Heinevetter und Stochl im Interview: "Meistens regen wir uns über die Abwehr auf"
Sie sind Konkurrenten, Teamkollegen – und am Donnerstagabend Gegner in der EM-Qualifikation: Berlins Nationalkeeper Silvio Heinevetter und Petr Stochl über ihr besonderes Verhältnis als Handball-Torhüter.
Herr Heinevetter, Sie teilen sich bei den Füchsen mit Petr Stochl sowohl das Tor als auch die Spielzeit. Führen Sie eine Art Torhüter-Ehe?
Heinevetter: Wir sind nun mal die letzten, die hinten drin stehen und die Chance haben, Tore zu verhindern. Und wenn es bei dem einen nicht läuft, dann kommt der andere und macht es hoffentlich besser. Das ist schon eine Art Sportler-Ehe, ja.
Wer von Ihnen ist die bessere Hälfte?
Heinevetter (zeigt auf Stochl): Er ist auf jeden Fall die erfahrene Hälfte.
Stochl (lacht): Stimmt.
Heinevetter: Also auch die bessere.
Das Trikot mit der Nummer eins ist bei den Füchsen nicht vergeben. Warum nicht?
Stochl: Ich denke, es ist uns beiden egal, welche Nummer wir tragen.
Wer von Ihnen ist denn die Nummer eins?
Stochl: Wir sind beide Torwart und wollen immer spielen – aber das geht natürlich nicht. Es ist die Sache des Trainers, er muss entscheiden, wen er bringt. Und dann müssen wir versuchen, der Mannschaft zu helfen.
Herr Heinevetter, Sie wechselten 2009 von Magdeburg zu den Füchsen. Wie hat Sie der damalige Stammkeeper Stochl empfangen?
Heinevetter: Petr war zu der Zeit natürlich der Platzhirsch. Er war schon lange in Berlin und hat den Aufstieg miterlebt. Aber es war ja klar, dass ich nicht komme und mich dann auf die Bank setze.
Das können Sie aber genauso wenig gewollt haben, Herr Stochl.
Stochl: Es ist ja nicht wie beim Fußball, wo einer der beiden Torhüter dann drei oder vier Jahre auf der Bank sitzt und auf seinen Einsatz wartet. Wenn man im Handball auf Dauer zu den Spitzenmannschaften gehören will, dann braucht man zwei starke Torhüter. Und Heine ist der deutsche Nationaltorwart.
Also sind Sie auch froh über seinen Wechsel?
Stochl: Heines Anwesenheit motiviert mich natürlich. Ich muss jeden Tag mein Bestes geben und immer besser werden, weil ich sonst nicht spiele. Und so gesehen, ist es für mich sehr gut, dass er da ist.
Heinevetter: Das gilt andersherum auch. Wir machen uns gegenseitig besser.
Im Handball wechselt ein Trainer seine Torhüter auch mal während des Spiels. Ist der Konkurrenzkampf dadurch weniger verbissen als im Fußball?
Heinevetter: Man wird ja nicht ohne Grund ausgewechselt. Und dann setzt man sich eben nicht auf die Bank und ist sauer, sondern versucht, dem anderen Tipps zu geben und ihn zu unterstützen.
Was bei Oliver Kahn während der WM 2006 als Heldentat empfunden wurde.
Heinevetter: Man will dem anderen ja nichts Böses, im Gegenteil: Wir wollen alle gewinnen. Und am Ende der Saison fragt niemand, wer von uns jetzt welchen Ball gehalten hat.
Trotzdem sitzen Sie nicht gerne auf der Bank.
Heinevetter: Natürlich will man mehr spielen oder immer. Glücklich ist man nie, wenn man auf der Bank sitzt. Aber viel wichtiger als die eigenen Empfindlichkeiten ist der Erfolg der Mannschaft. Wenn wir gewinnen, dann muss ich mich als Person oder als einzelner Sportler eben dem Gesamterfolg unterordnen.
