BR Volleys vor dem ersten Heimspiel: „Nur gewinnen reicht mir nicht“
Der neue Volleys-Trainer Cedric Enard über seine Philosophie, die hohen Erwartungen in Berlin und französischen Bluesrock.
Herr Enard, was ist Ihr Lieblingslied?
Ich mag besonders die Songs von dem französischen Musiker Jean-Jacques Milteau. Er spielt Mundharmonika. Ein spezielles Lied kann ich gar nicht hervorheben, ich mag einfach Bluesrock und Rock’n’Roll aus Frankreich. Warum fragen Sie?
Vor jedem Heimspiel wird bei den BR Volleys für alle Spieler und auch für den Trainer beim Einlaufen in die Halle ein besonderer Song gespielt.
Die Spieler wurden gefragt, ob sie sich einen Song dafür wünschen. Aber ich habe mir nichts gewünscht. Mal sehen, welches französische Lied am Donnerstag für mich gespielt wird.
Was erwarten Sie ansonsten von Ihrem ersten Heimspiel am Donnerstag um 19 Uhr in der Max-Schmeling-Halle gegen Düren?
Zu gewinnen, natürlich. Ich freue mich riesig auf dieses Spiel. Ich habe schon so viel von der Stimmung in der Schmeling-Halle gehört. Das möchte ich unbedingt erleben. Es wird zwar ein schwieriges Spiel, aber es wird ein sehr besonderes. Das erste Mal ist ja immer etwas Besonderes, wenn man etwas Großes beginnen will.
Und was können die Fans der Volleys dann von Ihnen und Ihrem Team erwarten?
Ich möchte, dass mein Team mit viel Energie, Kampfgeist und einer starken Mentalität spielt. Wenn das klappt, nehmen die Fans diese Energie auf und geben sie wieder zurück auf das Feld. Wenn die Zuschauer sehen, dass die Spieler immer 100 Prozent geben und nichts vorgaukeln, dann ist es der Volleyball und die Einstellung, die ich erwarte. Mindestens. Das Team kann ohne diese Synergie mit den Fans nicht erfolgreich sein.
Sind die Fans wirklich so wichtig?
Oft realisieren die Fans gar nicht, wie sehr sie den Spielern auf dem Feld helfen können. Nehmen wir unser erstes Bundesliga-Auswärtsspiel gegen Giesen in Hildesheim. Da waren auch etwa 70 Berliner Fans dabei – und sie waren richtig laut. Für mich war es das erste Mal, dass zu einem Auswärtsspiel im Volleyball so viele Anhänger gereist sind. Das kenne ich aus Frankreich gar nicht. Und das hat uns wirklich einen Schub gegeben.
Diesen Schub schien die Mannschaft zu Beginn auch gebrauchen zu können.
Der erste Satz gegen Giesen war nicht so gut, wir haben etwas nervös angefangen. Aber das ist zu Beginn einer Saison normal. Dann haben wir unsere Fehler im Aufschlag abgestellt und im zweiten und dritten Satz sehr souverän gespielt. Natürlich habe ich bei der Analyse noch viel gesehen, das wir verbessern müssen. Und das werden wir auch schaffen.
Sie sind der erste französische Trainer der Volleys. Gibt es eine typisch französische Volleyball-Idee, für die Sie stehen?
Ich entwickle immer noch meine eigene Philosophie, daran baue ich ständig. Sie setzt sich daraus zusammen, wie ich Volleyball denke, und welche Einflüsse ich von anderen Trainern aufnehme. Das ist keine speziell französische Idee, eher eine internationale. Ich habe schon mit so vielen Trainern zusammengearbeitet, die mich beeinflussen. Etwa mit Roberto Serniotti, er ist in Berlin ja bestens bekannt.
Der Italiener hat mit den Volleys 2016 das Triple geholt und 2017 den Meistertitel.
Ich habe vor sieben oder acht Jahren einen Sommer beim französischen B-Nationalteam mit ihm gearbeitet. Von ihm habe ich viel gelernt. Er ist ein sehr spezieller Trainer. Denn damals arbeitete er noch ohne eine Spielanalyse-Software, aber er hatte unzählig viele Papierblätter mit Tabellen, die er nutzte, um seine Gegner zu entschlüsseln. Das war unglaublich. Er hat sich die Videos der Gegner angeschaut und dann Unmengen von Kreuzen und Kreisen in seine Tabellen eingetragen. So ist er mit Tours Champions-League-Sieger geworden: mit Stift und Papier. Als ich ihn fragte, was das alles bedeute, sagte er: „Cedric, das ist doch klar. So und so spielen sie.“ Roberto brachte mir bei, das Spiel auf seine Weise zu analysieren. Und er hat mir gratuliert, als er hörte, dass ich nach Berlin gehe.
Der Austausch mit anderen Trainern ist Ihnen also sehr wichtig.
Absolut. Daraus ziehe ich extrem viel. Aber ich kopiere nicht. Ich nehme alle Einflüsse auf und setze sie zu meiner Volleyball-Idee zusammen, meiner internationalen Volleyball-Idee.
Welcher Trainer hat Sie noch beeinflusst?
Glenn Hoag, der frühere Nationaltrainer Kanadas. Er schaut auch darauf, welche Persönlichkeit ein Spieler hat und wie er ihn nicht nur als Volleyballspieler verbessern kann, sondern auch als Teamkollege und Mensch. Denn nicht nur Volleyball zählt. Alles zählt. Ich liebe diesen Ansatz. Auch ich möchte als Trainer nah dran an meinen Spielern sein. Denn um einen Spieler zu verbessern, darf man nicht nur auf den Volleyball-Aspekt schauen, man muss seinen Charakter kennen und darauf eingehen. Diesen psychologischen Ansatz beherrscht Hoag perfekt. Aber es gibt noch einen Trainer, der mich sehr beeindruckt.
