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Neu und alt. Spaniens Nolito (Nr. 22) und Juanfran (Nr. 16) wurden erst im hohen Fußballeralter für die Selección nominiert.
© AFP/Langlois

Europameister Spanien: Neue, alte Füße

Spaniens gelungener Umbruch ist in Wirklichkeit gar keiner. Trainer Vicente Del Bosque setzt vor allem auf Spieler, die lange an der goldenen Generation nicht vorbei kamen.

Bruno Soriano hatte eine ziemlich genaue Vorstellung davon, wie er diesen Sommer verbringen würde. Zuerst einmal ausspannen. Seinen Geburtstag feiern, Strand, Familie, klar. Nebenbei wollte sich der Mittelfeldspieler vom FC Villarreal überlegen, was er nach der aktiven Karriere als Fußballer so anstellen könnte. Vielleicht ein Engagement als Trainer im Jugendinternat seines Klubs, das wäre doch was. Schließlich ist Soriano vor ein paar Tagen 32 Jahre alt geworden, da können ein Paar Gedanken in diese Richtung nicht schaden.

Natürlich ist alles ganz anders gekommen. Seinen Geburtstag hat Soriano im Kreise der spanischen Nationalmannschaft gefeiert und Muße, an die Zeit nach der Karriere zu denken, bleibt ihm dieser Tage auch nicht. Es geht um Wichtigeres, den Europameistertitel genauer gesagt. Die Zukunft muss warten.

Die Zukunft muss warten, das gilt für Bruno Soriano und auch für Spanien. Der Titelverteidiger hat bisher in Frankreich mit zwei souveränen Siegen gegen Tschechien (1:0) und die Türkei (3:0) überzeugt, im abschließenden Gruppenspiel diesen Dienstag genügt gegen Kroatien ein Unentschieden zum Gruppensieg. Spaniens Spiel wirkt so leichtfüßig, so dominant, als hätte es diese vermaledeite Weltmeisterschaft vor zwei Jahren in Brasilien nie gegeben. Zukunftsträchtig ist diese Mannschaft aber kaum, obwohl viele Gesichter im Kader neu sind und zehn der 23 Spieler über keinerlei Turniererfahrung verfügen. Es sieht so aus, als wäre Trainer Vicente Del Bosque der Umbruch gelungen. Und im Grunde stimmt das ja auch, nur eben nicht im eigentlichen, herkömmlichen Sinne. Obwohl Spieler wie Xavi, Xabi Alonso oder David Villa nicht mehr dabei sind, ist Spaniens aktuelle Mannschaft kaum jünger als die vor zwei Jahren. Das Durchschnittsalter der Selección in Brasilien betrug 28,37 Jahre, das der EM-Mannschaft 28,10 Jahre.

Spaniens Trainer hatte nach dem blamablen Vorrundenaus in Brasilien angekündigt, einen „sanften Übergang“ einleiten zu wollen

Der hohe Wert kommt durch Spieler vom Typ Sorianos zustande. Der Kapitän vom FC Villarreal ist neben Aritz Aduriz (35), Nolito (29) oder Juanfran (31) einer jener Spätberufenen, auf die Del Bosque in Frankreich setzt. Zusammen kommen sie auf nicht einmal 50 Länderspiele. Spaniens Trainer hatte nach dem blamablen Vorrundenaus in Brasilien angekündigt, einen „sanften Übergang“ einleiten zu wollen und ließ seinen Worten Taten folgen.

Del Bosques neues, altes Spanien kommt frisch daher, ohne frisch zu sein. „Ich finde das überhaupt nicht schlimm, sondern sehr überlegt“, sagt Javier Irureta, der frühere Meistertrainer von Deportivo La Coruña. „Spanien hat ein paar neue Füße bekommen, die wissen, wie man spielt.“ Was Irureta meint: Die Neuen verfügen alle über reichlich Erfahrung, aber den nötigen Erfolgshunger, der den Weltmeistern in Brasilien fehlte.

Soriano, Juanfran oder Aduriz hatten lange unter der erfolgreichen Generation um Xavi und Xabi Alonso zu leiden, die zwischen 2008 und 2012 alle großen Turniere gewann. An ihnen war kein Vorbeikommen für so viele Spieler, die in ihren Klubs hervorragende Leistungen zeigten. Del Bosque entschied sich, den ewig Wartenden in Frankreich eine Chance zu geben, statt eine deutlich jüngere Mannschaft zu nominieren. Der 21 Jahre alte Saul Niguez und der drei Jahre ältere Isco wurden aus dem vorläufigen Aufgebot gestrichen. Einzig Hector Bellarin (21), geht als Nachwuchshoffnung durch.

Tatsächlich bilden immer noch jene Spieler das Grundgerüst, die seit vielen Jahren dabei sind

„In den kommenden Jahren werden jüngere Spieler nachkommen, aber für den Moment helfen die am meisten, die Del Bosque nominiert hat“, sagt Irureta. „Sie alle haben den Ballbesitzstil genauso erlebt, sie alle sind Kinder dieser Epoche.“ Irureta findet, nach der WM waren gar nicht so viele Veränderungen nötig, wie gefordert wurden. „Zwei, drei Schrauben mussten nachjustiert werden, das war´s“, sagt Irureta.

Tatsächlich bilden immer noch jene Spieler das Grundgerüst, die seit vielen Jahren dabei sind. Sergio Ramos und Gerard Pique sind gesetzt als Innenverteidigung, das Mittelfeld wird dirigiert von Sergio Busquets, Cesc Fabregas und Andres Iniesta. Außenangreifer David Silva, 30 Jahre alt, war schon beim EM-Titel 2008 dabei.

Die wichtigste Veränderung im Vergleich zur WM hat Del Bosque im Angriff vorgenommen. Statt des eingebürgerten Brasilianers Diego Costa stürmen nun Nolito und Alvaro Morata. „Das sind beides Spieler, die dem spanischen Stil entsprechen, die mit Ballbesitz auch etwas anfangen können und sich perfekt in Abschlusspositionen bringen“, betont Irureta.

Costa konnte das nicht. Als typischer Konterstürmer fremdelte er in der Selección, stets wirkte er wie ein Fremdkörper. Del Bosque verzichtete auf seine Nominierung. Dafür holte er den 29 Jahre alten Nolito, einen Stürmer vom Provinzklub Celta Vigo, der es bis zum Beginn der Vorbereitung auf gerade einmal fünf Länderspiele gebracht hatte. In Frankreich traf Nolito schon zweimal, Atletico Madrid, der FC Barcelona und Manchester City sind an ihm interessiert. Damit wolle sich der Angreifer aber erst nach der EM beschäftigen. Ist was für die Zukunft, kann also warten.

Sebastian Stier

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