Deutsche Nationalmannschaft: Mit Hang zur Selbstgefälligkeit
Die Nationalmannschaft gilt als großer Favorit auf den WM-Titel. Beim 0:0 gegen England aber zeigt sich nach der Pause, dass längst nicht alles von alleine läuft.
Vielleicht sollten sich die deutschen Fußball-Nationalspieler ein Vorbild an ihrem Trainer nehmen. „Ich muss ein bisschen nach vorne denken“, sagte Joachim Löw nach dem 0:0 der Nationalmannschaft gegen England. Er meinte damit eine vorausschauende Planung für die nächste Begegnung gegen Frankreich, die schon am Dienstag in Köln ansteht. Gerade in diesen Herbstwochen, wenn die Belastung für die Spieler per se hoch ist, muss man ein bisschen aufpassen. Deshalb wird es gegen die Franzosen umfangreiche Änderungen in der Startelf geben.
Ein bisschen mehr nach vorne denken – das hätte auch Löws Spielern gegen die Engländer ganz gut getan, vor allem in der zweiten Hälfte, in der sie nicht einen ernstzunehmenden Angriff, geschweige denn Torschuss zuwege brachten.
Es gab auch in der zweiten Halbzeit noch ausreichend Eruptionen auf den Rängen. Aber die waren nicht den Darbietungen der beiden Mannschaften geschuldet, sondern den Papierfliegern, die unter lautem Jubel in den Innenraum segelten. Die Engländer kamen nach der Pause immerhin noch zu drei guten bis sehr guten Gelegenheiten – der Weltmeister aus Deutschland hatte keine einzige mehr. Einen Gedanken an die Offensive verschwendeten die Gäste offensichtlich nicht. Wenn sie den Ball mal hatten, ließen sie ihn ziellos durchs Mittelfeld kreiseln. „Es war ein nüchternes Spiel von beiden Mannschaften“, sagte Löw. „Es gab schon Klassiker England gegen Deutschland mit ganz anderen Emotionen.“
Bemerkenswert war die zweite Hälfte insofern, als es vor der Pause ja durchaus emotional zugegangen war. Nach Ballgewinnen suchten die Deutschen umgehend den Weg zum Tor. „Da haben wir es gut gemacht, ein paar Angriffe wirklich gut durchgezogen“, sagte Löw. Genauso hatte der Bundestrainer das sehen wollen nach all den einseitigen Qualifikationsspielen gegen fußballerisch minderbemittelte Gegner, die gegen den Weltmeister traditionell allein auf Verhinderung aus sind. Bei der WM im kommenden Jahr werden es die Deutschen mit anderen Widersachern zu tun bekommen. Auch auf diese Anforderung sollte das Testspiel gegen England die Mannschaft vorbereiten.
Löw erwartet ein besseres Umschaltspiel
Timo Werner tauchte dank seiner Schnelligkeit zweimal frei vor dem englischen Torhüter auf, ließ die Chancen aber ungenutzt, was bei ihm im Übrigen keineswegs selten vorkommt; auch Leroy Sané hatte vor der Pause zwei glänzende Gelegenheiten, traf einmal die Unterkante der Latte und ein weiteres Mal den Kopf eines englischen Abwehrspielers auf der Torlinie. Die Deutschen dominierten die erste Halbzeit. Nach der Pause aber schien es, als hätte die Mannschaft in der Kabine für sich beschlossen: Wir haben gezeigt, dass wir es können, wenn wir wollen. Das muss jetzt auch reichen.
Dem Bundestrainer reichte es nicht. Er klagte, dass das Spiel seiner Mannschaft nach der Pause zu träge gewesen sei, dass der Gegner seine Abwehr immer wieder habe formieren können. „Wir brauchen das Umschaltspiel. Daran müssen wir im nächsten Jahr konsequent arbeiten“, sagte Löw. „Wir müssen das wieder einschleifen Richtung WM.“
Das Spiel der Deutschen nach der Pause wirkte selbstgefällig, ein wenig verliebt in sinnlosen Ballbesitz – zumal die Engländer nur dem Namen nach groß waren. Dem Team fehlten etliche Stammkräfte, insgesamt fünf Spieler feierten ihr Debüt im Nationaltrikot. Oliver Bierhoff, der Manager der deutschen Nationalmannschaft, hatte vor der Begegnung gewarnt, dass die Erwartungen nach der überzeugenden Qualifikation erst recht ins Unermessliche wachsen könnten, sollte es nun auch noch überzeugende Siege gegen England und Frankreich geben. Dieser Gefahr immerhin haben die Deutschen am Freitagabend erfolgreich entgegengearbeitet.