Vor dem Halbfinale der Eishockey-WM: Mit finnischem Herzen und deutschen Tugenden
Nach dem Sieg im Viertelfinale ist sogar der sonst zurückhaltende Bundestrainer Toni Söderholm ganz aus dem Häuschen. Der Erfolg ist auch sein Verdienst.
Toni Söderholm ist nach außen hin an sich ein eher ruhiger Zeitgenosse. Contenance ist eine Eigenschaft, die sie in seiner finnischen Heimat durchaus kennen, Temperamentsbolzen sind da eher die Ausnahme.
Insofern waren sie überrascht in Finnland, als sie sahen, was sich nach dem Einzug der deutschen Eishockey-Nationalmannschaft ins Halbfinale der Weltmeisterschaft von Riga für Szenen abspielten.
Bundestrainer Söderholm hüpfte nach dem entscheidenden Penaltyschuss von Marcel Noebels auf der Bank herum, wenig später umarmte er seinen Co-Trainer Ville Peltonen so innig, wie wahrscheinlich nie zuvor in den gemeinsame Zeiten als Spieler im Nationaltrikot Finnlands.
Die finnische Boulevardzeitung „Iltalehti“ staunte nicht schlecht: Söderholm sei „in emotionaler Aufruhr“ gewesen. „Der sonst so ruhige Trainer schrie auf der Bank aus vollem Herzen. Auf der Pressekonferenz nach dem Spiel lobte er sein Team in vier Sprachen, mit jeder möglichen Übertreibung.“
In so einem Erfolgsfall, nach so einem mitreißendem 3:2-Sieg wie am Donnerstag in Riga gegen die Schweizer, die sich nach einer 2:0-Führung schon als klarer Sieger sahen, ist aber auch einem Bundestrainer vieles erlaubt. Söderholm sagte: „Ich bin wirklich stolz. Es ist ein Privileg, diese wunderbaren Menschen zu coachen.“
Dass es so gut läuft bei der WM mit den wunderbaren Menschen, ist auch das Verdienst eines wunderbaren Trainers. Eishockey spielen konnten sie schon vor Söderholm, kämpfen konnten sie auch immer, aber unter dem Finnen ist ihre spielerische Struktur enorm gewachsen. Unter ihm ist die deutsche Mannschaft schwer zu schlagen, was sie auch im Halbfinale gegen die – ausgerechnet – Finnen am Sonnabend (17 Uhr, live auf Sport 1) sicher nicht chancenlos macht.
Fortführung eines guten Weges
Nun ist es ja nicht so, dass der Erfolg nicht schon dagewesen wäre, als Söderholm kam. Er übernahm die Mannschaft von Marco Sturm, der mit dem Team 2018 bei den Winterspielen olympische Silber gewonnen hatte. Das war eine große Sensation, das – egal was nun noch passiert an den Finaltagen – Abschneiden bei dieser WM in Lettland dagegen ist keine Sensation, sondern die konstante Fortführung eines guten Weges des deutschen Eishockeys, den auch Co-Trainer Ville Peltonen sah, als er von seinem alten Freund und Mitspieler Toni Söderholm den temporären Job des Co-Trainers angenommen hat.
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Da sei unheimlich viel Potenzial, sagte Peltonen. Wenn es gut laufe, könne Deutschland einen ähnlichen Weg gehen, den Finnland hinter sich hat: Von der gehobenen internationalen Mittelklasse in die Weltspitze. Denn: „Die Liga ist gut in Deutschland, die jungen Spieler sind stark und in der NHL gibt es immer mehr gute deutsche Spieler.“
Das stimmt, und ein Leon Draisaitl (vergangene Saison bester Spieler in der National Hockey-League), Tim Stützle (eines der größten Talente in der NHL) und Philipp Grubauer (einer der besten Torhüter der NHL) sind in Riga nicht einmal dabei. Sie dürften erst bei Olympia in Peking 2022 wieder im Team sein – was dort die Chancen sicher nicht schmälern wird.
„Peltonen gegen Finnland“
Aber erst einmal steht das Halbfinale der WM gegen die Finnen an, in der Gruppenphase haben die Deutschen 1:2 gegen diesen Gegner verloren – in einem taktisch sehr disziplinierten Spiel, das es wohl auch diesmal geben wird, denn dazu spielen die Teams doch sehr ähnlich. In Finnland wird das Spiel in jedem Fall ein Straßenfeger werden. „Peltonen gegen Finnland“, hieß es da schon in einem Eintrag auf Twitter.
1995 schoss Ville Peltonen die Finnen mit einem Hattrick beim 4:1 gegen Schweden erstmals zum Weltmeister, seitdem ist er in der eishockeyverrückten Nation ein Volksheld. Am Sonnabend werden ihm wohl wenige Menschen in der Heimat die Daumen drücken.
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Mit Toni Söderholm hat Peltonen auch gemeinsam im Nationalteam gespielt – und 2007 WM-Silber geholt. Für Söderholm ist das Turnier ohnehin ein ganz besonderes, fast ein Jahr lang konnte er mit der Mannschaft nicht arbeiten, die einzige Maßnahme in 2020 verpasste er wegen einer Covid-19-Erkrankung. Er werkelte trotzdem nicht im Stillen, hielt immer Kontakt zu den Spielern und war vergrätzt, wenn ihm jemand etwas von Stars anderer Nationen und dem Außenseiter Deutschland erzählte. „Wie kommen Sie darauf, dass wir keine Stars haben?“, antwortete er dann.
In jedem Fall hat er das Vertrauen seiner Stars, Marcel Noebels von den Eisbären Berlin sagte dem Tagesspiegel: „Toni ist sehr vertrauensvoll der Mannschaft gegenüber, egal ob es gut oder schlecht läuft. Und das, finde ich, zahlt sich aus.“ Emotionen sind dem Bundestrainer natürlich auch am Sonnabend nach dem Spiel gegen die Finnen erlaubt – wenn es zum Einzug ins Endspiel kommen sollte, erst recht.