Stochl: "Niemand spielt so unorthodox wie Heine."
Und wenn Ihre Mannschaft dabei ist, zu verlieren?
Heinevetter: Wenn man selbst nicht spielt und es läuft immer noch nicht, dann kommen natürlich die Empfindlichkeiten hoch. Das würde dann im Handball aber nie so hochgepuscht werden wie bei Kahn und Lehmann. Aber das war ja auch ein Aufprall von zwei sehr verschiedenen Torwarttypen – Kahn, der Torwart, und Lehmann, der Spieler.
Ihre Spielweise unterscheidet sich doch auch sehr.
Heinevetter: Ach, so unterschiedlich sind wir jetzt auch nicht. Wir sind ähnlich groß und haben dadurch auch ungefähr den gleichen Stil. Nicht so wie bei einem großen Torwart und einem kleinen.
Herr Stochl, wie würden Sie Heinevetters Stil beschreiben?
Stochl: Ich glaube, es spielt sonst niemand wie er. Heine hält die Bälle oben mit dem Fuß und unten mit der Hand, manchmal wirklich sehr unorthodox.
Heinevetter: Das eine ist ja nicht besser und das andere schlechter. Wichtig ist nicht, wie du hältst, sondern ob du hältst. Da ist der Torwartstil ganz egal. Ich kann nicht halten wie Petr, und Petr nicht wie ich. Jeder hat da seine Eigenheiten.
Stochl: Was ich bei Heine ziemlich imponierend finde, ist sein Kopf. Er ist psychisch unglaublich stark. Das ist für einen Torwart sehr wichtig. Seine extremen Emotionen helfen ihm natürlich bei den entscheidenden Bällen.
Haben Sie davon etwas übernehmen können für Ihr eigenes Spiel?
Stochl: So etwas kann ich mir nicht abgucken oder einfach nachmachen. Das ist eine Charakterfrage, und ich bin ein ganz anderer Typ. Diese Situationen sind Heines Stärke. Ich habe dafür andere Stärken.
Wann teilt Ihnen Trainer Dagur Sigurdsson mit, wer das jeweils nächste Spiel im Tor stehen wird?
Stochl: Manchmal einen Tag vor dem Spiel, manchmal erst in der Halle.
Am heutigen Donnerstag und im Rückspiel am kommenden Sonntag in der EM-Qualifikation werden Sie nun beide von Beginn an spielen. Petr Stochl im tschechischen Nationalteam, Silvio Heinevetter im deutschen. Auch mal ganz schön, oder?
Stochl: Es ist schon eine besondere Situation, das stimmt. Die Spiele sind sportlich aber auch sehr wichtig, beide Mannschaften haben gegen Montenegro verloren und brauchen die Punkte.
Wissen Sie eigentlich bereits nach den ersten Bällen, ob das Ihr Tag wird?
Heinevetter: Rein theoretisch, ja. Es geht aber nicht nur um die eigene Leistung. Du musst dem Gegner von Anfang an deutlich machen, dass du heute gut drauf bist und dass es schwer wird für ihn, gegen dich zu treffen. Natürlich haben sie dann mehr Respekt vor dir und denken bei dem einen oder anderen Wurf vielleicht einmal zu lange nach.
Stochl: Es gab schon Tage, da hatte ich vor dem Spiel ein super Gefühl – und dann habe ich gar nichts gehalten.
Wie viel Spielzeit bleibt Ihnen an einem solchen Tag?
Heinevetter: Wir sind beide mittlerweile so erfahren, dass wir wissen, es gibt immer wieder Chancen, ein Spiel zu drehen. Das weiß auch Dagur. Wichtig für einen Torhüter ist der letzte Ball – und nicht der erste.
Stochl: Wenn du als Torhüter Angst haben musst, dass du nach zwei Fehlern auf der Bank sitzt, dann hältst du gar nichts. Für mich selbst wäre das eine Katastrophe, wenn ich solche Gedanken hätte.
