Formel 1: Nico Rosberg gegen Lewis Hamilton: Der Kampf der Zwei
Nächsten Sonntag startet die neue Formel-1-Saison. Kann Nico Rosberg diesmal seinen Mercedes-Rivalen Lewis Hamilton niederringen?
Nico Rosberg steht still auf dem Podium, die Hände in den Taschen. Er wartet. Rechts neben ihm steht sein Chef Toto Wolff – und wartet. RTL-Moderator Heiko Waßer, links neben Rosberg, wird langsam nervös. „Hat ihm denn keiner Bescheid gesagt?“, fragt er ins Mikrofon. „Nach meinem Zeitplan müsste es jetzt losgehen.“ Es vergehen weitere quälende Sekunden, das Publikum schweigt pietätvoll. Dann kommt er endlich, Basecap, Goldkette, Brillantenkette, funkelndes Armband, blinkende Ohrringe und – das ist neu – eine Nerdbrille mit Goldrand. Springt lässig aufs Podest, schnappt sich das Mikrofon. „Keine Aufregung, Jungs, hier bin ich“, sagt Lewis Hamilton. Kein Wort der Entschuldigung. Warum auch, er ist der Weltmeister, er gibt das Tempo vor. Hamilton grinst. Es kann losgehen.
Wird es doch noch ein großes Duell?
Hamiltons Auftritt ist der Startschuss ins neue Formel-1-Jahr. So sehen sie das bei Mercedes, dem Weltmeisterteam der vergangenen beiden Jahre, das am Freitag zum „Kick off“ der Saison geladen hat. Schauplatz sind die „Heiligen Hallen“, wie sie im Konzernsprech heißen, eine Lagerhalle im Gewerbegebiet von Fellbach am Stuttgarter Stadtrand. Dort werden die Träume der Vergangenheit aufbewahrt, Fangios Weltmeisterauto von 1954, Häkkinens Siegerwagen von 1998. Dort steht am Freitag auch der neue W07, der am Ende des Jahres als nächster Titelwagen in die Ruhmeshalle geschoben werden soll.
Die Chancen stehen gut. Vor dem Saisonauftakt am kommenden Wochenende in Australien hat Mercedes gute Testfahrten absolviert, Herausforderer Ferrari mit Sebastian Vettel scheint immer noch genügend Rückstand zu haben. Die Formel 1 erwartet also ein weiteres Teamduell der beiden Mercedes-Piloten Hamilton und Rosberg um die Weltmeisterschaft. Die Frage ist nur: Wird es in der dritten Auflage auch endlich ein großes Duell?
Große Duelle zeichnen sich meist dadurch aus, dass sie zur Freude der Schaulustigen unerbittlich bis zum großen Finale geführt werden. Im Motorsport haben diese Kämpfe eine besondere Brisanz, wenn sie unter Teamkollegen ausgetragen werden. Ein Großteil des Erfolgs speist sich nämlich aus der Fähigkeit eines Fahrers, die Belegschaft auf seine Seite der Garage zu ziehen und Mechaniker, Strategen und Designer im Sinne der eigenen Vorlieben wirken zu lassen. Die Dynamiken in einem Rennstall gehen weit über das Geschehen auf der Strecke hinaus.
Jedes Detail ist wichtig
„Die meisten Dinge, die einen Champion ausmachen, sind unsichtbar“, sagt Toto Wolff. „Die Größten wissen, dass sie ohne ihr Team niemals Weltmeister werden können. Die anderen haben nie verstanden, dass sie neben einem schweren Gasfuß auch Intelligenz und soziale Fähigkeiten brauchen.“ Jedes Meeting, jede Konferenz, jedes noch so winzige Detail ist Teil eines Puzzles, das aus der Ferne betrachtet Aufschluss darüber gibt, welcher der Piloten der „Team Leader“ ist, wie es im englischen Motorsportjargon heißt.
Weltmeister wird nur, wer die Bedeutung der Ränkespielchen und Intrigen in einem Rennstall erkennt und unablässig Forderungen ans Team stellt. Der Rekordweltmeister Schumacher war ein Meister darin, den Rivalen im anderen Auto schon abzuhängen, bevor der Motor überhaupt angelassen wurde. So haben es auch Piquet, Senna, Hamilton, Alonso und alle anderen Rennalphatiere gemacht. So hat es auch Alain Prost getan.
Prost gegen Senna, Piquet gegen Mansell
„Neben dem technischen ist in der Formel 1 auch der menschliche Aspekt sehr wichtig“, sagte der viermalige Weltmeister unlängst im Tagesspiegel-Interview. Der Franzose weiß, wovon er redet. Prost führte einst gegen den Brasilianer Ayrton Senna den wohl erbittertsten Stallkrieg der Formel-1-Geschichte. Der Kampf um die Vorherrschaft bei McLaren spaltete Ende der 80er Jahre das komplette Team und gipfelte 1989 im Unfall von Suzuka. Prost wurde so Weltmeister und flüchtete danach zu Ferrari, weil die Atmosphäre hoffnungslos vergiftet war.
