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Weiter Weg: Melat Kejeta floh aus Äthiopien nach Deutschland und gewann 2018 den Berliner Halbmarathon.
© Christophe Gateau/dpa

Geflüchtete Läuferin will in die Marathon-Spitze: Melat Kejetas Weg nach ganz vorne

Vor sechs Jahren floh Melat Kejeta aus Äthiopien nach Deutschland. In Berlin gibt sie nun ihr Marathon-Debüt – und will von da aus für Deutschland zu Olympia.

Es soll Leute geben, die extra für ein paar Tage nach Berlin kommen, um dort ihren Geburtstag zu feiern. Melat Kejeta gehört nicht dazu. Obwohl sie sich seit dieser Woche in Berlin befindet. Und am Freitag 27 Jahre alt wird.

Nein, Melat Kejeta hat in Berlin Größeres vor: Im kommenden Jahr will die aus Äthiopien nach Deutschland geflohene Langstreckenläuferin bei den Olympischen Spielen in Tokio an den Start gehen. Und deshalb wird für sie weniger der Freitag als vielmehr der kommende Sonntag das entscheidende Datum dieser Woche. Denn dann wird sie zum ersten Mal in ihrem Leben einen Marathon laufen – und will dabei direkt die Olympia-Norm unterbieten.

Die liegt bei 2:29:30 Stunden. Als Kejeta am Donnerstag auf der Pressekonferenz vor dem Rennen ihre angepeilte Streckenzeit verkündet, macht sich unter der Presseschar deshalb kurz Verwunderung breit: Hat Kejeta gerade tatsächlich „2:22:00 Stunden“ gesagt? Eine Zeit, die sie direkt in die Weltspitze befördern würde? Ja, hat sie.

Es wäre die drittschnellste Zeit, die eine Deutsche jemals über die Marathon-Distanz gelaufen ist. Nur Rekordhalterin Irina Mikitenko (2:19:19 Stunden) und Uta Pippig (2:21:45) waren bislang schneller. Und seit Kejeta im März dieses Jahres die deutsche Staatsbürgerschaft erhalten hat, wird ihr Name nun auch offiziell auf den Bestenlisten des Deutschen Leichtathletik-Verbandes (DLV) geführt.

Der Weg dorthin war ein verschlungener: Vor sechs Jahren kam Kejeta nach Deutschland. Zuvor war sie nach einem Wettkampf in Italien geblieben, da ihre Familie mit der politischen Situation in Äthiopien zu kämpfen hatte. Über Belgien kam sie nach Dortmund und später, als sie Asyl beantragte, nach Gießen. Sie durfte bleiben, lernte im Regionalexpress zwischen Kassel und Frankfurt ihren Ehemann kennen und begann nach etwa einem Jahr Pause auch wieder mit dem Sport.

Kejeta siegte bereits beim Halbmarathon

Der ehemalige Marathon-Bundestrainer Winfried Aufenanger lotste sie nach Kassel, und 2016 wurde Kejeta in Hamburg Deutsche Meisterin über 10 000 Meter. Dann änderte der DLV sein Reglement, sodass nur noch Starterinnen mit einem deutschen Pass um den Titel laufen durften. Kejeta wich auf Straßenläufe aus und siegte im vergangenen Jahr beim Berliner Halbmarathon.

Das Rennen über die volle Distanz verpasste sie dann jedoch aufgrund einer Knieverletzung. So musste ihr Debüt bis dieses Jahr warten. „Ich versuche, meine Pace zu gehen“, sagt Kejeta. Denn die internationale Konkurrenz kann sich in diesem Jahr sehen lassen. Besonders mit der dreimaligen Berlin-Siegerin Gladys Cherono, die im Vorjahr gar mit Streckenrekord triumphierte, ist zu rechnen. Kejeta möchte ihr eigenes Rennen laufen: „Ich will nicht den Besten folgen“, sagt sie. „Weil ich dann vielleicht kaputtgehe.“

„Ich habe zwei Heimaten“

Zuletzt war sie noch einmal für 70 Tage zum Trainingslager in Kenia. Mehr als 40 Kilometer Strecke am Stück lief sie dort jedoch nicht. Ein paar letzte Ungewissheiten vor der großen Herausforderung am Sonntag bleiben also noch: „Ich weiß nicht, was auf den letzten zwei Kilometern kommt“, sagt Kejeta.

Der DLV setzt jedenfalls große Hoffnungen in seine neue Topläuferin und unterstützte gemeinsam mit dem Deutschen Olympischen Sportbund (DOSB) Kejetas Einbürgerung. So beschleunigte sich der Prozess: Kejeta konnte ihren Einbürgerungs- und Sprachtest bereits ein Jahr früher als offiziell vorgesehen absolvieren und steht dem deutschen Team damit bereits für Olympia 2020 zur Verfügung.

Zudem konnte Kejeta als deutsche Staatsbürgerin im Frühsommer zum ersten Mal seit Jahren wieder ihre Familie in Äthiopien besuchen. „Ich habe zwei Heimaten“, sagt sie. Und Berlin ist ja auch ganz hübsch.

Leonard Brandbeck

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