Wimbledon: Novak Djokovic ist doch nicht unschlagbar
Sam Querrey schafft die große Sensation in Wimbledon und schaltet Titelverteidiger Novak Djokovic in Runde drei aus.
Sie hatten sich ganz zurückgezogen am Samstagmorgen, als die Tore des All England Clubs für die Zuschauer noch nicht geöffnet waren. Sie suchten Ruhe, doch die immense Anspannung auf Court 14 war schier greifbar. Boris Becker stand an der Seite des Platzes, gestikulierte beherzt mit Händen und Füßen und redete dabei eindringlich auf seinen Schützling Novak Djokovic ein. Dessen Drittrundenmatch in Wimbledon gegen den Amerikaner Sam Querrey war am Freitagabend aufgrund des Schauerwetters unterbrochen worden - beim Stand von 0:2 in den Sätzen. Djokovic stand mit dem Rücken zur Wand, und die Fortsetzung der Partie würde am Mittag wie ein Tanz auf der Rasierklinge für den Serben werden: Jeder Fehler, ein einziges Break nur könnte schon das Aus für den Weltranglistenersten bedeuten. Allerhöchste Konzentration war daher gefragt und darin ist Djokovic eigentlich Meister. Aber er schien irgendwie abwesend, fast lustlos. Seine ganze Körpersprache, dazu seine Schläge, die er während der halben Stunde einübte, wirkten, als sei etwas nicht mit ihm in Ordnung. Die Returns des besten Defensivspielers der Tour landeten allesamt im Netz. Djokovic war einfach nicht er selbst.
Und so hatte er auch in den ersten beiden Sätzen gegen Querrey gespielt: seltsam vorsichtig, unsicher auf der Rückhand und ohne jegliches Selbstvertrauen. Und das machte den fast zwei Meter großen Amerikaner mit Aufschlägen von bis zu 215 km/h und den knallharten Vorhandkrachern auch als Nummer 41 der Welt plötzlich auf Rasen zu einer echten Bedrohung für Djokovic. Und der Serbe konnte in seiner Verfassung den Kopf am Samstag nicht mehr aus der Schlinge ziehen. Den ersten Matchball konterte Djokovic noch per Ass, beim zweiten verzog er eine Vorhand schließlich weit seitlich ins Aus. Für Querrey war es der "absolut größte Sieg meiner Karriere", für Djokovic eine der bittersten Niederlagen überhaupt. Mit 6:7, 1:6, 6:3 und 6:7 schied der Titelverteidiger so früh bei einem Grand Slam aus, wie seit sieben Jahren nicht mehr. Damals bezwang ihn noch Philipp Kohlschreiber 2009 bei den French Open, doch zuletzt erarbeitete sich Djokovic den Nimbus des Unbezwingbaren.
"Ich war nicht zu 100 Prozent fit", sagte Novak Djokovic nach dem Match
Seit dem French-Open-Finale vor einem Jahr hatte der 29-Jährige kein Grand-Slam-Match mehr verloren und hielt gar alle vier Major-Trophäen zur selben Zeit. Nun war Djokovic sensationell gescheitert. Doch es überraschte ihn nicht. "Ich war nicht zu 100 Prozent fit", sagte der dreimalige Wimbledonchampion, "und mental fehlte mir die Frische. Aber das ist nicht der Moment, um darüber zu reden." Djokovic hatte sich während der Partie ständig an die linke Schulter gefasst und spielte seine Rückhand eher untypisch. Das nährte die Spekulationen, die Probleme könnten dort liegen. Doch auch die extrem erfolgreichen Monate hatten wohl ihren Tribut gefordert. "Ich habe jetzt so viel Tennis gespielt", sagte Djokovic, "ich brauche unbedingt eine Pause. Ich will einfach nur noch weg."
So hatte Djokovic wohl auch nicht die nötige Nervenstärke für die aufreibende Partie gehabt. Im dritten Satz legte er zwar gleich mit 4:0 vor - dann bremste ihn die nächste Regenpause aus. Beim Stand von 1:1 im vierten Satz kam eine weitere, jene beim 5:6 aus Sicht des Serben wurde die kniffligste. Djokovic herrschte Becker auf der Tribüne geradezu an, sofort zu ihm runter in die Umkleide zu kommen. Der folgte wie geheißen, allerdings geht bei Becker nichts mehr schnell. Und seine Einflüsterungen halfen auch nicht mehr. Djokovic schloss einige Minuten lang die Augen, bevor er zurück hinaus auf Court 1 ging. Den Tiebreak erreichte er noch, den fünften Satz nicht mehr. Roger Federer, der dank der Ansetzungen auf dem überdachten Centre Court bereits seit Freitag im Achtelfinale steht, hatte es prophezeit: "Alle denken, Novak sei unbesiegbar, aber das ist Unsinn. Natürlich ist er schlagbar. Niemand gewinnt 200 Matches in Folge." Für Federer zumindest ist der Weg ins Finale nun deutlich leichter geworden.