So ähnlich war es auch 1986 und 1987 bei Williams. Nelson Piquet attackierte seinen Gegner Nigel Mansell von Beginn an auf allen Ebenen. Sofort baute der Brasilianer eine Art Staat im Staate Williams auf. „Manchmal haben die Ingenieure mich sogar angelogen“, sagte Mansell später. Etwa als Piquet die Mechaniker darauf einschwor, ein neues Differenzial an seinem Wagen vor Mansell geheim zu halten.
Piquets Winkelzüge beschränkten sich nicht auf technische Bauteile, sie zielten häufig unter die Gürtellinie. Der Brasilianer war ein Meister der psychologischen Kriegsführung. Mansell nannte er dumm, dessen Frau „hässlich“, und als der Brite einmal Durchfall hatte, entfernte er alle Klopapierrollen aus der Teamtoilette. Die Rivalität erreichte eine solche Intensität, dass Williams 1986 den sicher geglaubten WM-Titel verlor.
Hält der Frieden bei Mercedes eine weitere Saison?
Die Vorkommnisse bei McLaren und Williams gelten Teamchefs seither als warnende Beispiele dafür, was passieren kann, wenn beide Fahrer den Anspruch auf die Vorherrschaft im Rennstall erheben. Toto Wolff hat sich zur Agenda gemacht, eine solche Eskalation bei Mercedes zu verhindern. Bisher hat er das Ringen der beiden Silberpfeil-Piloten gut moderiert. Doch die Instrumente des Teamchefs sind begrenzt einsetzbar. Sie funktionieren nur, solange die Hierarchie im Groben unangetastet bleibt: Hamilton als „Team Leader“, Rosberg als schneller Nebendarsteller. Wolff ist selbst Rennfahrer, er kennt die Befindlichkeiten und ahnt, dass diese Besetzung wohl nicht mehr für eine weitere Spielzeit zu halten ist. Drei Jahre hat Rosberg sich meist klaglos und zum Wohle des Teams hinter Hamilton angestellt. Wenn es hart auf hart kam, räumte er in der Regel die Spur für den rempelnden Platzhirsch aus Großbritannien, der sich in jeder Situation das Recht des Weltmeisters nimmt, jede Nachricht aus der Box hinterfragt und sich im Zweifel auch über Anweisungen hinwegsetzt.
„Nico ist ein netter Typ“
Diese kleinen Dinge haben sich über die Jahre summiert, und so rutschte der folgsame Rosberg Runde für Runde in die Rolle des Mercedes-Piloten Nummer zwei. Das ist auch in Fellbach nicht zu übersehen. Hamilton genießt die Vorteile des Weltmeisterdaseins in vollen Zügen. Wenn Rosberg das Wort ans Publikum richtet, plaudert und lacht er ungeniert mit Teamchef Wolff oder spielt demonstrativ am Smartphone herum. Auch die Vorzugsbehandlung durch den Konzernchef ist ihm gewiss. Dieter Zetsche sucht ständig die Nähe zu seinem Champion, seine Hand legt er auf Hamiltons Schulter. Rosberg steht immer ein bisschen abseits und muss sich die Aufmerksamkeit des großen Bosses regelrecht erkämpfen.
Dass sich der Deutsche davon nicht aus der Fassung bringen lässt, ist eine seiner größten Stärken. Viele Fahrer wären an der Übermacht des Rivalen längst mental zerbrochen, Rosberg will auch vor dem vierten Jahr mit Hamilton seine Rolle als Nebendarsteller einfach nicht wahrhaben. Andererseits war er bisher zu höflich, den Gegner auch abseits der Strecke zu attackieren und ihn so aus dem Gleichgewicht zu bringen. War stets bedacht darauf, die Brücken zu Hamilton, den er seit seiner Kindheit kennt, nicht komplett niederzureißen. Und darauf, den Haussegen bei Mercedes nicht zu gefährden. „Nico ist ein netter Typ“, sagt Prost. „Vielleicht muss er manchmal etwas kühler werden und ein wenig mehr so sein wie Lewis.“
Aussicht auf Besserung bot ausgerechnet der Moment, in dem Rosberg seine bitterste Niederlage erlitt. Es war das Rennen in Austin im vergangenen Oktober, Hamilton drängte ihn beim Start rücksichtslos von der Strecke und wurde zum zweiten Mal in Folge Weltmeister. Doch danach beging der Brite im Überschwang einen Fehler: Er demütigte den Geschlagenen, indem er ihm lässig das Basecap mit der Nummer 2 zuwarf, eine seiner üblichen Dominanzgesten. Allein, diesmal folgte Rosberg nicht. Er warf die Mütze zurück – es war ein Akt der Rebellion.
