Wildtiere und die Gefahren: "Mit Elektrozäunen gegen Wölfe in Brandenburg"
108 Wolfsangriffe seit 2007 in Brandenburg: Steffen Butzeck, Experte für Wolfsangriffe beim Landesumweltamt, über die Klagen der Bauern, das wahre Ausmaß der Schafsrisse und Ermittlungen an Kadavern.
Herr Butzeck, Bauern in Brandenburg sehen im Wolf eine Bedrohung für ihre Tierbestände. Doch die Zahl der Risse ist rückläufig, obwohl es mehr Wölfe gibt. Warum?
Der Wolf lebt nicht vom Schaf. Schafsrisse, tote Ziegen oder vom Wolf gerissenes Damwild in Gattern sind nur günstige Gelegenheiten. Der Wolf frisst, das wissen wir aus wissenschaftlich gesicherten Nahrungsanalysen, zumeist Schalenwild: Reh, Wildschwein und Rothirsch. Der Anteil von Nutztieren an seiner Nahrung beträgt gerade einmal 0,6 Prozent. Außerdem geben rückläufige Risszahlen nicht gleich einen Trend wieder, es gibt also keinen Grund sich zurückzulehnen. Ich finde einfach, wir haben Glück gehabt, dass nicht mehr passiert ist. Zum anderen ist es so, dass sich viele Tierhalter, in den etablierten Wolfsgebieten in der Lausitz und im Fläming mittlerweile ordentliche Elektrozäune angeschafft haben. Viele Landwirte konnten dabei finanziell gefördert werden. Größere Landwirtschaftsbetriebe waren in den vergangenen Jahren auch kaum noch von Wolfsübergriffen betroffen. Das Gros der Halter von Schafen und Ziegen in Brandenburg tut das aber als Hobby. Diese nichtgewerblichen Halter oft nur einzelner Schafe sind mittlerweile die Hauptbetroffenen. Die können wir derzeit nur beraten, aber nicht finanziell fördern.
Der Landesbauernverband hält die Entschädigungen, die das Land für einen Riss durch einen Wolf zahlt, für zu gering. Schließlich gehe es auch um Tiere, die durch einen Angriff traumatisiert seien. Wie wird die Entschädigung berechnet?
Das ist ein Thema, was wir sehr ernst nehmen. Das Landesumweltamt zahlt die Entschädigungen in Form einer freiwilligen Beihilfe. Das ermöglicht es uns, auf die Besonderheiten jedes einzelnen Schadenfalls einzugehen und nichts über einen Kamm zu scheren. Auch bei der Beihilfe unterscheiden wir zwischen den Hobby- und den gewerblichen Tierhaltern. Beide bekommen zunächst den Tierwert erstattet, wenn ein Wolf den Schaden verursacht hat, oder nicht zweifelsfrei als Verursacher ausgeschlossen wurde. Der Tierwert wird von einem ausgewiesenen Experten aus der Landwirtschaft berechnet. Das erfolgt großzügig und findet bei den Betroffenen Akzeptanz. Außerdem erstatten wir allen Betroffenen die Kosten für einen Tierarzt, falls es verletzte Tiere gibt, und die Kosten für die Entsorgung der Kadaver. Gewerbliche Tierhalter bekommen darüber hinaus auch zerstörte Betriebsmittel wie kaputte Zäune ersetzt. Tatsächlich verändert sich eine Schafsherde, die einen Wolfsübergriff erlebt hat. Es kann Folgeschäden durch Stress geben, etwa das Verlammen, also Abstoßen von ungeborenen Lämmern. Über solche Fragen sprechen wir mit den Tierhalterverbänden in der Arbeitsgruppe zum Wolfsmanagementplan „Nutztiere und Wolf“, um klare Berechnungsgrundlagen zu finden.
Wie kann man Tiergehege wolfssicherer machen und wie hilft das Land?
