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Nicht zu stoppen. Auch im fünften Spiel des NBA-Finals gegen Miami war Dirk Nowitzki mit 29 Zählern wieder bester Werfer seiner Dallas Mavericks.
© AFP

Basketball: Nowitzki und die Erfüllung seines Traums

"Oh, oh, ein Regenbogen fällt hinein", schwärmt der US-Kommentator. Dirk Nowitzki hat wieder einen Wurf vollendet. Im NBA-Finale steht er vor dem Ziel seines Lebens – oder vor einer Tragödie.

Die letzten Stunden vor dem wichtigsten Spiel seines Lebens bringen für Dirk Nowitzki wenig Neues. Er steht verschnupft in einem gelben Hemd vor deutschen Reportern, die in großer Zahl nach Dallas gereist sind, und hört sich die beliebte Sportreporterfrage nach seinen Gefühlen an. „Ich fühle mich genauso wie gestern“, sagt der 32 Jahre alte deutsche Basketballstar und schnieft, „gefeiert wird erst, wenn wir den vierten Sieg haben – sonst war alles umsonst.“

Alles.

Der Tag, an dem die Sportkarriere des Dirk Nowitzki beginnt, ist ein heißer Sommertag im Juni 1990. In Bayern baden die Menschen in Seen oder sitzen in Biergärten, doch der zwölf Jahre alte Junge aus Würzburg hat sich überreden lassen, diesen Tag nicht in der Sonne, sondern in einer kleinen, stickigen Turnhalle in Augsburg zu verbringen. Eigentlich spielt Dirk Nowitzki damals Tennis und Handball, doch der Trainer der DJK Würzburg hat ihn davon überzeugen können, seinem Team bei der bayerischen Basketballmeisterschaft zu helfen. Dirk Nowitzki sollte diese Entscheidung nie bereuen.

Der blonde Schlacks im Würzburger Team fällt nicht sofort auf. Ihm fehlen noch viele technische Fertigkeiten, doch unter den Körben, dort wo es eng wird und sich nur die Großen durchsetzen, trifft er eifrig. Er ist einer der längsten Spieler in der Halle, doch dass er einmal 2,13 Meter messen und Schuhe der Größe 52 tragen würde, ist an diesem Tag noch nicht zu ahnen.

Dass der junge Nowitzki auch gegen Mädchen in seinem Alter spielen muss, kommt ihm nicht ungewöhnlich vor. „Basketball ist Mädchensport“, denkt er, weil seine ältere Schwester Silke in der Jugendnationalmannschaft spielt und seine Mutter Helga 50 Mal das Trikot der deutschen Basketball-Nationalmannschaft getragen hat. Männer, so findet er, spielen Tennis wie Boris Becker oder Handball wie sein Vater, der Malermeister Jörg Nowitzki. Es ist deshalb für das, was später folgen sollte, durchaus von Bedeutung, dass die D-Jugend der DJK Würzburg an diesem Sommerwochenende mit dem Titel eines bayerischen Meisters aus Augsburg zurückkehrt. Nowitzki hat erlebt, dass auch für ihn in diesem Mädchensport Erfolgserlebnisse möglich sind – obwohl andere weiter sind. „Es gab im Basketball so viele Leute, die besser waren als ich, aber ich habe gearbeitet und gearbeitet, um sie einzuholen“, sagt Nowitzki.

Längst ist er selber nicht mehr einzuholen. Dirk Nowitzki kann sich in Miami in der Nacht zu Montag zum besten Basketballer der Welt krönen. Mit dem Meisterschaftstitel der NBA wäre seine jetzt schon großartige Sportkarriere vollendet. Er bekäme den riesigen Ring, den die nordamerikanische Profiliga NBA nur jenen Spielern gibt, die sich in den Finalspielen gegen die Besten durchsetzen. Der Deutsche Detlef Schrempf hat ihn 1996 nicht gekriegt, obwohl er nah dran war, und Nowitzki verfehlte ihn selbst einmal 2006. Auch damals standen ihm im Finale Spieler von Miami Heat gegenüber. Dass er nach zwei Auftaktsiegen verlor, nagte lange an ihm. Täte er es jetzt wieder, wäre es seine Tragödie. Als einer der besten Basketballer gilt er in Amerika seit langem. Doch erst als „World Champion“, wie die Amerikaner den NBA-Meister ganz unbescheiden nennen, wäre er in den Kreis von Weltstars wie Michael Jordan, Magic Johnson, Larry Bird aufgenommen.

Dabei scheint das Kräfteverhältnis auf dem Feld gegen ihn zu sprechen. Nowitzkis Team Dallas Mavericks ist in den vergangenen Jahren um ihn herum aufgebaut worden. Als Hauptverantwortlicher in der Offensive hat er es nun gleich mit drei Superstars auf der Gegenseite zu tun. Chris Bosh, Dwyane Wade und LeBron James hatten sich vor dieser Saison auf einer Bühne mit Konfetti und Pyrotechnik vor tausenden Fans für ihre Entscheidung feiern lassen, als eine Art magisches Dreieck für Miami Heat aufzulaufen. Es war wie ein Versprechen auf den Titel. Und nun kommt dieser Junge aus Würzburg, Germany, und versaut den Plan.

