Deutsche Hockey-Frauen: Neue Wunder aus der Tüte
Deutschlands Hockey-Frauen wollen bei der Europameisterschaft in Antwerpen mal wieder positiv überraschen. Der neue Bundestrainer Jamilon Mülders hat das Nationalteam dafür behutsam und doch durchgreifend verändert.
Eine gewisse Enttäuschung nach einer Niederlage, einer ziemlich drastischen dazu, ist sicher nicht verkehrt. Aber ein Bezug zur Realität sollte schon noch vorhanden sein. Genau den aber hat Jamilon Mülders, der Hockey-Bundestrainer der deutschen Frauen, zuletzt bei einigen seiner Spielerinnen vermisst. Mülders war ein wenig irritiert, nachdem seine Mannschaft vor kurzem ein Testspiel gegen Olympiaseiger Holland 0:7 verloren hatte. In den Gesprächen danach fand er heraus, dass einige Spielerinnen gedacht hatten, sie könnten schon mit den Holländerinnen auf Augenhöhe konkurrieren. „Wie kommt man auf diese Idee?“, fragt der Bundestrainer und klingt dabei ziemlich entrüstet. Holland sei die ganz klare Nummer eins in der Welt und deshalb noch Lichtjahre entfernt. „In zehn Spielen können wir sie zwei oder drei Mal ärgern. Aber sieben oder acht Mal kriegen wir massiv Haue.“
Die Holländerinnen sind auch bei der morgen beginnenden EM in Antwerpen (bis 25. August) erster Anwärter auf den Titel. Und die Deutschen? „Wir werden ein gutes Turnier spielen“, sagt Mülders. „Wenn wir bei uns bleiben.“ So wie beim World-League-Turnier in Rotterdam, das sein Team im Juni überraschend gewonnen hat – durch einen Sieg im Finale gegen Gastgeber Holland. Auch wegen solcher Ausschläge, nach oben wie nach unten, ist die Frauen-Nationalmannschaft unter dem Synonym Wundertüte bekannt geworden. „Mit dem Begriff habe ich kein Problem – wenn es Leistungsspitzen nach oben gibt“, sagt Mülders. Genau daran arbeitet er, seitdem er im vergangenen Herbst, nach der Enttäuschung bei Olympia (Platz sieben), das Amt des Bundestrainers übernommen hat.
Die Ergebnisse können sich durchaus sehen lassen – vor allem wenn man sie weniger am Auftreten der Mannschaft festmacht. „Die Veränderung ist sichtbar“, sagt Mülders. „In London bei Olympia sind scheue, verängstigte, desorientierte Kinder, Mädchen und Frauen rumgelaufen.“ Inzwischen stehen die Nationalspielerinnen mit einem ganz anderen Selbstwertgefühl auf dem Feld.
Der neue Bundestrainer ist angetreten, das deutsche Frauenhockey aus der Defensive herauszuholen. „In den letzten Jahren haben wir uns unter Wert verkauft“, sagt der 37-Jährige. Dabei konnte die Mannschaft durchaus Erfolge vorweisen, den Olympiasieg 2004 zum Beispiel oder den EM-Titel 2007. Aber diese Triumphe hatten immer etwas Zufälliges. Wenn die Mannschaft bei den Turnieren in der Vorrunde ausgeschieden wäre, hätte sich niemand beschweren können. „Wir haben immer darauf geschaut: Was machen die Gegner? Wie bauen die auf? Wie verteidigen die?“, sagt Mülders. Danach richtete sich dann das eigene Spiel. „Wir dürfen nicht verkennen, wer wir sind“, findet der Bundestrainer. „Wenn man den Spielerinnen vertraut und sie machen lässt, dann haben wir genügend gute dabei.“
Mülders hat den Kader behutsam und doch durchgreifend verändert. Personell hat es keine allzu großen Verschiebungen gegeben. Mit Hannah Gablac, 18, und Lea Stöckel, 19, stehen nur zwei Teenager ohne nennenswerte internationale Erfahrung im deutschen EM-Aufgebot. Dafür hat Mülders Routiniers wie Tina Bachmann (35 Jahre/226 Länderspiele) und Eileen Hoffman (29/170) zurückgeholt. Weit einschneidender ist, dass sich viele Spielerinnen auf neuen Positionen wiederfinden, Kapitänin Julia Müller zum Beispiel läuft jetzt im Mittelfeld statt in der Abwehr auf.
Es gibt durchaus ein Vorbild, an dem sich die deutschen Frauen orientieren dürfen: die deutsche Männer-Nationalmannschaft, die am Samstag gegen Geheimfavorit Belgien in die EM startet. „Sie sind für unsere Frauen eine Inspiration“, sagt Mülders. Weil die Männer sich von nichts und niemandem einschüchtern lassen und stets ihr eigenes Spiel spielen. Da will Mülders auch mit den Frauen hin. „.Wir basteln uns gerade unser eigenes Profil“, sagt er. „Wir wollen einen eigenen Spielanspruch haben, anstatt zu sagen: Pass auf, wir machen keine Fehler! Wir wollen offensiv spielen, massiv verteidigen, bis zur letzten Sekunde alles geben.“
Mülders gibt den Spielerinnen viele Freiräume – um die Eigenverantwortung zu fördern, auch auf dem Platz. Der Trainer macht keine Trainingskontrollen, außerdem hat er die nicht übermäßig beliebten Körperfettmessungen abgeschafft. Naiv oder sorglos ist das nicht. Nachlässigkeiten lassen sich auf Dauer sowieso nicht verbergen.
Die Vorrundenspiele: Frauen: Schottland (Samstag, 12 Uhr), England (Sonntag, 14 Uhr), Spanien (Dienstag, 16 Uhr); Männer: Belgien (Samstag, 20 Uhr), Spanien (Montag, 14 Uhr), Tschechien (Mittwoch, 16 Uhr).