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Der neue Trainer des Hamburger SV, Markus Gisdol, nach einer Pressekonferenz zu seiner Vorstellung.
© dpa

Markus Gisdol beim Hamburger SV: Mit der Überzeugung eines Stefan Effenberg

Der neue Trainer Markus will die bleischwere Lethargie verscheuchen, die sich über den HSV gelegt hat - verkörpert von seinem Chef Dietmar Beiersdorfer.

Gegen 13.40 Uhr durchfuhr es Markus Gisdol. Ein Reporter hatte den neuen Trainer des Hamburger SV gefragt, ob er bei der Anfrage des Vereins nicht zusammengeschreckt sei; Trainer hielten es ja hier meist nicht lange aus. „Ich habe schon gezuckt, aber vor Freude“, sagte Gisdol grinsend, sich über seine Schlagfertigkeit freuend. Und dann brach der Coach plötzlich aus seiner Pressevorstellungs-Rhetorik aus. „Hamburg ist schon ein Brett, aber auch ein wahnsinnig geiler Klub.“ Seine Stimme kiekste nach oben, die Erregung war echt. „Das will ich nach außen bringen. Der erste Schritt ist, dass wir positive Energie senden müssen. Darauf habe ich totale Lust.“

Es war der emotionale Höhepunkt einer sonst eher verhaltenen Vorstellung. Als Heilsbringer wollte der neue Hoffnungsträger jedenfalls nicht auftreten am Montag. Das Wording, das der Nachfolger von Bruno Labbadia verwendete, bestand im Wesentlichen aus: „Herausforderung“, „spannend“, „Stück für Stück“, „in Ruhe“.

Und, immer wieder: „Ich halte nichts von großen Sprüchen und Versprechungen.“ Manchmal ist dieBotschaft ja das, was jemand nicht sagt, nach dem Motto: Man kann nicht nicht kommunizieren.

Und so strahlte Gisdol mit seinem Körper – meist nach vorne gebeugt, mit wachem Blick, grinsend oder mit feurig-rotem Kopf – auch ohne große Worte eine Zuversicht aus, die dem HSV zuletzt abhanden gekommen ist. Bildlich verkörpert von Dietmar Beiersdorfer neben sich: blass, in Abwehrhaltung zurückgelehnt, den Blick eher in sich gekehrt, mit jeder Aussage innerlich hadernd. „Ich glaube, dass Markus Gisdol ideal zu unserem Kader passt“, war eine der Aussage, zu der sich der Vorstandsvorsitzende durchringen konnte, „er ist es gewohnt, mit jungen Spieler zu arbeiten.“ Dann fiel Beiersdorfer wieder in den Modus Schadensbegrenzung: Er habe Gisdol durchaus einen Zweijahresvertrag angeboten. Der Trainer habe ihn aber noch einmal angerufen und von sich aus eine kürzere Laufzeit ausbedungen. Also kein Misstrauensmalus des Vereins gleich dem Neuen gegenüber.

„So kann sich der Verein in Ruhe ein Bild machen“, begründete Gisdol und widersprach seinem neuen Chef direkt in einem anderen Punkt, der Vorliebe zur Jugend. „Mit ist egal, ob ein Spieler 18 oder 35 ist, wichtig ist die Bereitschaft.“ Beim Bundesliga-16. muss der 47-Jährige künftig mit dem im Schnitt zweitjüngsten Kader der Liga arbeiten, aber mit so unterschiedlichen Akteuren wie dem 36 Jahre alten Verteidiger Emir Spahic oder dem 18 Jahre jungen Flüchtling Bakery Jatta. Gisdol soll etwas mehr Gegenleistung aus der erfolglosesten Bundesligamannschaft des Kalenderjahres kitzeln, die ja eigentlich im Sommer für 30 Millionen Euro an Ablösen verstärkt wurde.

Gisdol hat dazugelernt

Wie er das im Detail bewerkstelligen will, verriet er vor seiner ersten Trainingseinheit mit dem Team noch nicht. „Die Grundidee ist die gleiche“, sagt der Mann, der in Hoffenheim die Saison 2013/14 mit einem Torverhältnis von 72:70 beendet hatte, nur. „Wir wollen den Ball erobern mit aggressivem Pressung und dann nach vorne gehen.“ Mittlerweile handhabt er diese Vorgehensweise aber flexibler. Nach dem Klassenerhalt in der Relegation mit der TSG, Platz neun, Platz acht und der Entlassung vor einem Jahr scheint ihm klar geworden, dass man mit der Fixierung auf eine Spielweise nicht vorankommt. Sein Ideal werde er den Realitäten anpassen, kündigte er an, im Sinne des schnellstmöglichen Erfolges, „wie schnell, kann ich nicht sagen“. Am Samstag muss Gisdol zu Hertha reisen, nach der Länderspielpause nach Dortmund.

Hätte man leichter haben können. Aber angebliche Kontakte zum Konkurrenten Werder Bremen („Spielt keine Rolle“), der einen unterschriftsreifen Vertrag vorgelegt haben soll, spielte er ebenso herunter wie Vergleiche von Hoffenheims Mäzen Dietmar Hopp zu Hamburgs Mäzen Klaus-Michael Kühne. „Das sind Randerscheinungen, die nimmt man als Fußballtrainer hin.“ Damit klang er fast wie Vorgänger Labbadia, dem zu viel Hinnahme und zu wenig Weitergabe fußballerischer Fortschritte zum Verhängnis wurden.

Gisdol ähnelt nicht nur optisch eher Stefan Effenberg: Mit seinem sehr gesunden Selbstbewusstsein könnte er die bleischwere Lethargie verscheuchen, die sich über Hamburg gelegt hat. Und über seinen umstrittenen Chef Beiersdorfer. Zu Schlagworten wie Abstiegskampf („noch nicht“) oder persönlichem Druck („verspüre ich nicht“) lavierte er lange herum. Wenn er diesmal Glück hat, findet Markus Gisdol schnell die richtigen Worte.

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