Gescheiterte Olympia-Bewerbung: Mit Füßen getreten
18 Spitzenverbände stimmten im Städteduell um die Bewerbung für die Olympischen Spiele für Hamburg. Das Modell der Sportstadt Berlin scheint damit infrage gestellt.
Am Montag hat nicht nur eine Stadt einen olympischen Wettbewerb verloren. Es ist auch ein Modell infrage gestellt worden. Das Modell der Sportstadt Berlin. Bisher hatte Berlin ein besonderes sportliches Selbstverständnis: Große und kleine Sportarten sollen hier ihre Meisterschaften austragen, weil sportliche Vielfalt zu einer bunten, lebendigen Stadt passt und ihre Attraktivität steigert. Und auch, weil sich Berlin damit im Wettbewerb um Olympische Spiele halten wollte. Diese Pflege der Sportlandschaft sieht Berlin nun mit Füßen getreten. 18 olympische Spitzenverbände stimmten im Städteduell für Hamburg, nur elf für Berlin. „Das ist unterirdisch und eine schallende Ohrfeige für das, was Berlin geleistet hat und vorhat“, sagt Klaus Böger, der Präsident des Landessportbunds Berlin. Es machte die Niederlage gegen Hamburg erst richtig schmerzhaft.
In seiner Präsentation in Frankfurt am Main hatte Sportsenator Frank Henkel die Spitzenverbände noch einmal mit Berlins Bilanz zu beeindrucken versucht: 24 Welt- und 17 Europameisterschaften in den vergangenen 20 Jahren. Es nützte – nichts. Im Gegenteil. Alfons Hörmann, der Präsident des Deutschen Olympischen Sportbundes (DOSB), geht sogar davon aus, dass der Auftritt der beiden Städte die Stimmung zugunsten von Hamburg kippen ließ. „Am Sonntagmittag wäre die Entscheidung bestimmt noch anders ausgefallen.“
Berlin, berichtet ein neutraler Beobachter, habe sich stark präsentiert. Aber Hamburg stärker. Mit mehr Begeisterung. Henkel musste aggressivere Fragen beantworten, etwa die des Squash-Verbandes, wo Berlin denn das Selbstbewusstsein hernehme, nach dem Bewerbungsdesaster von 1993 einen neuen Anlauf zu wagen. Der Präsident des Deutschen Handball-Bundes, Bernhard Bauer, verglich den Widerstand in Berlin gar mit dem gegen Stuttgart 21. Von den großen Verbänden redete nur der Deutsche Turner-Bund für Berlin und lobte die Kompetenz bei Sport-Großereignissen.
Die großen olympischen Verbände haben für Berlin gestimmt
Es dürfte für Berlin nun ein schwacher Trost sein, dass vor allem die großen olympischen Verbände für die Hauptstadt gestimmt haben: Leichtathletik, Schwimmen, Turnen. Dazu kommen wohl Eisschnelllaufen, Volleyball, Basketball, die Schützen, Radsport, Moderner Fünfkampf, Tischtennis und Kanu.
Manche Verbände erhoffen sich von Hamburg neue Möglichkeiten, Trainings- und Wettkampfstätten. Neue Ideen, wie die gesellschaftliche Bedeutung des Sports vertieft werden kann. Das meinte DOSB-Präsident Hörmann auch, als er davon sprach, dass der deutsche Sport in diesem Städteduell berücksichtigen musste, wo er 2030 stehen will.
Andere Verbände könnten deshalb für Hamburg gestimmt haben, weil sie um ihre finanzielle Förderung fürchten. Denn hätte Berlin den Bürgerentscheid verloren, wäre die Olympiabewerbung schon im September am Ende gewesen. Und mit einer laufenden Olympiabewerbung wachsen auch die Chancen, genauso viel oder noch mehr Geld vom Bundesinnenministerium zu bekommen. Fast alle Wintersportverbände sind ohnehin noch traumatisiert vom verlorenen Bürgerentscheid in den bayerischen Kommunen, als es um Münchens Bewerbung für die Winterspiele 2022 ging.
Berlin hat sich auf jeden Fall verschätzt. Die Spitzenverbände waren die letzte und größte Chance, doch noch den Zuschlag zu bekommen. Am Ende sprachen sie sich noch deutlicher für Hamburg aus als das Präsidium. Hier soll es eine knappe 4:3-Mehrheit für Hamburg gegeben haben, bekannt ist die Unterstützung für Berlin vor allem von Ingo Weiss, dem Vorsitzenden der Sportjugend und Präsidenten des Deutschen Basketball-Bundes. „Im Vorfeld der Sitzung haben wir nie den Hinweis bekommen, dass die Verbände sich mehrheitlich gegen Berlin aussprechen“, sagt Kaweh Niroomand, Manager der BR Volleys, der Berlin zusammen mit Henkel und den beiden Sportlerinnen Natascha Keller und Daniela Schulte präsentiert hatte. Jetzt ist er vor allem fassungslos. „Es kann nicht sein, dass die Verbände mit ihren Großveranstaltungen nach Berlin kommen und kommen werden und uns gleichzeitig nicht zutrauen, so ein Großereignis ausrichten zu können.“
Was sind die Konsequenzen aus dem Scheitern für die Sportstadt Berlin?
Die Diskussion über Konsequenzen hat begonnen. Zwei Millionen Euro gibt der Senat im Jahr aus, um 30 bis 40 kleinere und größere Sportveranstaltungen in Berlin austragen zu lassen. Sogenannte Ausfallbürgschaften. Für ein herausragendes Ereignis wie die Leichtathletik-WM können es sogar mal 15 Millionen extra sein. Jetzt steht der Senat vor der Entscheidung, weiterzumachen wie bisher oder das Geld anders zu verteilen. Er muss dabei entscheiden, wie viel der Förderung Mittel zum olympischen Zweck war oder als Wert an sich geschätzt wird. Sport-Staatssekretär Andreas Statzkowski kündigte an, sich mit Senator Henkel und seiner Verwaltung am Donnerstag ausführlich zu beraten.
Klaus Böger sagt, die „Sportstadt Berlin muss sich neu strukturieren“, und macht dafür einen Vorschlag: „Berlin könnte sich künftig darauf konzentrieren, das zu pflegen, was man schon hat: etwa den Marathon, das DFB-Pokalfinale, das Sechs-Tage-Rennen, die mehr als 100 Bundesligavereine, die Vereinslandschaft und den Jugendsport.“ Gerade im Jugendsport liege noch viel Potenzial. Für Böger bedeutet das auch, dass nun Hamburg die Rolle des Akquisiteurs für internationale Sportevents übernehme: „Dann soll sich jetzt eben Hamburg präsentieren.“ mit fmb