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Mit 29 Punkten war Nowitzki im fünften Spiel so erfolgreich wie kein anderer auf dem Feld. LeBron James, der sich „King James“ oder „der Auserwählte“ nennt, geschlagen von einem Deutschen, dessen Namen die Amerikaner nur schwer aussprechen können – Dörk. Vor dem Spiel ziehen LeBron James und Dwyane Wade ihre T-Shirts über die Nase, husten hinein – und lachen. Sie ahmen den erkälteten Nowitzki nach, der mit 39 Grad Fieber gespielt und bei Interviews in sein T-Shirt gehustet hatte. Die respektlose Geste verrät, dass sie ihn immer noch nicht ernst nehmen.

Trotzdem ist der Mann aus Deutschland in einer Sportart, die von impulsiven Selbstdarstellern geprägt wird, weiter gekommen als jeder andere. Durch Fleiß – und Dank eines kauzigen, hageren Herrn, der in einem alten Schloss bei Bamberg lebt: Holger Geschwindner. Ohne den 65-jährigen ehemaligen Basketball-Nationalspieler wäre Dirk Nowitzki nur ein sehr guter Spieler geworden. Doch seit Holger Geschwindner ihn als 16-Jährigen bei einem Spiel in Schweinfurt sah und sein Privattrainer wurde, streben beide nach dem Höchsten. Von Anfang an wollte ihn der eigenwillige Physiker in die beste Basketball-Liga der Welt bringen, in die NBA, nach „Ami-Land“ wie er gerne sagt. „Ich habe ihm gesagt, wenn du der beste deutsche Basketballer werden willst, können wir jetzt aufhören“, sagt Geschwindner, „wenn du aber mit den Besten der Welt spielen willst, müssen wir täglich trainieren.“

Als der damalige Bundestrainer über den jugendlichen Dirk Nowitzki erklärt, dieser könne eines Tages so gut werden wie der 169-fache deutsche Nationalspieler Henning Harnisch, empfindet Geschwindner das als Beleidigung. Und holt seinen Spieler mit dem Auto aus dem Trainingslager des Nationalteams ab.

Holger Geschwindner, den seine Freunde „Hodge“ nennen, ist kein einfacher Mensch. Ein Individualist, der im Karohemd oder Schlabberpullover einsam auf der Tribüne sitzt und wenig auf die Meinung anderer gibt. „Institut für angewandten Unfug“ und ein Foto von Albert Einstein hat er auf seine Visitenkarte gedruckt, weil viele Menschen nicht verstehen können, was er da mit Dirk Nowitzki treibt. Bis heute.

Auch beim fünften Spiel gegen Miami sitzt Geschwindner auf der Tribüne in Dallas, das US-Fernsehen blendet den Mann mit dem Karohemd kurz ein, der Kommentator nennt ihn Dirks „Wurf- Doktor“. Und tatsächlich kuriert er vor oder nach dem offiziellen Mavericks-Training die Würfe seines Schützlings, verbessert Kurven und Winkel, die er physikalisch berechnet hat. Eine seiner Theorien besagt, dass der Ball mindestens mit dem Einfallswinkel von 32 Grad in den Korb fallen muss. Im vierten Viertel kann er zufrieden sein. Dirk Nowitzki wirft einen Dreier in einem hohen Bogen über Chris Bosh hinweg. „Oh, oh, ein Regenbogen fällt hinein“, schwärmt der US-Kommentator.

Die Grundlage dafür wird in Deutschland gelegt. Wenn die NBA-Saison endet und Nowitzki in seine Heimat reist, geht hier die Schinderei weiter, von der die Amerikaner sich jetzt erstmals ein Bild machen: Nowitzki hüpft wie ein Frosch durch die Halle, er läuft im Handstand von Freiwurflinie zu Mittellinie, wirft aus der Hocke. „Das ist alles sehr Old School“, sagt Dirk Nowitzki, „aber für mich funktioniert es.“ Nichts davon steht in den Basketball-Lehrbüchern, alles hat Holger Geschwindner erfunden und zu einem mehrstufigen Plan zusammengefügt. Er wollte ihm einen „Werkzeugkasten“ mitgeben, sagt Geschwindner. Und tatsächlich hat Nowitzki in den 13 Jahren in der NBA nie aufgehört, neue Werkzeuge hineinzulegen. Und das, obwohl er längst regelmäßig zum All-Star-Spiel eingeladen und 2007 gar zum besten Spieler der Saison gewählt wird. Doch Nowitzki strebt nicht nach individuellen Ehren. „Wenn ich mal aufhöre, möchte ich, dass die Leute sagen: Es gab nichts auf dem Basketballfeld, was er nicht konnte“, sagt Dirk Nowitzki.