Es gibt langjährige Erfahrungen, wie man wolfssicher zäunt. Das Zauberwort ist Elektrizität. Die bekannten 106 Zentimeter hohen orangen Stromnetzzäune sind sehr wirkungsvoll und haben gleichzeitig den Effekt, dass auch Hunde draußen bleiben. Denn es gibt auch immer wieder Hundeübergriffe. Das ist ein Teil der Wahrheit. Die Elektrozäune müssen ordentlich und unterkriechsicher aufgestellt sein, mit 4000 Volt drauf, mindestens. Auch straff gespannte stromlose Zäune ab 140 Zentimeter Höhe funktionieren. Wir kennen den Ausnahmefall, dass ein Wolf lernt, einen Zaun zu überspringen. Totale Sicherheit gibt es im Leben nicht. Leider sehen wir bei Hobbyhaltern immer wieder schlechte Zäune, einfach zusammengestellte alte Zaunelemente, Europaletten oder sonstiges. Das ist die Realität, so weit, so gut. Dann aber müssen die Tiere abends in den Stall gesperrt werden. Die Übergriffe von Wölfen erfolgen in der Regel in der Nacht.
Wie können Hunde gegen Wölfe helfen?
Was ist mit Hunden?
Das ist das älteste Mittel des Herdenschutzes. Im Schafzuchtverband Berlin-Brandenburg gibt es dafür ausgewiesene Experten. Brandenburg ist damit das erste Bundesland, in dem dieses Thema ernsthaft angepackt wird. Gut 100 Herdenschutzhunde sind in Brandenburger Schäfereien bereits im Einsatz. Infrage kommen für uns vor allem der Pyrenäenberghund und der Maremmano-Abruzzese. Die Tiere wachsen als Welpen in der Schafsherde auf, werden dort sozialisiert und verteidigen ihre Schafherde wie die eigene Familie. Herdenschutzhunde können bisher leider nicht gefördert werden. Das muss sich unbedingt ändern. Ein Welpe kostet so um die 1000 Euro. Den wollen unsere Schäfer aber gar nicht bezahlt haben, sondern eher den Unterhalt. Pro Jahr fallen da für Futter oder Tierarztbesuche bis zu 1000 Euro an. Und für eine Herde braucht man mindestens zwei solcher Hunde. Das muss erst einmal erwirtschaftet werden und kann den Schäfern künftig nicht mehr allein aufgebürdet werden. Anders der technische Herdenschutz: Für die Anschaffung von Zäunen zur wolfssicheren Tierhaltung bei Betrieben im Haupt- und Nebenerwerb hat das Land zwischen 2008 und 2013 EU-Fördermittel in Höhe von knapp 380.000 Euro ausgereicht. Bei Hobbyhaltern bestand bislang dagegen immer die Meinung, wer sich Schafe hinstellt, muss auch selbst für deren sichere Zäunung sorgen. Ich halte die anteilige Förderung der Hobbyhalter, wie sie in Sachsen praktiziert wird, für zielführender, weil wir die Tierhaltung brauchen.
Nur bei 49 Prozent aller angeblichen Risse durch den Wolf bestätigt sich der Verdacht. Warum liegen Tierhalter so oft falsch?
Ich sehe es eigentlich andersrum. Sie liegen in 50 Prozent aller Fälle richtig. Die Tatsache, dass es Wölfe in Brandenburg gibt, ist allgemein bekannt. Damit steigt natürlich auch die Aufmerksamkeit der Tierhalter für das Thema und sie machen sich Sorgen. Wenn dann tote Tiere angefressen auf der Weide liegen, rückt der Wolf entsprechend stärker als früher in den Fokus. Unsere Aufgabe ist es dann, solche Fälle gründlich zu untersuchen und das Resultat mit den Tierhaltern zu besprechen. Es ist mir lieber, dass wir mal einen Fuchsriss haben, als dass sich die Leute gar nicht melden. Wenn wir Akzeptanz für den Wolf wollen, müssen wir uns auch um die Probleme kümmern, die er verursachen kann.
Wie lässt sich feststellen, ob es sich tatsächlich um den Riss eines Wolfs handelt?