Wer ist das?
Der Italiener Silvano Prandi, er ist schon 70 Jahre alt und hat alles gewonnen. In Italien nennen sie ihn „den Professor“. Er ist unglaublich – und immer bereit, über Volleyball zu reden. Er kann dann ohne Pause drei oder vier Stunden nur über Volleyball philosophieren – und man selbst kann einfach nur erstaunt zuhören.
Die Erwartungen in Berlin sind hoch. Wie gehen Sie damit um?
Dieser Druck ist Teil meines Jobs. Aber man darf ihn nicht zu sehr an sich heranlassen. Wichtig ist es, darüber nachzudenken, wie man gewinnt, anstatt nur an die Siege zu denken. Der Prozess ist entscheidend. Die Erwartungshaltung darf uns nicht erdrücken, wir müssen sie als Antrieb nehmen, als unser Benzin. Das habe ich meinen Spielern hier in Berlin natürlich auch gesagt.
Was genau?
Dass wir keinen Gegner unterschätzen dürfen. Denn für sie werden die Spiele gegen uns immer ihre Gala-Spiele sein. Da haben sie nichts zu verlieren. Dafür müssen wir bereit sind. Alle im Team sind hier in Berlin, weil sie große Ziele haben. Aber wir müssen einen Preis dafür bezahlen, und jeden Tag voll fokussiert sein. Natürlich ist der Druck da, aber wir müssen ihn für uns nutzen, nicht gegen uns.
Welche Erwartungen haben Sie an die Spieler?
Ich will einen echten Teamgeist entwickeln. Wenn ich mit Kaweh Niroomand über potenzielle Neuzugänge sprach, redeten wir über seine Volleyball-Qualitäten, aber vor allem auch über seine Mentalität.
Es gab bei den Volleys einen großen Umbruch, der Ihre Arbeit sicher nicht erleichtern wird.
Es ist immer eine große Herausforderung für einen Klub, wenn es viele Veränderungen gibt. Das ist aber auch eine Chance für einen Neustart. Selbstverständlich muss jeder Neuzugang erst seinen Platz finden. Das funktioniert nicht mit einem Fingerschnipp. Was ich aber während der vergangenen zwei Wochen schon sah, stimmt mich positiv. Die Spieler sind absolut motiviert – und sie wollen zusammen sein. Neulich beim Team-Abendessen im Hotel sind danach alle Spieler am Tisch sitzen geblieben und haben sich weiter unterhalten, obwohl wir schon fertig waren. Da gab es niemanden, der schnell gegessen hat und wieder auf sein Zimmer wollte.
Die Saisonvorbereitung der Volleys war sehr schwierig. Bis vor dreieinhalb Wochen waren Sie noch als Co-Trainer der französischen Nationalmannschaft bei der Weltmeisterschaft.
Das war sehr seltsam für mich. Körperlich war ich mit dem Nationalteam bei der WM und mit meinem Kopf war ich manchmal in Berlin. Es kam schon vor, dass ich etwas verloren mit meinen Gedanken war. Das war spannend, aber auch hart. Ich war immer in Kontakt mit Co-Trainer Tomasz Wasilkowski. Uns war wichtig, die Motivation der Spieler hochzuhalten, gerade als am Anfang nur wenige da waren.
Mit dem französischen Team lief es nicht gut. Sie verloren unter anderem gegen den späteren Weltmeister Polen mit Trainer Vital Heynen und verpassten die Finalrunde.
Nach der Niederlage gegen Polen schrieb mir Manager Kaweh Niroomand: „Mit Frankreich kannst du gegen Heynen ruhig verlieren, aber nicht mit den Volleys gegen Friedrichshafen und Heynen.“ Die WM habe ich aber vollkommen abgehakt. Das ist alles Geschichte. All meine Gedanken sind nun bei den Volleys.
Ihre Frau und Ihre drei Töchter sind schon ein paar Wochen länger in Berlin als Sie. Haben sie sich gut eingelebt?
Oh ja. Sie haben sich schon sehr viel angesehen und waren viel unterwegs in der Stadt. Manchmal haben meine Töchter noch etwas Heimweh und vermissen ihre Freunde und Großeltern. Aber auch dafür brauchen wir einfach Zeit.
Haben Ihre Töchter Ihnen schon etwas von Berlin gezeigt?
Nein. Es war bisher so viel für die Volleys zu tun. Bisher kenne ich nur ihre Schule. Wir holen das später nach. Denn das ist mir auch wichtig. Ich versuche, auch nicht immer an Volleyball zu denken. Obwohl es derzeit schwierig ist, weil ich erst so spät nach Berlin gekommen bin. Ich brauche aber natürlich auch den Abstand und da ist meine Familie sehr wichtig. Sonst ist man verloren. Wenn man mal Abstand hatte, ist man im Volleyball aufmerksamer. Man sieht dann einfach mehr. Ich werde die Zeit hier mit meiner Familie auch genießen, aber später in der Saison.
Sie haben für zwei Jahre in Berlin unterschrieben. Was würden Sie danach gerne über Ihre Zeit bei den Volleys lesen?
Er gewann Titel, natürlich. Aber nicht nur. Ich möchte auch über mich lesen: Er war ein Trainer mit einem Team, das nie aufgegeben hat und der viel Wert auf die richtige Mentalität seiner Spieler gelegt hat. Nur gewinnen reicht mir nicht. Ich will etwas aufbauen, mit dem Team.