Einem Torwartwechsel geht meistens eine Schwächephase der eigenen Mannschaft voraus. Was ist Ihnen daher lieber: zu beginnen oder eingewechselt zu werden?
Stochl: Eine Einwechslung ist natürlich viel schlimmer für einen Torwart, als wenn er von Beginn an spielt. Wenn du weißt, du musst der Mannschaft jetzt sofort helfen und die ersten Bälle unbedingt halten, weil du sonst verlierst.
Empfinden Sie den anderen auch als eine Art Sicherheit?
Heinevetter: Du kannst nicht in ein Spiel gehen und denken: Gut, wenn ich es heute nicht bringe, kommt halt der andere und macht es besser. Wenn du aber einen schlechten Tag erwischt hast und auf der Bank landest, dann weißt du: Der andere ist auch sehr gut und kann ein Spiel genauso entscheiden.
Heinevetter: "Im Spiel sind wir unser eigener Trainer."
Hängen Ihnen Gegentore während eines Spiels lange nach?
Heinevetter: Man muss die Misserfolge in einem Spiel schnell verdrängen. Oder sie abarbeiten. Wenn man weiß, ein Spieler hat jetzt drei, viermal den gleichen Wurf gemacht, kann man sich darauf einstellen.
Wie gehen Sie mit Gegentoren um?
Stochl: Man muss immer schauen: War das jetzt mein Fehler oder war es einfach ein super Wurf. Als Torhüter kassierst du in einem Spiel zwischen 20 und 30 Bällen. Und wenn du merkst, zwei von drei Toren gehen auf deine Kappe, dann ist das schon sehr ärgerlich.
Sehen Sie sich innerhalb der Mannschaft als Einzelkämpfer?
Heinevetter: Irgendwie schon, aber alleine können wir natürlich nichts reißen. An einem Sahnetag kannst du als Torhüter vielleicht ein Spiel mal fast alleine entscheiden, wenn du alles hältst. Aber auch dafür brauchst du eine Abwehr.
Wie sehr schweißt Sie dieses Einzelkämpfertum zusammen?
Heinevetter: Man sieht das ja zum Beispiel in den Auszeiten während eines Spiels. Da machen Stochl und ich unser eigenes Ding und stehen nicht bei der Mannschaft. Da sind wir dann unser eigener Trainer.
Was besprechen Sie dann?
Heinevetter: Meistens regen wir uns über die Abwehrspieler auf.
Stochl (lacht): Ja, die Abwehr ist immer schuld.
Heinevetter: Nein, im Ernst. Die Abwehr ist für uns das A und O. Wenn die ordentlich steht und uns ein gutes Gefühl gibt, dann hältst du auch mal ein paar Hundertprozentige.
Stochl: Abwehr und Torwart kann man gar nicht trennen. Ohne Abwehr hält der beste Torhüter keinen Ball.
Petr Stochl besitzt einen Vertrag bis 2016 bei den Füchsen...
Heinevetter: ...Stochl gehört hier zum Inventar.
Und Ihr Vertrag läuft nächstes Jahr aus. Sie wurden immer wieder mit dem THW Kiel in Verbindung gebracht, wo nun aber Schwedens Nationalkeeper Johan Sjöstrand als Nachfolger von Thierry Omeyer präsentiert wurde. Gingen Ihnen diese Gerüchte auf die Nerven?
Heinevetter: Das gehört dazu, dass dein Name immer irgendwo im Gespräch ist. Das ist aber auch nicht schlimm.
Also geht Ihre Torhüter-Ehe bei den Füchsen weiter und wird nicht geschieden?
Heinevetter: Das kann ich nicht sagen.
Sind Sie denn glücklich zusammen?
Heinevetter: Zumindest mussten wir in der Vergangenheit noch nicht zum Paartherapeuten.
Das Gespräch führten Benjamin Apitius und Christoph Dach.