Wenn jemand ein totes Tier findet und den Verdacht eines Wolfsübergriffs hat, dann ruft er unsere Schadenshotline an. Grundsätzlich muss das innerhalb von 24 Stunden passieren, weil sich sonst Nachnutzer wie Rabenvögel oder der Fuchs an dem Kadaver zu schaffen machen und die Spuren in kurzer Zeit wegfressen. Die Untersuchung am Kadaver selbst ist aber eigentlich der letzte Schritt, denn das Tier ist ja ohnehin schon tot. Zuerst sehen wir uns die Herde an, lassen möglicherweise verletzte Tiere versorgen. Es wird von Außen nach innen gearbeitet. Wir gucken uns das Umfeld an, gibt es gepflügte Äcker, auf denen man eventuell Wolfsspuren entdecken kann? Wo ist die Stelle, an der der Verursacher in die Koppel eingedrungen ist? Ist der Zaun an irgendeiner Stelle kaputt oder untergraben worden? Wenn wir diese Stelle gefunden haben, wird alles dokumentiert, fotografiert, vermessen. Vielleicht finden sich Haare für eine genetische Untersuchung? Dann wird das tote Tier im Beisein des Amtstierarztes abgehäutet, nach Bissspuren gesucht und die Fangzahnabstände dokumentiert. Dabei schauen wir uns auch die Art der Verletzungen an. Wie ist gebissen worden? Gab es Bisse an untypischen Stellen, etwa am Rücken? Ein Wolf ist gezwungen, ein Beutetier effektiv und gefahrlos für sich selbst zu töten.
Wie gehen andere Räuber vor?
Hunde leben ihren Jagdtrieb aus und zerspielen ihr Opfer regelrecht, zerbeißen es ganz massiv. Allerdings können sich Hund- und Wolfsmerkmale auch überschneiden. Bei kleinen Schafsrassen oder Lämmern handelt es sich dagegen oft auch um Füchse. Das ergibt ein ganz anderes Rissbild. Natürlich setzt der Fuchs auch Kehlbisse an, ist dabei aber weitaus weniger effektiv als ein Wolf, weil er nun mal nicht die Beißkraft hat und nicht die entsprechenden Zahnlängen. Beim Fuchs gibt es deshalb vergleichsweise viele kleine Einstiche, fast nadelfein. Bei Rindskälbern ziehen wir zur Abklärung eines möglichen Wolfshintergrundes die Kompetenz des Landeslabores Berlin-Brandenburg in Frankfurt (Oder) hinzu. Am Ende eines solchen Tages wird der Halter beraten, wie er Wolfssicherheit für seine Tiere herstellen kann, denn Wölfe sind sehr lernfähige Tiere. Machen sie die Erfahrung, das war ja gar nicht so schwer, an die Tiere zu kommen, kann es Gewohnheit werden und das gewöhnen wir ihm dann schnell wieder ab. Wie gesagt, das Zauberwort ist Elektrizität.
108 Wolfsangriffe seit 2007
Verbreitung. Derzeit leben in Brandenburg schätzungsweise 90 Wölfe. Dazu kommen weitere 30 in Sachsen und Einzeltiere in Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen-Anhalt und Niedersachsen. In der sächsischen und brandenburgischen Lausitz wurden im vergangenen Jahr in zwölf Rudeln mindestens 45 Welpen geboren. Deutschlandweit geht man von zurzeit 25 Rudeln beziehungsweise Wolfspaaren aus.
Risse. 2013 wurden in Brandenburg nach Angaben des Landesamtes für Umwelt, Gesundheit und Verbraucherschutz 42 Schafe und zwei Stück Damwild gerissen. Im Jahr zuvor waren es 50 Schafe, 17 Exemplare Damwild und zwei Kälber. 2011 zählte die Behörde sogar 87 gerissene Schafe, eine Ziege, 13 Stück Damwild und ein Kalb. Insgesamt wurden 108 Wolfsrisse seit 2007 registriert.
Herkunft. Brandenburgs Wölfe haben polnische Vorfahren. das geht aus einer Genanalyse der Umweltschutzorganisation WWF im Auftrag des Landes Brandenburg hervor. Untersucht wurden 230 Proben mit Genmaterial von in Brandenburg lebenden Wölfen. Außerdem wurde herausgefunden, dass es in der Population keine Hinweise auf Hund-Wolfs-Mischlinge oder Gehegeflüchtlinge gibt.
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