe Peter Fox die ja geschrieben, „Guten Morgen Berlin, du kannst so hässlich sein, so dreckig und grau – toller Text, supercooler Rap, Berlin ist ja auch irgendwie wie eine zickige Frau, aber du kriegst im Stadion keinen dazu, so was mitzusingen. Und eine Hymne kannste nicht einfach komponieren, die suchen sich die Leute selbst.“
Zeit zum Aufbruch, sagt Zander, obwohl... „Was haltet ihr noch von einem Bier in der Ständigen Vertretung?“ Schon klar, nur nach Hause geh’n wir nicht.
Nina Hagen über Frank Zander: "ein absolutes Genie"
Wann Nina Hagen wohl so nach Hause geht? Nachmittags um fünf, zum nächsten Termin bei Zanders Lieblings-Griechen am Kudamm, muss sie leider wieder passen, weil dummerweise eine Konzertprobe dazwischenkommt. Diesmal ruft ihr Manager immerhin zwei Stunden vorher an, „manchmal fällt mir das auch alles nicht leicht, schicken Sie ihr mal ein paar Fragen, so was macht sie dann meistens doch“. Womit wir bei der eingangs erwähnten E-Mail wären. Was folgt, ist elektronischer Originalton.
Nina Hagen über ihre Union-Hymne: „Göttliche Fügung ... das war ne Kombi aus diesseits und jenseits, das war ne Absegnung und Fügung von GANZ OBEN!! Mein Papi Hans Hagen hat Zeit seines Lebens die EISERN UNIONER unterstützt und war FAN der ersten Stunde ... also ehrlich, das war absolute FÜGUNG, dass ICH diese Hymne rocken durfte!“
Nina Hagen auf die Frage, ob Fußball noch das Spiel der einfachen Leute ist: „Woher soll ich denn das wissen? Ich hoffe doch, wir sind alle einfache Leute ... was sind denn un-einfache Leute bittescheen?“
Nina Hagen über Frank Zander: „Frank Zander ist für mich ein absolutes GENIE! Er ist ein knallharter ROCKER, seine songs sind der geilste SCHLAGERPUNK, den es je gegeben hat! Ick LIEBE Frank Zander!“
Dass Frank Zander im Umkehrschluss auch Nina Hagen liebt, erscheint nach den Absagen der vergangenen Tage eher unwahrscheinlich. Wird sie wenigstens zum nächsten Gänsebratenessen mit den Obdachlosen eingeladen? Evy Zander sagt: „Wir denken jetzt erst mal über eine Ausladung nach.“