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Wie im Flug. Luca Netz erzielte gegen den VfB Stuttgart sein erstes Bundesligator für Hertha BSC.
© imago images/ULMER Pressebildagentur

Hertha BSC im Abstiegskampf: Mit der Ruhe des Alters und der Leichtigkeit der Jugend

Der Generationenvertrag: Der junge Luca Netz und der alte Sami Khedira bescheren Hertha BSC beim 1:1 gegen den VfB einen wichtigen Punkt im Abstiegskampf.

Pal Dardai hat mal wieder Recht behalten. Luca Netz kam am Sonntagmorgen wie immer zu Fuß über den Hof zur Kabine. Er trug eine Mütze auf dem Kopf, sein Blick ging nach unten. „Das ist einfach Luca“, sagte Dardai. „Das schätzen wir an ihm.“

Eine Überraschung war das für den Trainer von Hertha BSC natürlich nicht. Schon tags zuvor, wenige Minuten nach dem großen Auftritt des 17 Jahre alten Luca Netz, hatte Dardai im Interview fürs Fernsehen verkündet, dass er bei dem Jungen keine Bedenken habe. „Man muss keine Angst haben, dass er jetzt im Ferrari zum Training kommt.“ Zumal Netz den mit seinen 17 Jahren auch noch gar nicht alleine Auto fahren dürfte. Zum Training am Olympiastadion wird er meistens von seinem Vater gebracht.

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Wenn ein Teenager die große Bühne betritt, gehen bei seinem Arbeitgeber in der Regel die roten Warnleuchten an: Vorsicht, wir müssen den Jungen vor den Gefahren und Verlockungen der Welt da draußen schützen. Nein, erst mal keine Interviews, heißt es dann in der Regel. Dass Netz am Samstag nach dem 1:1 beim VfB Stuttgart und seinem ersten Tor in der Fußball-Bundesliga vor diversen Kameras auftauchte, erzählte einiges darüber, wie er bei Hertha BSC gesehen wird: Der kann das, der kommt damit klar.

Luca Netz ist für sein Alter ziemlich weit, nicht nur, aber vor allem fußballerisch natürlich. „Er ist ein Riesenrohdiamant“, sagte Dardai. Bei seinem Comeback als Hertha-Trainer vor zwei Wochen gegen Eintracht Frankfurt bot er Netz gleich von Anfang an auf, und im wichtigen Spiel gegen die Stuttgarter schickte er ihn beim Stand von 0:1 eine gute Viertelstunde vor Schluss aufs Feld. Drei Minuten später erzielte der Linksverteidiger den Treffer zum 1:1-Endstand. Und so ist Luca Netz jetzt mit 17 Jahren und 274 Tagen der jüngste Torschütze in Herthas Bundesligageschichte.

Sami Khedira agierte wie ein Spielertrainer

„Er ist ein vorbildlicher Spieler“, sagte Dardai. „Er ist fußballverrückt und will sich weiterentwickeln.“ Vor seinem Treffer gegen den VfB profitierte Netz davon, dass er sich den Ball nach dem Pass von Sami Khedira mit dem einen Fuß gegen den anderen spielte und die Stuttgarter Verteidiger damit entscheidend irritierte. „Das war eine gute Finte“, sagte Netz später mit einem Lächeln.

Der Ausgleichstreffer bescherte Hertha nach vier Niederlagen hintereinander einen wertvollen Punkt im Abstiegskampf, und er resultierte aus der Zusammenarbeit des zweitältesten Spielers der Berliner mit ihrem jüngsten. Beide – Netz und Khedira – hatte Dardai in der zweiten Hälfte eingewechselt. „Alle Wechselspieler, die reingekommen sind, waren gut“, sagte Herthas Trainer.

Die Ruhe des Alters und die Leichtigkeit der Jugend – das ist genau die Kombination, die Herthas Mannschaft in der nach wie vor schwierigen Situation benötigt. Dass sie noch lange nicht so gefestigt ist, wie es für einen erfolgreichen Abstiegskampf vonnöten wäre, das zeigte sich in Stuttgart vor allem in der ersten Hälfte, in der nichts so lief, wie es hätte laufen sollen. „Ich war selbst ein bisschen erschrocken. Das habe ich nicht erwartet“, sagte Dardai. „Aber ich bin froh, dass die Spieler das noch so einer schlechten ersten Halbzeit noch gedreht haben. Das müssen wir mitnehmen: dass die Mannschaft nicht in Panik verfallen ist.“

Herthas Spieler missachteten die Vorgaben des Trainers

Die taktischen Vorgaben hatten Herthas Spieler vor der Pause hartnäckig ignoriert. Dardai wertete das nicht als bösen Willen, sondern erkannte darin eine Folge der komplizierten Gesamtsituation. „Wahrscheinlich ist das eine psychische Sache“, vermutete er. „Die Spieler sind nicht ausgebildet für den Abstiegskampf, sondern für andere Träume. Die Situation ist momentan so, dass es eine Blockade gibt. Und die muss man lösen.“

Auch wenn Sami Khedira das Glück hatte, in seiner langen Karriere nie in den Abstiegskampf verwickelt gewesen zu sein, bringt er genau die Eigenschaften mit, die eine Mannschaft in einer solchen Extremsituation benötigt: Ruhe, mentale Widerstandskraft, Überzeugung und ein gewisses Organisationstalent. „Es gibt halt Spieler, die verstehen das Spiel. Das ist eine meiner Stärken“, sagte der frühere Nationalspieler. Der Blick von außen genügte ihm, um zu erkennen, „wo die Räume sind“.

Khediras statistische Werte waren mit 88 Prozent Passquote (Hertha: 80) und 83 Prozent gewonnener Zweikämpfe (49) weit überdurchschnittlich. „Er ist ein cleverer Hund“, sagte Stuttgarts Trainer Pellegrino Materazzo über Herthas Mittelfeldspieler mit schwäbischen Wurzeln. Tatsächlich hatte Dardai mit Khedira in der letzten halben Stunde eine Art Spielertrainer auf dem Platz. „Er hat der Mannschaft Ruhe und Stabilität gegeben“, sagte er. „Er positioniert sich gut, fängt viele Bälle ab und transportiert sie gut nach vorne.“

Weil Khedira vor seinem Wechsel nach Berlin ewig und zwei Wochen nicht mehr gespielt hat, scheut Dardai immer noch davor zurück, ihn zu früh aufs Feld zu schicken. „Ich muss den richtigen Moment finden“, sagte er nach dem Spiel in Stuttgart. „Ich glaube, das war der Moment. Die Mannschaft hat ihn richtig gebraucht.“

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