Bildband "Surfing": Monströse Wellen, unendliches Blau
Ein 600 Seiten starker Bildband zeichnet die Geschichte des Surfens nach. Er erklärt eindrucksvoll, worum es in dieser Sportart wirklich geht.
Beim Aufschlagen des sieben Kilogramm schweren Wälzers erscheint erst einmal auf einer Doppelseite das Meer, tiefdunkles, endloses Blau. Und dann, auf den zweiten Blick, sind da diese kleinen, hellen Farbtupfer im Wasser zu erkennen. Es sind Surfer. Eine Seite weiter dann: nichts weiter als tiefdunkles Meer. Es ist ein gewaltiger Auftakt in dem jüngst im Taschen-Verlag erschienenen Bildband "Surfing", es ist ein Auftakt, ein Blau, in dem eine Botschaft mitschwingt: Mehr noch als um das Surfen an sich geht es beim Surfen ums Wasser, ums Meer, um die unendliche Weite und das Gefühl davon.
Der Kalifornier Jim Heimann hat sich um den fast 600 Seiten langen Bildband verdient gemacht. Im Vorwort beschreibt er den zermürbenden Versuch, in einem Buch wiederzugeben, was das Surfen ausmacht. Wie soll so etwas auch möglich sein? Und trotzdem hat Heimann dieses Gefühl der Weite bestmöglich transportiert.
Der passionierte Surfer hatte dafür 7000 Bilder in der engeren Auswahl für den Band. Heimann entschied sich nicht für das, was auf der Hand lag: für eine Ansammlung spektakulärer Wellen mit wagemutigen Surfern. Heimann erzählt das Surfen in Bild und Wort unaufgeregt von seinen Ursprüngen her.
"Surfing" ist deshalb auch eine Liebeserklärung an die Inseln von Hawaii, wo alles begann. Schon vor über 800 Jahren wurde dort das Surfen zur kollektiven Obsession. Selbst die dem Surfen negativ eingestellten calvinistischen Missionare aus den USA konnten die "nahezu nackten Wilden" auf ihren Brettern, wie ein Missionar empört berichtete, nicht stoppen. Surfen, das ist eine weitere Botschaft des Bandes, ist nicht aufzuhalten. Die Welle trägt dich, sie steht über den Dingen.
Eine der eindrücklichsten Aufnahmen in dem Band stammt aus dem Jahr 1890. Sie zeigt einen bärtigen und muskulösen Hawaiianer mit seinem Surfboard aus Holz. Der Mann hat einen Lendenschurz an, er steht am Waikiki-Strand in Honolulu, der Wiege des Surfens, und blickt aufs Meer. Ende des 19 Jahrhundert war die indigene Bevölkerung durch Krankheiten, die die Missionare ins Land gebracht hatten, um 90 Prozent geschrumpft. Doch fand in diesen Jahren eine Zeitenwende statt, die Immunabwehr der Hawaiianer hatte sich angepasst, die Missionare waren praktisch verschwunden. Das ursprüngliche Hawaii hatte immer noch eine Zukunft, und vor allen Dingen hatte das Surfen eine Zukunft. Sogar mehr als das: Surfen sollte schon sehr bald massenkompatibel werden.
Dafür sorgten Koryphäen des Surfsports wie zum Beispiel Duke Kahanamoku. Der Hawaiianer war nicht nur ein begnadeter Schwimmer (1911 gewann er bei den Olympischen Spielen in Stockholm eine Goldmedaille), sondern der beste Surfer seiner Zeit. Kahanamoku galt als Frauenschwarm, als "der hinreißendste Mann, den Gott der Welt je geschenkt hat", zitiert Heimann eine Verehrerin. Er war der erste Popstar des Surfens, weitere sollten dazukommen, auch wenn sie vordergründig nur wenig mit dem Surfen verband. Von den Beach Boys etwa konnte nur ein Bandmitglied surfen, und Elvis, der Hawaii-Fan, posierte gerne auf dem Surfbrett. In die Wellen wagte er sich aber nicht damit.
Heimann hat die Popstars abgebildet, aber auch die wegweisenden Surfer, die nie wollten, dass ihre Sportart so groß wird, dass Unternehmen wie Quiksilver oder Billabong Milliardenumsätze machen und dass die begehrten Surfspots manchmal so absurd voll sind. Menschen wie Greg Noll, der über das Surfen einmal sagte: „Da waren einfach nur gut aussehende Mädels und Jungs, die Wein trinken, Gras rauchen, Mist bauen, vögeln und gegen die Gesellschaft und alles rebellieren wollten, was sie von einem erwartete. Das ist die ganze Geschichte.“
Im letzten Viertel des Bandes befriedet Heimann jene, die das Surfen wegen seiner Gefahren lieben. Der Bildband zeigt, wie monströse Wellen auf die mickrig wirkenden Surfer zurollen oder wie diese monströsen Wellen die Surfer brutal unter sich begraben. Am Ende aber, auf der letzten Seite, ist da wieder: nichts weiter als das unendliche Meer.
Jim Heimann: Surfing, 1778 - 2015. Taschen, Köln 2016, 592 Seiten
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