Handball-WM: Nur das Dschungelcamp macht Patrick Wiencek müde
Abwehrspezialist Patrick Wiencek soll seine Kollegen auch im WM-Halbfinale gegen Norwegen mitreißen.
Im Sport- und Olympiamuseum Köln gibt es ein paar wirklich hübsche Exponate. Das Formel-1-Rennauto, mit dem Michael Schumacher seinen ersten Weltmeistertitel holte, zum Beispiel. Oder die Basketball-Schuhe Shaquille O’Neals, Größe 59. Eine Gruppe besonders findiger Besucher hat dieser Tage bei einem Rundgang sogar das Modell eines aktuellen Handball-Nationalspielers ausfindig gemacht: Ist das da rechts nicht dieser Patrick Wiencek? Tatsächlich handelte es sich um Tip und Tap, die Maskottchen der Fußball-WM 1974. Und was sollte man sagen: eine gewisse Ähnlichkeit zwischen Tap, diesem hünenhaften, blonden Jungen mit leichtem Bauchansatz und Patrick Wiencek – sie ist nicht zu leugnen.
Wiencek genießt Kultstatus, inner- und außerhalb der Handball-Nationalmannschaft. Die Zuschauer in den Arenen in Berlin und Köln haben den 2,01 Meter großen Abwehrspezialisten in ihr Herz geschlossen. Wenn er nach geblockten Würfen, Ballgewinnen oder Ringkämpfen mit gegnerischen Kreisläufern wie ein Wilder mit den Armen ruderte, ließ das Echo von den Tribünen nicht lange auf sich warten. Den mit Abstand coolsten Spitznamen im Team trägt der 29-Jährige aus Duisburg ohnehin: Torhüter Silvio Heinevetter hat ihn einst „Bam-Bam“ getauft - weil er eben nicht nur dem Fußball-Maskottchen Tap ähnelt, sondern auch dem Sohn der Geröllheimers aus der Zeichentrickserie „Familie Feuerstein“.
"Emotionaler Anführer"
Abgesehen von popkulturellen Aspekten steht Wienceks sportlicher Wert außer Frage. „Patrick ist einer unserer emotionalen Anführer“, sagt Bundestrainer Christian Prokop. Das belegt auch ein Blick aufs Zahlenwerk: Vor dem Halbfinale am Freitag gegen Norwegen, den WM-Finalisten 2017, taucht Wienceks Name in jeder relevanten Defensivstatistik auf. 14 Würfe hat der in den ersten acht Partien geblockt – Turnier-Bestwert. Obendrein gehen 13 Balleroberungen auf sein Konto; nur der Norweger Magnus Gullerud kommt auf mehr (16). Von den vielen kleinen Aktionen, den Schubsern und Remplern, den Zweikämpfen und griechisch-römischen Einlagen, die in keiner Statistik auftauchen, ganz zu schweigen.
Wiencek ist einer dieser Typen, die man als Gegenspieler besser meidet und als Teamkollege liebt. „Es macht einfach Spaß, die Gegner alle kaputtzumachen mit Bam-Bam und Hendrik Pekeler“, sagt Kreisläufer Jannik Kohlbacher. Trotzdem ist Wiencek kein unfairer Spieler, in der Statistik für Zwei-Minuten-Strafen taucht er nicht unter den ersten 20 Spielern dieser WM auf. Wer ihn nach Abpfiff im Spielergang oder im Gespräch erlebt, kann sich die Verwandlung kaum vorstellen, die Wiencek auf dem Feld vollzieht. Manchmal wirkt er fast schon drollig. Zum Einschlafen, so hat es Wiencek dieser Tage mit strahlenden Augen erzählt, schaltet er hin und wieder das Dschungelcamp ein – eine Anekdote, die auch von Lukas Podolski stammen könnte.
Dass Wiencek zu den besten Spielern im deutschen Team gehört, liegt auch an seinen vertrauten Nebenspielern. Mit Pekeler steht er im Durchschnitt alle drei, vier Tage auf dem Feld. Beide sind beim THW Kiel angestellt, genau wie Torhüter Andreas Wolff. „Das macht es uns viel leichter, weil wir uns in- und auswendig kennen“, sagt Wiencek. Bislang spielt bei WM-Gastgeber Deutschland die beste Abwehr des Turniers. Am Freitag gegen Norwegen wartet die nächste Bewährungsprobe. Patrick Wiencek wird dabei wieder kräftig mitmischen.