WM 2014 - Interview mit "Fare": Nach Reichskriegsflagge: "Die Rassisten werden sichtbarer"
Blackfacing, ein Flitzer mit mehrdeutigen Botschaften, eine Reichskriegsflagge – kehrt bei dieser WM der offene Rassismus in die Fußballstadien zurück? Ein Interview mit dem Anti-Rassismus-Netzwerk "Fare".
Claudia Krobitzsch, Sie engagieren sich im Netzwerk „Football Against Racism in Europe“ – kurz „Fare“. Beim Spiel Deutschland gegen Portugal hielt ein Fan eine Reichskriegsflagge hoch. Ist das wieder trauriger Alltag bei Spielen der DFB-Elf?
Eine Reichskriegsflagge habe ich lange nicht mehr gesehen. Das hatte für mich ebenso eine neue Dimension wie die deutschen Fans, die sich vor dem Spiel gegen Ghana mit schwarzer Farbe anmalten. Diese Praxis erinnert an das Blackfacing, ein Stilmittel des Theaterschauspiels mit Ursprung in den USA des 19. Jahrhunderts, das sich rassistischer Stereotype bedient und mit dem sich weiße Darsteller über Schwarze lustig machten.
Sie haben die Fifa auf beide Vorfälle hingewiesen und auch das Foto von der Reichkriegsflagge am Dienstag an den Verband geschickt. Was ist darauf zu sehen?
Die Fahne wurde während der Hymnen hochgehalten. Der Halter ist offensichtlich Deutscher, wir konnten ihn jedoch keiner bestimmten Fanclub-Gruppe zuordnen.
Beim Spiel gegen Ghana stürmte zudem ein Mann aufs Feld, bei dem nicht ganz sicher ist, welche Botschaft er vermitteln wollte.
Der Flitzer soll ein Pole sein, der davon spricht, dass er nur seine Telefonnummer und E-Mail-Adresse auf den Bauch gekritzelt hat – dummerweise mit den Kombinationen HH, SS und CC, also mit Codes, die häufig von Neonazis verwendet werden. Mehr können wir dazu bislang noch nicht sagen.
Diskriminierende Botschaften sind beim Fußball allerdings kein rein deutsches Problem. Wurden Sie auch über Vorfälle aus anderen Stadien informiert?
Wir haben auch Franzosen oder Belgier gesehen, die sich schwarz angemalt haben. Bei Spielen der russischen Nationalelf hingen Fahnen mit Keltenkreuzen, bei Spielen der Kroaten haben wir kroatische Fans mit faschistischen Ustascha-Flaggen gesehen und bei Spielen Mexikos wurde der gegnerische Torhüter mit homophoben Rufen („Puto“, Schwuchtel, d. Red.) beleidigt. Besonders absurd ist zudem das Foto eines offenbar kolumbianischen Fans, der mit einem Umhang voller Hakenkreuze ins Stadion gelangte.
Die Aufklärung in den nationalen Verbänden scheint demnach sehr unterschiedlich. Wer tut was gegen das Problem?
Das Engagement der Verbände gegen Diskriminierung im Stadion ist sehr unterschiedlich. Viele stehen dem Problem hilflos gegenüber, andere negieren, dass sie ein Problem haben. Auch wenn es bei deutschen Fans immer wieder zu Verfehlungen kommt, muss man sagen, dass der DFB gute Fanarbeit leistet – wenn er nicht gerade antirassistische Banner in Stadien überhängt. Er ist bei jedem Turnier mit einem Fanbetreuer-Team der Kos (Koordinationsstelle Fanprojekte, d. Red.) vor Ort. Das machen neben den Deutschen nur die Engländer und die Niederländer.
Trotzdem: Müssen wir uns Sorgen machen?
Ich würde nicht sagen, dass die Rassisten mehr geworden sind. Sie sind nur sichtbarer geworden.
Inwiefern?
Dieses Turnier ist eine WM des Social Media. Zum einen ist Twitter mittlerweile überall auf der Welt sehr beliebt und nicht mehr so eine Geek-Veranstaltung wie noch vor vier Jahren. Daher haben natürlich auch die Rassisten einen neuen Kanal gefunden, um ihren Humbug zu verbreiten. Zum anderen wird Twitter heute viel stärker von den großen TV-Stationen oder Zeitungen wahrgenommen. Das heißt: Alles, was abseits des Platzes passiert, geschieht unter einer viel größeren Lupe.
In sozialen Netzwerken waren vor dem Deutschland-Ghana-Spiel Sätze zu lesen wie „Hoffentlich sterben ein paar Schwarze an Aids“. Später entschuldigte sich die Verfasserin, eine Schülerin, für diesen Satz. Eine Rassistin?
Natürlich ist es ein Problem, dass vielen jungen Menschen in der sozialen Medienwelt der Weitblick fehlt. Viele posten da aus Naivität und Dummheit. Doch mein Mitleid wegen des darauffolgenden Shitstorms hält sich wirklich in Grenzen. Auch eine Schülerin muss wissen, dass man niemandem den Tod wünscht.
Seit einigen Jahren dokumentiert Ihre Netzwerkorganisation „Fare“ solche Verfehlungen. Wie funktioniert das genau?
Das Fare-Netzwerk hat vor einigen Jahren ein sogenanntes Monitoring-Programm entwickelt. Bei der EM 2012 haben wir pro Spiel zwei Mitarbeiter ins Stadion geschickt, aus den jeweils gegeneinander spielenden Nationen. So konnten wir sicher sein, dass die Leute die Symbole oder Slogans verstehen und zudem in kulturelle Kontexte einordnen konnten. Nach den Spielen haben wir dann detaillierte Berichte angefertigt und samt Fotos oder Videos an die Uefa geschickt.
Reagiert die Fifa auf Ihre E-Mails?
Wir schicken unsere Reports an die Social-Responsibility-Stelle des Verbandes und bekommen auch Feedback. In manchen Fällen werden auch Ermittlungen eingeleitet. Wenn der Verband bei der jetzigen WM gemäß ihrer Null-Toleranz-Politik oder dem Credo „No to racism“ handelt, führt eigentlich kein Weg an Konsequenzen für den Reichskriegsflaggenhalter vorbei.
Im Gegensatz zur EM 2012 sind Sie mit Ihren Mitarbeitern dieses Mal nicht in den Stadien. Wieso?
Wir haben der Fifa ein Angebot gemacht, dass wir Beobachter nach Brasilien schicken, doch wir erhielten eine Absage. Einzige Begründung: Man brauche uns nicht. Wir sind also darauf angewiesen, dass uns Leute auf diskriminierende Inhalte aufmerksam machen.