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Meisterliche Freude. Schon vor dem letzten Saisonspiel am Samstag steht Schanghai SIPG als Chinesischer Meister fest. Es ist der erste nationale Titel für den Klub, der von Vitor Pereira, dem früheren Coach von 1860 München, trainiert wird.
© AFP

China, Fußball und der FC Bayern: „Niko Kovac wird nicht kritisiert“

Der chinesische Fußballreporter Zhu Xilei über Lisa Müllers Instagram-Post, Uli Hoeneß und die sparsamen Deutschen.

Von David Joram

Herr Zhu, Sie beobachten den FC Bayern und seine Social-Media-Kanäle intensiv. Wie wurde denn Lisa Müllers Instagram-Kritik an Trainer Niko Kovac in China aufgenommen?

Oh, das wurde fleißig bewertet, es gab etliche Interaktionen bei Weibo, dem chinesischen Facebook sozusagen. Viele haben das so aufgefasst, dass es eben eine persönliche Sache von Lisa Müller war. Von der Presseerklärung, dass sich Lisa Müller dafür bei Kovac entschuldigt hat, hätte ich persönlich abgeraten, viele der vier Millionen Follower haben das nicht verstanden.

Warum nicht?
Die Mehrheit hat geschrieben, dass sich der Klub besser für die Leistung gegen Freiburg entschuldigen sollte. Es gab wirklich viele negative Reaktionen, mehr als 400 Kommentare gingen in diese Richtung.

In Erinnerung ist auch die Pressekonferenz geblieben, auf der die Klubbosse Rummenigge und Hoeneß die Medien scharf angegriffen haben. Wie wurde das aufgefasst?
Das haben viele unterstützt!

Wirklich?
Ja, in China ist die Meinung weit verbreitet, dass Medien häufiger Mal Dinge verzerren und nicht richtig darstellen. Viele hat aber geärgert, dass Hoeneß so sehr über Juan Bernat geschimpft hat. Das konnte niemand verstehen.

Wie kommt Niko Kovac weg?
Er wird nicht kritisiert. Man fragt sich eher, warum die Mannschaft im Sommer nicht verstärkt wurde, warum es seit Ewigkeiten keine Nachwuchsspieler mehr ins Team schaffen, so wie einst Müller oder Alaba. Die Probleme werden also eher an der Entwicklung des Klubs festgemacht. Dass Robben und Ribéry nicht mehr die Power von früher haben, sieht man auch in China. Also heißt es, dass Bayern keinen guten Job während der Transferperiode gemacht hat.

Vom Sparen hält man in China nicht so viel?
Man respektiert, dass Sparen irgendwie typisch Deutsch ist und versteht, dass Bayern nicht so viel Geld ausgeben will. Andererseits sieht man auch, dass Spieler wie Cristiano Ronaldo plötzlich zu Juventus Turin wechseln. Obwohl es doch immer hieß, die italienische Liga sei am Boden. Da wird dann eben verglichen.

"Dortmund hat 1,7 Millionen Follower bei Weibo"

Welchen Stellenwert hat Chinas erste Liga verglichen mit den europäischen Topligen?
Es gibt in China quasi keine Traditionsvereine. Viele Klubs gründeten sich nach der großen politischen Öffnung 1979 …

… als Deng Xiaoping in China Landwirtschaft, Industrie, Militär und Wissenschaft/Technik umfassend modernisierte.
Und so richtig professionalisierte sich der chinesische Fußball erst ab 1994. In den 80er Jahren verlor das Nationalteam mal ein Spiel gegen Neuseeland, weil die robuster waren. Kennen Sie die Folgen?

Erzählen Sie!
Man legte fest, dass Kopfballtore oder Tore nach Ecken und Freistößen doppelt zählten. Natürlich nur, wenn zwei Teams am Ende der Saison punktgleich waren und das Torverhältnis entscheiden musste. So sollte die Physis mehr in den Fokus rücken. Das ist natürlich nicht mehr so, aber die Basis, wie sie hier auch Klubs wie Bayern oder Dortmund haben, die fehlt. Dafür bauen Firmen ganze Klubs auf. Der Fußball wird in China von Privatiers gesteuert. Wenn das mal nicht klappt, verschwindet das Team wieder. Es gibt ja nicht – wie heißt das? – 50+1.

Die 50+1-Regel. Investoren dürfen einen Klub nicht mehrheitlich übernehmen.
Das wäre in China unvorstellbar, da werden die Klubs mehr und mehr vom Kapital gesteuert, etwa Evergrande Guangzhou ...

… der Tabellenzweite und Meister 2017 …
… wird von Xu Jiayin gelenkt, einem der reichsten Männer in China. Er kommt, wie viele Milliardäre des Landes, aus der Immobilienbranche. Er ist ein guter Mann für den Fußball, weil er den Sport weiterentwickeln will. Aber auch ihm geht es ums Marketing, nicht um Titel. Trainer wie Fabio Cannavaro, Felipe Scolari oder davor Marcelo Lippi werden verpflichtet, um Aufmerksamkeit zu erregen. Als Xu 2010 begann, viel Geld locker zu machen, gab’s Debatten. Vielleicht wird ihm der chinesische Fußball eines Tages aber dankbar für sein Engagement sein.

Haben Sie auch ein Lieblingsteam?
Schanghai SIPG, der neue Meister! 2010, zu Zweitligazeiten, hatten sie 3000 Zuschauer, jetzt sind es 20 000, 2021 soll ein neues Stadion gebaut werden.
Der Klub, alimentiert von der Shanghai International Port Group (SIPG), existiert erst seit 2005. Woher kommen die Fans?
In erster Linie geht es um Erfolg. Wer gut spielt, hat auch viele Fans. Ich weiß, in Deutschland ist das anders, da haben ja sogar kleine Vereine wie Mainz viele Fans. Vielleicht, weil der Vater schon Fan dieses Klubs war, oder der Großvater.

Sie sind auch Bayernfan. Wie kam’s?
Wegen Oliver Kahn und der WM 2002! Den fand ich einfach faszinierend, so wild aussehend mit seinen blonden Haaren, kraftvoll, Kapitän. Also guckte ich halt die Deutschen, nachdem China schon früh rausgeflogen war.

Warum nicht Brasilien? Die hatten immerhin Ronaldo, Ronaldinho, Rivaldo...
Ach, das war ja der Favorit, langweilig! Auch England, mit Beckham und Owen, stand hoch im Kurs, Deutschland nicht.

Im Finale langte Oliver Kahn dann böse daneben. Waren Sie sehr traurig?
Ich hatte sogar ein paar Tränen in den Augen. Wie er da am Pfosten saß, echt bitter.

Welche deutschen Mannschaften sind neben den Bayern in China noch beliebt?
Dortmund hat 1,7 Millionen Follower bei Weibo. Weit zurück liegt Schalke. Und die Fans waren ziemlich sauer, als Goretzka nach München wechselte. Vor allem die Frauen, die Schalke mögen, haben sich sehr geärgert.

Könnten auch Hoffenheim oder Leipzig eine Chance in China haben?
Nein, aktuell nicht. Da gibt es wirklich nur Dortmund und Bayern. Das ist ja auch eine gute Geschichte. Zwei große Klubs, ein Favorit und ein Außenseiter, Goliath und David sozusagen. Da steckt was drin.

Zhu Xilei, 27, studierte in Shanghai und Berlin Media and Communication Management.

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