In diesen Tagen bewundern die Amerikaner vor allem eines seiner Werkzeuge: Den One-leg-fade-away-jumpshot, den einbeinigen Sprungwurf im Zurückfallen. Am Donnerstag hat er ihn wieder gezeigt. Im letzten Viertel springt Dirk Nowitzki von einem Bein nach hinten ab, verschafft sich auf diese Weise mehr Raum und wirft den Ball im hohen Bogen über den Verteidiger hinweg. Es ist fast unmöglich, diesen Wurf zu verteidigen, gegen einen Spieler, der so groß ist. Und es gibt Spieler wie Kevin Durant, der Superstar der Zukunft, die diesen Wurf nachzuahmen versuchen.

Die Verbindung mit Holger Geschwindner geht lange schon über die Trainingshalle hinaus. Er ist auch Manager, Mentor und Freund. „Fast wie mein zweiter Vater“, sagt Dirk Nowitzki. Geschwindner, der keine Kinder hat, nennt ihn nach wir vor: „der Bub“. Sie fahren zusammen mit dem Wohnwagen durch Australien oder reisen nach Malaysia. Geschwindner ist es auch, der ihn einst gemeinsam mit seinem Umfeld zum Abitur geprügelt hat und versucht, ihn für Musik und Literatur zu begeistern. „Basketball ist Jazz“ findet Geschwindner – und empfiehlt Nowitzki, ein Instrument zu spielen. Er macht es, brav, aber zum Musiker macht ihn das nicht.

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Als es vor zwei Jahren danach aussah, als würde sich Dirk Nowitzki von seinem Vatertrainer emanzipieren, endete das nicht gut für ihn. Er wollte eine Frau namens Crystal Taylor heiraten, mit der er seit einem halben Jahr zusammenlebte und der er am Silvestertag einen Heiratsantrag gemacht hatte. Geschwindner blickte mit Skepsis auf diese Verbindung, vor allem als die geplante Hochzeit näher rückte und die Verlobte nicht die nötigen Papiere beibringen konnte. Er verpflichtete Detektive, die allmählich die Wahrheit über sie herausfanden: Crystal Taylor wurde in zwei US-Staaten wegen Betrugs und Urkundenfälschung gesucht und war unter acht verschiedenen Namen bekannt. Nach ihrer Verhaftung behauptete sie noch, ein Kind von Nowitzki zu bekommen, will es aber im Gefängnis verloren haben. Ausgerechnet dem zurückhaltenden, phlegmatischen Nowitzki passierte das, der sich mit Details aus seinem Privatleben stets zurückhielt und einer der wenigen NBA-Spieler ohne Tattoo ist.

Die enge Bindung von Mentor und Spieler hatte beide schon 2005 in eine Krise gestürzt. Geschwindner musste einige Wochen in Untersuchungshaft verbringen, später wurde er wegen Steuerhinterziehung zu einer Bewährungsstrafe verurteilt. Er soll als Nowitzkis Manager drei Millionen Euro nicht versteuert haben. Geschwindner berief sich darauf, dass ein entsprechender Vertrag aus dem Jahr 1996 nur in einem Schuhkarton herumgelegen habe und nie aktiviert worden sei. Nowitzki stellte die Kaution über 15 Millionen Euro und machte einen neuen Vertrag. Demnach erhält Geschwindner als Manager nun 9500 Dollar im Monat.

Doch beiden geht es offenbar nicht um Geld. Nowitzki, der neben Michael Schumacher der bestverdienende deutsche Sportler ist, hat vor dieser Saison in Dallas einen Vierjahresvertrag für 80 Millionen Dollar abgeschlossen, doch hätte er auch 16,2 Millionen Dollar mehr verdienen können. Nowitzki verzichtete bewusst darauf, damit sein Klub bessere Mitspieler verpflichten konnte. Nun hilft ihm vor allem der neue Centerspieler Tyson Chandler enorm weiter. „Basketball ist immer noch ein Spiel“, erklärt Dirk Nowitzki, „wenn ich irgendwann am Morgen aufstehe und Basketball als Job empfinde, dann höre ich lieber auf.“

„The time is now“, steht auf den blauen T-Shirts der Dallas-Fans. Sie wollen den Titel ebenso wie er, den die US-Medien „No-Win-tzki“ nannten und ihn zu weich und zu führungsschwach scholten. Diese Attribute hat er in den aktuellen Play-offs eindrucksvoll widerlegt. Regelmäßig übernimmt er im letzten Viertel, wenn es wirklich wichtig wird, die Verantwortung und punktet. Einer seiner Fans hat ein Plakat gemalt, auf dem steht: „The time is Now – witzki“.

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