Die drei verbliebenen Saisonrennen nach dem Mützenwurf gewann Rosberg. Für die WM 2015 war das wertlos, für die WM 2016 könnte es sich als wertvoll erweisen. Rosberg zeigte, dass er Hamilton auch über eine längere Phase hinweg hinter sich halten kann. „Es war cool zu sehen, wie dominant ich am Ende war.“
Nico Rosberg steht unter Druck, er muss angreifen
Die Saisonpause kam für ihn entsprechend ungelegen. Hamilton hatte Zeit, sich mental wieder in Form zu bringen. In Fellbach zeigt er sich entspannt. Die Frage, ob seine Brille auf nachlassende Sehschärfe hindeutet, pariert er gekonnt und bettet sie in eine Schmeichelei an den Chef ein: „Meine Augen sind super. Das ist nur ein Modeding – ich will Totos Stil kopieren, der hat im Team mit der Brille angefangen.“ Auch für Rosberg geht es nun wieder „von null los“, wie er sagt: „Das Auto ist neu, die Situation ist neu. Daher weiß ich nicht, wie viel ich mitnehmen kann für dieses Jahr.“ Klar ist: Nur wenn er zumindest seine Aufsässigkeit mit in die neue Saison nimmt, hat er eine Chance, endlich den Titel zu erringen. Um den Weltmeister im eigenen Rennstall vom Sockel zu stoßen, muss er die Konfrontation suchen und die Revolution anzetteln.
Toto Wolff spürt, dass sich ein Stimmungsumschwung anbahnt. Der Zweikampf könne in diesem Jahr „eine neue Dimension“ erreichen, argwöhnt er. Und der Racer in ihm wünscht sich das wohl sogar. „Unsere Dominanz ist schlecht für die Formel 1 und auch schlecht für uns“, sagt Wolff und gewährte Einblicke in seine Überlegungen, „wie wir die Show verbessern können“: „Vielleicht sollten wir die beiden komplett von der Leine lassen.“ Das wäre sicher auch im Sinne der Fans, die nach neuen epischen Duellen lechzen. „Ein großer Knall am Ende, mit Crash und Feindseligkeiten, das ist vermutlich das, was wir vermissen“, gibt Wolff zu.
Wehrlein wird schon als Nachfolger aufgebaut
So sehr er sich als Fan einen entfesselten Kampf zwischen seinen Pistenhelden wünscht, so sehr ist Wolff aber auch in der Pflicht, das zum Wohle des Konzerns zu verhindern. Schon seit dem Saisonende läuft er deshalb mit einem permanent erhobenen Zeigefinger durch die Gegend. Er droht immer wieder damit, sich im Zweifelsfall von einem Fahrer zu trennen, „wenn es für das Team nachteilig wird“.
Nico Rosbergs Pech ist, dass er auch hier in der Verfolgerrolle ist. Während Hamiltons Vertrag bei den Stuttgartern noch bis 2018 läuft, endet seiner schon nach dieser Saison. Wolff will erst die Entwicklungen des Jahres abwarten, bevor er über Rosbergs Zukunft entscheidet. Nebenbei baut der Teamchef schon einen potenziellen Nachfolger auf: Pascal Wehrlein. Den DTM-Champion lotste Wolff selbst in die Formel 1 zum Mercedes-Kundenteam Manor. „Wir würden das nicht machen, wenn wir Pascal nicht irgendwann auch in den Silberpfeil setzen wollen würden“, sagt er. Rosberg wird das registriert haben. Er startet mit einem Zusatzgewicht in die Saison.
Dennoch scheint der 30-Jährige willens, diesmal von Beginn an richtig anzugreifen. Als Hamilton auf dem Podium über das neue Auto spricht und davon, dass er es „physisch anstrengender“ zu fahren findet, greift sich Rosberg das Mikrofon und grätscht dazwischen. „Anstrengender? Soll das heißen, du wirst alt?“ Eine klare Respektlosigkeit vor den Augen der Bosse, doch Hamilton kontert: „Du bist doch auch nur ein halbes Jahr jünger. Und bei dir habe ich schon graue Haare entdeckt.“ Das wäre eine passende Gelegenheit, noch einmal auf Hamiltons Sehschärfe oder die Gerüchte um seine Haartransplantation aufmerksam zu machen, doch Rosberg lässt es dabei bewenden.
Den ersten Angriff hat Lewis Hamilton abgewehrt, aber das war schon ganz unterhaltsam. Wenn nächsten Sonntag in Melbourne das erste Rennen gestartet wird, geht das Duell weiter. Ob es endlich ein großes wird, liegt nur an Nico Rosberg.