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Enttäuschung und Wut: Nach Ferrari-Debakel: Italien sieht Rot

Nach dem verpassten WM-Titel von Ferrari-Pilot Fernando Alonso im letzten Formel-1-Rennen fordert ein ganzes Land Rücktritte – besonders Strategiechef Chris Dyer wird angefeindet.

Es ist nun schon ein paar Tage her, aber Italien wütet immer noch. Nach dem verlorenen Finale von Abu Dhabi sind die Erregung und der öffentliche Zorn über die Strategiepanne, durch die Ferrari und Fernando Alonso den Formel-1-Titel an Sebastian Vettel verloren, noch nicht abgeflaut. Minister Roberto Calderoli forderte sogar den Rücktritt des Ferrari-Präsidenten Luca di Montezemolo, da er für diese „Schande“ verantwortlich sei. Das mag an dem Gescholtenen abprallen, doch die italienischen Medien fordern weiterhin: Es müssen Köpfe rollen.

Besonders eingeschossen hat man sich dabei auf Chefingenieur Chris Dyer. Er sei der Verantwortliche für die Entscheidung, Fernando Alonsos Boxenstrategie ganz auf Vettels Red-Bull-Teamkollegen Mark Webber auszurichten. Weil Webber schon sehr früh, in der 14. Runde, an die Box kam, hatte Ferrari mit dem Spanier sofort nachgezogen, ohne dabei zu bedenken, dass man so hinter dem Renault von Witali Petrow und dem Mercedes-Piloten Nico Rosberg hängenbleiben würde. Die hatten schon in der Safetycar-Phase ganz am Anfang nach Michael Schumachers Unfall gestoppt, waren den Ferrari-Strategen in ihren Berechnungen aber entgangen. So kam Alonso dann nicht mehr an Petrow vorbei und wurde nur Siebter. Fernando Alonso erklärte zwar, dass man die WM nicht nur wegen des Strategie-Fehlers verloren habe. Red Bull sei „einfach besser“ gewesen. Der öffentlichen Wut auf Dyer tat das keinen Abbruch. Sie machte nicht einmal vor seiner Ehefrau Halt, die sich beim Einkaufen in Italien heftiger verbaler Attacken erwehren musste.

Der Stachel sitzt tief im roten Selbstverständnis. Viele Ferrari-Teammitglieder vergossen Tränen, Präsident Luca di Montezomolo schlich schon kurz nach dem Rennen ganz allein an der Party in der Red-Bull-Box vorbei, um den Ort der Schmach so schnell wie möglich zu verlassen. Dabei war er extra eingeschwebt, um den Triumph seiner Roten miterleben zu können. Siegessicher war er vor dem Rennen durchs Fahrerlager stolziert, speziell nach dem dritten Platz von Alonso in der Qualifikation. Auch der Rest des Teams schien überzeugt, den WM-Titel überhaupt nicht mehr verlieren zu können.

Danach war die Enttäuschung natürlich besonders groß, „und wir Italiener sind da nun mal sehr emotional“, sagte Ferraris Medienverantwortlicher Luca Colajanni, der auch am Mittwoch immer noch in Abu Dhabi und immer noch sehr niedergeschlagen war. Colajanni hatte an der Stätte der Niederlage die Stellung gehalten, wo auch Vettel nach seinem Feiermarathon am Mittwoch wieder eintraf, um ab Freitag die neuen Pirelli-Reifen für die nächste Saison zu testen. Zu den Anfeindungen in der Heimat sagte Colajanni: „Wir haben halt 60 Millionen Ferrari-Teamchefs, die es alle besser wissen.“

Der wirkliche Ferrari-Teamchef, Stefano Domenicali, war dagegen nach Maranello zurück geflogen. Er versuchte wenigstens intern erst einmal Ordnung zu schaffen und Ruhe zu verbreiten. „Das Einzige, was wir tun können, ist durchatmen, die Batterien wieder aufladen und die Leute dazu antreiben, nächstes Jahr einen besseren Job zu machen“, sagte er. Zu möglichen personellen Veränderungen äußerte er sich nicht.

Aber die Gerüchte umkreisen Ferrari, auch in der Fahrerfrage. Im Zentrum steht Felipe Massa, dem vorgeworfen wird, Alonso im Titelkampf gegen die Zwei- Mann-Armee von Red Bull im Stich gelassen zu haben. Der Brasilianer steht nach dem Stallorderskandal von Hockenheim, wo er Alonso den Sieg überlassen musste, völlig neben sich. Ferrari-Insider bestätigen, dass di Montezemolo schon seit einiger Zeit mit Massa nicht mehr glücklich ist und ihn gerne loswerden würde.

Als potenzieller Nachfolger für die zweite Position im Team wird in den italienischen Medien Nico Hülkenberg genannt. Der 23-Jährige hat gerade sein Cockpit bei Williams verloren, weil er nicht genügend Sponsorengeld anschleppen konnte. Hülkenbergs Manager Willi Weber führte am Wochenende in Abu Dhabi jedenfalls ein langes Gespräch mit di Montezemolo. Schumachers früherer Manager sieht „sehr gute Möglichkeiten“ für seinen Schützling in der nächsten Saison, nennt aber keine Teamnamen. Zu Ferrari würde Hülkenberg gut passen: Er ist talentiert, würde sich wohl hinter Alonso einordnen – und wäre günstig zu haben.

Christian Hönicke, Karin Sturm

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